Das Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden schlägt beherzt eine Brücke zwischen beiden Sphären, die sonst einander häufig misstrauisch beäugen. Die aktuelle Ausstellung verknüpft das Thema Kunstlicht mit den Arbeiten von Lesser Ury (1861-1931).
Info
Lesser Ury und das Licht
05.04.2014 - 31.08.2014
täglich außer montags
11 bis 18 Uhr
im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Lichtentaler Allee 8, Baden-Baden
Europa im Gaslicht
„Europa im Gaslicht“ heißt ein Buch von Justus Franz Wittkop über „Die hohe Zeit des Bürgertums 1848-1914“. Passenderweise steht am Eingang der Ausstellung eine Gaslaterne. Daneben führt eines der bekanntesten Bilder Urys ihre Wirkung vor: „Nächtliches Berlin“ von 1919 zeigt Straßenbeleuchtung im Regen, elektrische Tram und bürgerliche Nachtbummler. Solche Bilder begründeten seinen Ruf als „künstlerischer Verherrlicher der Reichshauptstadt“ – so Berlins Oberbürgermeister Böß 1921.
Diashow: Werke von Lesser Ury; © inesvigo
Vernunft wird zur Göttin des Kunstlichts
Das Thema Kunstlicht wird im Erdgeschoss mit Lampen und Leuchten knapp abgehandelt, vor allem aber mit Werbeplakaten aus der Zeit um 1900: Junge Damen räkeln sich dem Licht entgegen oder tragen Fackeln durch die Finsternis. So wird die Ikonographie der französischen Revolution von der Industrie clever als Marketing-Instrument eingesetzt; die Göttin der Vernunft wird zur Göttin des Kunstlichts.
Ein Stockwerk höher sind Bilder Urys aus dem späten 19. Jahrhundert versammelt: von industriell erzeugtem Kunstlicht keine Spur. Tageshelle dominiert; auf zwei Gemälden spenden Kamin- und Herdfeuer rötlich wärmenden Schein. Hier hängt auch das bekannteste Bild seiner Frühphase, das „Pariser Interieur“ von 1881. Der Kunstkritiker Robert Breuer, ein Vertrauter des ersten Reichspräsidenten Friedrich Eberts, sah darin Urys beste Leistung.
Verpfuschtes Dasein als Bilanz
Beide Etagen verbinden Widersprüche: Lesser Ury, der als Maler des Kunstlichts gelten soll, malt im 19. Jahrhundert fast nur Tageslicht. Oder: Über schwarzweißen Radierungen des Künstlers prangt ein emphatisches Kritiker-Zitat zu seiner eigenwilligen Farbigkeit; neben seinem Lebenslauf samt Erfolgen steht seine eigene düstere Bilanz vom „verpfuschten Dasein“. Mit dialektischem Biss setzt sich die Ausstellung solchen Gegensätzen aus.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung “Wien – Berlin: Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz” – mit Werken von Lesser Ury in Berlin und Wien
und hier eine Besprechung der Ausstellung “1912 – Mission Moderne“ – Rekonstruktion der Jahrhundertschau des Sonderbundes im Wallraf-Richartz-Museum, Köln
und hier einen Bericht über die Ausstellung «Die Welt will Grunewald von mir» – Bilder von Walter Leistikow im Bröhan-Museum, Berlin.
Meister der Selbststilisierung
Seine folgenreichste Aktion zur Selbststilisierung war gewiss der Bericht, er habe in einem Bild von Max Liebermann die Lichtführung korrigiert. Das hält bis heute manche Zweifel lebendig, ob nicht Lesser Ury der bessere Impressionist gewesen sei. Zudem pflegte Ury zeitlebens den Mythos, Liebermann habe seine öffentliche Anerkennung behindert. Diesem Mythos entrinnt auch die Ausstellung nicht bei ihrem Bemühen, Ury neu zu entdecken.
Der Katalog macht deutlich, wie widersprüchlich seine Persönlichkeit war: So begann er als Suchender, der an fünf verschiedenen Akademien Unterricht nahm. Dabei ist vor allem der Grafiker Ury neu zu entdecken, der mit dem Maler wohl zeitlebens im Streit lag: In gelungenen Radierungen, Lithographien und Zeichnungen, die häufig stimmiger als seine Gemälde sind. Überdies werden erstmals seine Foto-Übermalungen präsentiert; er bearbeitete Aufnahmen mit der Feder. Zumindest bei diesen Mixed-Media-Arbeiten war er wirklich avantgardistisch.