Volker Schlöndorff

Diplomatie

Der General (Niels Arestrup, l.) und der Konsul (André Dussollier, r.) liefern sich ein Wortgefecht. Foto: Koch Media
(Kinostart: 28.8.) Ein Nazi-General rettete Paris vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Diese wenig bekannte Episode verwandelt Regisseur Volker Schlöndorff in ein virtuoses Kammerspiel mit zwei Akteuren – als Heldenstück der Überredungskunst.

Deutsche Kriegshelden im Zweiten Weltkrieg gibt es eigentlich nicht. In einem so verbrecherisch geführten Krieg kann es keine Helden geben. Natürlich haben viele stille Helden ihre Mitbürger vor dem Schlimmsten bewahrt – aber das waren Taten der Zivilcourage, keine Kriegshandlungen.

 

Info

 

Diplomatie

 

Regie: Volker Schlöndorff,

84 Min., Deutschland/ Frankreich 2014;

mit: Niels Arestrup, André Dussollier, Robert Stadlober

 

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Doch auch manche Uniformträger haben beispielhaften Mut bewiesen; etwa die Verschwörer des 20. Juli 1944 mit ihrem Attentat auf Hitler. Oder der letzte deutsche Stadtkommandant von Paris, General Dietrich von Choltitz: Ihm ist zu verdanken, dass die vielleicht schönste Stadt der Welt bei Kriegsende nicht zerstört wurde.

 

Hitler wollte Paris als Trümmerfeld

 

Obwohl Hitler befohlen hatte: „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen.“ Die bedeutendsten Bauwerke von Paris wie Notre Dame, der Louvre oder der Eiffelturm und alle Brücken über die Seine sollten gesprengt werden; Raketen und Bomber die übrige Stadt in Schutt und Asche legen.


Offizieller Filmtrailer


 

Amtsvorgänger des Generals hingerichtet

 

Von Choltitz kam erst am 9. August 1944 nach Paris und befolgte den Befehl nur halbherzig. Er ließ zwar überall Sprengsätze legen, zögerte aber, sie zu zünden. Das war hochriskant: Sein Amtsvorgänger General von Stülpnagel war kurz zuvor als Mitverschwörer des 20. Juli verhaftet worden; Ende August wurde er verurteilt und hingerichtet.

 

Sein Nachfolger lavierte, während sich alliierte Truppen der Stadt näherten. Dort wagt ab dem 19. August die résistance den Aufstand: Bei Straßenkämpfen sterben viele Militärs und Zivilisten. Von Choltitz handelt mit dem Widerstand die Freilassung von Gefangenen und eine brüchige Waffenruhe aus. Sein Mittelsmann ist der schwedische Konsul Raoul Nordling.

 

Film von 1966 mit Gert Fröbe + Orson Welles

 

Am 25. August erreichen französische Truppen die Stadt; in ihrem Auftrag überbringt Nordling ein Ultimatum an von Cholditz. Er kapituliert und geht mit seinen Soldaten für zwei Jahre in britische Kriegsgefangenschaft. Tags darauf zieht General de Gaulle als umjubelter Befreier in Paris ein.

 

Warum weigerte sich der bis dahin absolut loyale Wehrmachts-General, Hitlers Befehl auszuführen? Was war für ihn ausschlaggebend? Diesen Fragen ging schon 1966 der französisch-amerikanische Film „Brennt Paris?“ von René Clément mit großem Staraufgebot nach: Neben Gert Fröbe und Orson Welles in den Hauptrollen spielten Kirk Douglas, Yves Montand, Michel Piccoli, Alain Delon und der junge Jean-Paul Belmondo mit.

 

Eine Nacht, ein Büro + zwei Akteure

 

Nun hat Volker Schlöndorff ein Stück des französischen Autors Cyril Gély adaptiert; der Film kommt fast auf den Tag genau 70 Jahre nach den Ereignissen ins Kino. Er verdichtet das komplexe Geschehen mit etlichen Beteiligten auf wenige Stunden mit zwei Akteuren: die Nacht vom 24. auf den 25. August im Hotel Meurice, dem Hauptquartier des Generals (Niels Arestrup). Dort lässt er sich über letzte Vorbereitungen zur Sprengung unterrichten.

 

Dann schleicht sich Konsul Nordling (André Dussolier) in sein Büro – über eine Geheimtreppe und -tür, die angeblich Napoleon III. einbauen ließ, um ungesehen zu seiner Geliebte zu kommen. Ein Scherz von Schlöndorff, und zugleich der einzige heitere Moment. Denn jetzt beginnt ein verbaler Schlagabtausch mit hohem Einsatz: unschätzbare Kulturgüter und das Leben zahlloser Menschen.

 

Konsul lockt, General wird ungehalten

 

Nordling zieht alle rhetorischen Register: Er appelliert an von Choltitz‘ Sachverstand, weil die Zerstörung militärisch sinnlos wäre, die Verantwortung für seine Männer und sein Gewissen. Er schmeichelt ihm, lockt ihn mit Versprechen, sich bei den Alliierten für ihn einzusetzen, und droht ihm, sollte er uneinsichtig bleiben.

 

Nichts beeindruckt den General. Anfangs betont er Disziplin und Gehorsam. Als Nordling nicht locker lässt, wird von Choltitz ungehalten; mehrmals will er den lästigen Konsul hinauswerfen. Doch der findet stets einen neuen Dreh, wie er die Aufmerksamkeit des Deutschen allmählich von der militärischen zur menschlichen Perspektive lenken kann.

 

Diplomat agiert auf eigene Faust

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Volker Schlöndorff über "Diplomatie"

 

und hier eine Besprechung des Films "Baal" - 44 Jahre lang verbotene Brecht-Adaption aus dem Jahr 1969 von Volker Schlöndorff mit Rainer Werner Fassbinder

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Monuments Men – Ungewöhnliche Helden" über Kunst-Rettung am Ende des Zweiten Weltkriegs von + mit George Clooney

 

und hier einen Bericht über den Film "Mein liebster Alptraum" - sozial-utopische Komödie von Anne Fontaine mit André Dussollier.

 

Dieses Wortgefecht aus lauter präzisen Verbalattacken ist ein Virtuosenstück für beide Hauptdarsteller. Arestrup, Franzose dänischer Abstammung, gibt den General als Inbegriff soldatischer Tugenden: kein verblendeter Erfüllungsgehilfe des Nazi-Terrors, sondern ein Profi-Militär, der pflichtbewusst jeden Befehl ausführt – das gebietet ihm sein Berufsethos.

 

André Dussolier verleiht seinem Konsul schillernden Charme – was passt: Der wirkliche Nordling, Halbfranzose und gebürtiger Pariser, agierte auf eigene Faust ohne Wissen seiner Regierung. Im Film kontert er das ganze Offiziersgerede von Pflicht, Ehre und Vaterland mit dezenten Erinnerungen an zivile Genüsse: Musik, Tafelfreuden, geistvolle Gespräche und die Liebe. Gegen kalten Technokraten-Geist bringt er diplomatisch das Gefühl in Stellung.

 

Richtiges Nichtstun

 

Wie Regisseur Volker Schlöndorff: Wenn beide Kontrahenten aufs Hausdach steigen, wo der rote Knopf zur Sprengung wartet, genügt ihm ein Schwenk über das Stadtpanorama. Und die Ahnung, dass diese unsagbare Schönheit, eine der kostbarsten Schätze der Menschheit, gleich in die Luft fliegen könnte, ist entsetzlicher als jeder Leichenberg.

 

Der reale General von Choltitz soll ein knorrig korrekter Offizier gewesen sein. Er war im Krieg an der brachialen Eroberung von Rotterdam und Sewastopol beteiligt, hatte also gewiss viel Blut an den Händen. Doch im entscheidenden Augenblick hat er das Richtige getan – indem er es unterließ.