Frankfurt am Main

Die Göttliche Komödie: Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler

Zoulikha Bouabdellah: Silence, 2008-2014, Installationsansicht, Foto: Axel Schneider. Fotoquelle: MMK, Frankfurt am Main
Mittelalterliche Scholastik trifft schwarzen Kontinent: Das Museum für Moderne Kunst lässt Dantes Weltliteratur-Epos durch Werke von 40 Afrikanern kommentieren. Was überraschend gut funktioniert − aber anders, als vom Ausstellungs-Kurator geplant.

Spindeldürre Figuren schweben empor

 

Etwas ätherischer stellt der Ägypter Nabil Boutros das Jenseits dar: als Spiegelkabinett mit goldenen Worten über das Himmelreich in verschiedenen Sprachen. Wer sie entziffern kann, der mag seinen Weg durch das Labyrinth leichter finden; wer das nicht kann, bleibt besser draußen. Für Emporstrebende findet der Senegalese Ndary Lo ein einprägsames Bild: Im Treppenhaus schweben spindeldürre Metall-Figurinen im Kreis.

 

Es war schon immer schwieriger, glaubwürdig das Paradies darzustellen, als irdische Niederungen. Sie sind in Afrika stets augenfällig: Armut, Elend, Entwurzelung und endemische Gewalt. Manche der Künstler, die sich dem widmen, machen es sich arg einfach: Loulou Cherinet zeigt Archiv- und Live-Kamerabilder aus Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Nandipha Mntambo aus Swasiland hängt Kuhhäute auf, die sie Kardinaltugenden nennt. Und Frances Goodman lässt Südafrikanerinnen über enttäuschte Eheträume palavern.

 

Tropfender Rotwein für Genozid-Opfer

 

Doch die meisten Exponate sind subtiler: Der Angolaner Edson Chagas, der 2013 auf der 55. Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon gewann, fotografiert Geschäftsleute, denen er traditionelle Masken aufsetzt. Sie personifizieren seit jeher mächtige Geister oder Tierdämonen. So wird die Rede vom „Kredithai“ oder „Pleitegeier“ anschaulich; Herkunft und Moderne prallen auf einem Passbild zusammen.

 

Wie bei Kudzanai Chiurai aus Simbabwe: Er filmt in Zeitlupe, wie zeitgenössische Statisten allegorische Bilder aufführen. Etwa das letzte Abendmahl mit Handfeuerwaffen − dieses Video war bereits 2012 auf der documenta (13) zu sehen. Konkreter wird die Kenianerin Wangechi Mutu. Sie lässt Rotwein in Schalen tropfen, die auf Tischen stehen, wie sie beim Genozid in Ruanda zur Aufbahrung der Opfer benutzt wurden: ein so diskretes wie eindrucksvolles memento mori.

 

Afrika gibt es nicht

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Reparatur – 5 Akte" - Werkschau von Kader Attia in den KW KunstWerken, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Solch ungeahnte Tiefen – This undreamt descent" - Werkschau von Wangechi Mutu in der Kunsthalle Baden-Baden

 

und hier einen Bericht über die "documenta (13)" - mit Werken von Kudzanai Chiurai im Kulturbahnhof, Kassel

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung Momente des Selbst über "Porträt-Fotografie und soziale Identität" mit Werken afrikanischer Fotografen in The Walther Collection, Neu-Ulm

 

und hier eine kultiversum-Rezension der Ausstellung "Who knows tomorrow" mit Werken von Yinka Shonibare an vier Museumsstandorten, Berlin.

 

Auf koloniale Gräuel der Vergangenheit konzentrieren sich der Algerienfranzose Kader Attia und der Anglonigerianer Yinka Shonibare. Von Attia sind zerbrochene, grob vernähte Spiegel zu sehen; sie sollen an Gewalttaten erinnern, erscheinen aber eher nichtssagend. Shonibare zeigt zwei kopflose Puppen im Duell; sie halten sich gegenseitig altertümliche Pistolen an die nicht vorhandenen Schläfen. Ihre historischen Kostüme sind aus bunten Stoffen, die als typisch afrikanisch gelten − doch schon vor mehr als 100 Jahren aus Europa importiert wurden.

 

So wie umgekehrt diese Arbeiten als Kunst aus Afrika hierher, was in der Globalisierung antiquiert anmutet: Zu keinem anderen Kontinent könnte man heutzutage noch eine Überblicks-Ausstellung über die gesamte Kunstszene veranstalten − dafür wäre sie viel zu uneinheitlich. Doch Afrika wird hierzulande als homogenes Gebilde wahrgenommen, was es natürlich nicht ist: „Afrika gibt es nicht“, betitelte der langjährige NZZ-Korrespondent Georg Brunold seine Erinnerungen.

 

Kunst als sinnliches Erlebnis

 

Davon zeugt diese Auswahl: Die Bandbreite der Stilmittel ist genauso weit gefächert wie bei anderen vergleichbaren Ausstellungen. Mit einer Ausnahme: Völlig Sprödes, Karges und Unzugängliches fehlt. Es sind weder Bleistiftkritzeleien noch Gekleckse, Zahlenspielchen oder trash goes readymade zu finden.

 

Die meisten Beiträge kitzeln aus ihrem Thema und Werkstoff dessen Schauwert hervor; Kunst als sinnliches Erlebnis. Was keineswegs gefällig oder geläufig ausfällt, im Gegenteil: Manche Arbeiten verblüffen, wie ungewohnt sie mit ihrem Material umspringen. Doch alle eint − selbst beim schlimmsten Sujet − die Freude an der Fülle des Daseins, der Vielfalt des Vorhandenen. Das verbindet sie dann doch über die Jahrhunderte hinweg mit der „Göttlichen Komödie“.