Wolfsburg

Oskar Kokoschka – Humanist und Rebell

Selbstporträt (Poster: Der Sturm ), 1910, Museum der Moderne Salzburg, Foto: Hubert Auer © Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2023. Fotoquelle: Kunstmuseum Wolfsburg
Der große Ausverkauf: Kokoschka begann als Österreichs maßgeblicher Expressionist, dessen kühne Porträts schockierten, und endete als Promi-Maler für die Massenmedien. Seine Spätphase wird in der Retrospektive des Kunstmuseums verschämt kaschiert.

Kokoschka ist überall: Jedes deutsche Museum der Moderne, das etwas auf sich hält, zeigt in seiner Expressionismus-Abteilung Bilder von ihm. Sie sind leicht verfügbar: Oskar Kokoschka (1886-1980) hat ein Riesenwerk hinterlassen – mehr als 460 Gemälde und Tausende von Grafiken. Und zumindest dem älteren Publikum ist er vertraut: In den 1950er bis 1970er Jahren verbreiteten Illustrierte seine Motive in Millionenauflagen.

 

Info

 

Oskar Kokoschka – Humanist und Rebell

 

26.04.2014 - 31.08.2014

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr

im Kunstmuseum, Hollerplatz 1, Wolfsburg

 

Katalog 38 €

 

Weitere Informationen

 

Kokoschka ist nirgendwo: Nach seinem Tod wurde es still um ihn. Zwar erwähnt weiter jede Expressionismus-Anthologie sein Frühwerk, doch was er danach schuf, taucht kaum noch auf – als habe seine zeitweilige Omnipräsenz Überdruss ausgelöst. Wie bei anderen populären Künstlern, die zu Lebzeiten als Lichtgestalten galten; etwa Miró oder Dalí. Seit Jahrzehnten gab es keine große Kokoschka-Ausstellung mehr.

 

Stärken + Schwächen frei gelegt

 

Das ändert das Kunstmuseum Wolfsburg: Eine umfangreiche Retrospektive soll Kokoschka als bedeutenden Maler des 20. Jahrhunderts in Erinnerung rufen. Dafür scheut das Museum bei dieser Jubiläums-Schau zum 20-jährigen Bestehen keinen Aufwand: Mehr als 200 Exponate, darunter 55 Gemälde, führen sein Gesamtwerk vor – und legen Stärken wie Schwächen frei.


Interview mit Kuratorin Beatrice von Bormann + Impressionen der Ausstellung; © Kunstmuseum Wolfsburg


 

Promis sammeln wie andere Briefmarken

 

Kokoschka besuchte die Kunstgewerbeschule in Wien. Ab 1907 erhielt er Aufträge der Wiener Werkstätten, doch deren Jugendstil behagte ihm nicht. Er orientierte sich am aufkommenden Expressionismus. Bald sollte er, neben Egon Schiele, dessen wichtigster Vertreter in Österreich werden; zumal er auch Dramen verfasste. Ab 1909 protegierte ihn der Architekt Adolf Loos: So lernte er Intellektuelle wie Karl Kraus, Elias Canetti, Robert Musil und den Komponisten Arnold Schönberg kennen.

 

An solchem Umgang fand Kokoschka Geschmack: Zeitlebens sammelte er Bekanntschaften mit Prominenten wie andere Leute Briefmarken – um sie zu malen. Bis 1914 entstanden, von Loos vermittelt, mehr als 70 Bildnisse: nervös verfremdete und verzerrte Gestalten in irritierenden Falschfarben, die Kokoschkas Ruf als eigenwilliger Einzelgänger begründeten. Er nahm für sich in Anspruch, Charakter und Aura der Porträtierten auf die Leinwand zu bringen: „Jedem meiner Modelle jener Zeit hätte ich auch ein Schicksal voraussagen können.“

 

Verflossene Geliebte als lebensgroße Puppe

 

Nun ging alles sehr rasch. 1910 ging Kokoschka nach Berlin und belieferte das Expressionisten-Zentralorgan „Der Sturm“, herausgegeben vom Galeristen Herwarth Walden. Sein Selbstporträt als Schmerzensmann mit kahl rasiertem Schädel, das dafür warb, wurde Kokoschkas berühmtestes Motiv. Zurück in Wien, begann er eine stürmische Liaison mit Alma Mahler, der Witwe von Gustav Mahler. Nach knapp drei Jahren ließ sie ihn fallen und heiratete den künftigen Bauhaus-Gründer Walter Gropius.

 

Kokoschka meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst, wurde schwer verwundet und 1916 entlassen; er zog nach Dresden. Dort ließ er sich als Fetisch eine lebensgroße Alma-Puppe anfertigen und versuchte, seinen Liebeskummer in Bilder zu bannen – etwa ein „Stillleben“, in dem sie als Katze ein Kaninchen mit seinen Zügen anfaucht, während sich ein Putto-Kleinkind davonstiehlt: Alma hatte gegen seinen Willen abgetrieben.

 

Tierbilder wie im 18. Jahrhundert

 

1919 erhielt Kokoschka einen Lehrauftrag an der Akademie. Seine zuvor düster pastose, an Van Gogh angelehnte Malweise hellte sich auf; nun setzte er Formen aus starkfarbigen Flächen zusammen wie die französischen Nabis-Künstler. Zugleich wurden seine expressionistischen Dramen wie „Mörder, Hoffnung der Frauen“ aus den 1910er Jahren an mehreren Bühnen aufgeführt. 1922 nahm er an der Biennale in Venedig teil: Kokoschka war arriviert.

 

1923 ließ er sich von der Akademie beurlauben, kehrte nie zurück, bereiste stattdessen halb Europa und malte – Tierbilder. Sie markieren einen Bruch in seinem Werk: Ausgerechnet der gefragte Porträtist, der sich auf seinen Röntgenblick in die menschliche Seele viel zugute hielt, fand es reizvoll, Affen, Rehe, Fische oder Schildkröten zu pinseln. Wie im 18. Jahrhundert, als englische Adlige für ihre Lieblingspferde oder -hunde in Öl mehr bezahlten als für Konterfeis ihrer Gattin.

 

Nazis beschlagnahmten 400 Kokoschka-Werke

 

Dem Kunstmuseum ist diese Wegscheide wohl bewusst: Bis zur Dresdener Episode sind die Bilder chronologisch aufgereiht, um die raschen Wechsel in Kokoschkas Stil aufzuzeigen. Danach werden sie zu banalen Themen-Räumen wie Kinder, Tiere, Frauen, Musik und Engagement gruppiert, in denen die Arbeiten bunt durcheinander hängen – was das schwache und daher deutlich unterrepräsentierte Spätwerk kaschiert. Da finden sich Agitprop-Motive aus den 1920/30er Jahren neben völlig belanglosen Bürgermeister-Porträts aus den 1950ern.

 

Kokoschka blieb weiter sehr agil. 1934 emigrierte er nach Prag, wo er seine spätere Frau Olga kennen lernte. 1937 konfiszierten die Nazis 400 (!) seiner Werke aus deutschen Museen und zeigten 16 in der Femeschau „Entartete Kunst“. Im Folgejahr floh das Paar nach London; seine Bilder reüssierten in den USA.

 

Hauptsache farbenfroh

 

Nach dem Krieg stieg er endgültig zum Malerfürsten auf; Aufträge und Auszeichnungen kamen aus ganz Europa. Und er malte, wen er kriegen konnte: etwa Altkanzler Konrad Adenauer, Wirtschaftswunder-Minister Ludwig Ehrhard und Bundespräsident Theodor Heuss. Nur Gandhi und Churchill verweigerten sich.

 

Kokoschkas Fließband-Produktion jener Jahre ist anzusehen, dass seine Kreativität erschöpft war. Bis Mitte der 1920er Jahre fand er für jede Bildaufgabe originelle und häufig bestechende Lösungen. Später begnügte er sich mit quietschbuntem Einerlei, dessen hektisch fahrige Pinselführung nicht verbergen kann, dass er seine Formensprache verlernt hatte. Hauptsache farbenfroh – ein Publikum, das ratlos vor dem Abstraktions-Chaos von Informel und gestischer Malerei stand, war schon zufrieden, wenn es irgendetwas erkennen konnte.

 

„Erstklassige Propaganda für diese Kindersache“

 

Das bediente Kokoschka so geschickt wie beliebig. Malte er einen sowjetischen Botschafter, klatschte er eine Lenin-Statue in den Hintergrund. Porträtierte er den tschechoslowakischen Vorkriegs-Präsidenten Tomáš G. Masaryk, spachtelte er die Nationalhelden Jan Hus und Comenius hinzu. Zudem propagierte er wortreich einen wolkigen Humanismus, der keinem weh tat, und spendete großzügig für gute Zwecke – sofern es seinem Ruhm diente.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung  “1913: Bilder vor der Apokalypse”  mit Werken von Kokoschka im Franz Marc Museum, Kochel am See

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Wien Berlin: Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz"  - großartige Ausstellung mit Werken von Kokoschka in Berlin + Wien

 

und hier einen Bericht über den Film “Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden” von Christoph Stark über den Dichter Georg Trakl + Oskar Kokoschka.

 

So reichte Kokoschka das Honorar von 200.000 DM für sein Adenauer-Porträt an obdachlose Kinder weiter, weil immaterieller Lohn winkte: „Der Bericht darüber erscheint in der ganzen Welt, und für mich war es eine erstklassige Propaganda schon wegen des Preises, den ich in der Höhe nie selber kriegen könnte, bloß für diese Kindersache.“ Noch populärer wurde 1970 sein Bild des Bengels von Sophia Loren und Filmproduzent Carlo Ponti: Der Sponsor „Allgäuer Alpenmilch AG“ verkündete stolz, 10 Millionen Menschen hätten es gesehen.

 

Schule der Selbstvermarktung

 

Kokoschkas hemmungslose Selbstvermarktung verschweigt das Kunstmuseum zwar nicht, versteckt sie aber verschämt im Katalog. In der Ausstellung soll nichts die Freude an der Jubiläumsschau stören: Alles wunderbar prächtig, harmonisch und menschenfreundlich hier. Doch die Medienwelt aus Zeitschriften wie „Quick“ und TV-Wohltätigkeitsshows, die den Maler zum Star machte, ist längst verschwunden wie die alte Bundesrepublik.

 

Um seine Relevanz für die Gegenwart zu behaupten, erklärt ihn die Schau zum Anreger der „Neuen Wilden“ der 1980er Jahre. Was absurd ist: Die rotzfrechen Bilderstürmer bedienten sich wohl beim Expressionismus, aber gewiss nicht bei diesem saturierten Großkünstler, der nur noch Staatskanzleien auspinselte. Kokoschkas Nachfolger findet man eher in Spektakeln des kommerziellen Kunstbetriebs. Ob sie es wissen oder nicht: Damien Hurst und Jeff Koons sind seine gelehrigen Schüler.