
Herr Schlöndorff, was hat Sie am Thema gereizt, wie Paris vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg bewahrt wurde?
Erstens ist es eine Geschichte mit gutem Ausgang; das kommt bei mir ja selten vor. Zweitens bin ich in Paris aufgewachsen, zur Schule gegangen und liebe die Stadt, mit der ich wichtige Erlebnisse in meinem Leben verbinde. Natürlich habe ich zum Thema einen Bezug – nicht unbedingt zu den Postkarten-Bildern von Notre Dame, Eiffelturm und Sacre-Cœur, sondern eher zu den Straßenecken, Kneipen und kleinen Hotels.
Info
Diplomatie
Regie: Volker Schlöndorff,
84 Min., Deutschland/ Frankreich 2014;
mit: Niels Arestrup, André Dussollier, Robert Stadlober
Drei Akteure in Pokerpartie
Diese Stadt zu feiern, hat mich überzeugt. Es gibt im Film drei Akteure: der General, der Konsul und die Stadt Paris. Sie ist der Einsatz in der Pokerpartie, die beide spielen. Das Spiel selbst ist auch unabhängig vom Zweiten Weltkrieg eine interessante Fiktion vor realem Hintergrund. Mit zwei erfundenen Helden: Mich kümmert nicht, wie der echte General und der echte Konsul gewesen sind, sondern wir haben versucht, zwei spannende Charaktere zu erfinden.
Auszüge des Interviews
Hitler wollte alles platt machen
Welche Elemente im Film sind historisch verbürgt, und was wurde hinzugedichtet?
Die Ausgangssituation ist bekannt: Frankreich war vier Jahre lang von uns Deutschen besetzt, bis die Alliierten landeten. 14 Tage später fand ein Anschlag auf Hitler statt, den er überlebt hat. Nun marschieren die Alliierten auf Paris los. Und Hitler gibt den Befehl, er wolle nicht, dass die Stadt den Alliierten unversehrt in die Hände fällt; alles solle platt gemacht werden. Wie in Warschau, das nur noch ein Trümmerfeld war.
Weil Hitler seinen Generälen in Frankreich nicht mehr vertraut, schickt er seinen verlässlichsten Haudegen nach Paris, um den Befehl auszuführen. General von Choltitz kommt dort an; die Brücken und meisten Gebäude werden vermint. Dann kommen dem General Zweifel, was dadurch bewirkt würde.
Rettung durch Material-Mangel
Strategisch hatte der Befehl überhaupt keinen Sinn. Die Alliierten hätten an Paris vorbei nach Deutschland marschieren und die Stadt irgendwann später einnehmen können. Der General hatte auch nicht die Mittel, um die Stadt zu verteidigen. Dafür haben Andere gesorgt, die vielleicht die eigentlichen Retter von Paris gewesen sind.
General Speidel und andere, die im Norden von Paris waren, haben nicht die nötigen Soldaten und Material in die Stadt hineingeschickt; sie haben vor allem das Kommando über die Bomber verweigert, die noch im Flughafen Le Bourget standen. So hatte Choltitz Recht, die Stadt nicht in die Luft zu sprengen, weil er dazu nicht die nötigen Mittel hatte. Er hätte sie aber gern gehabt – und wer weiß, was er dann getan hätte.
Konsul überbrachte alliiertes Ultimatum
Choltitz hat den schwedischen Konsul Nordling mehrfach getroffen, um über Gefangenen-Entlassungen und Waffenstillstand für Stunden oder Tage zu verhandeln, so dass zwischen beiden eine Beziehung da war; vielleicht ein gewisses Vertrauensverhältnis. Die Alliierten ließen den schwedischen Konsul ein Ultimatum an den General überbringen: Wenn Sie uns Paris unversehrt ausliefern, dann werden Sie und Ihre Männer verschont. Das Ultimatum hat der General, glaube ich, in dieser Form nicht angenommen.
Das sind die Fakten. Doch was in den Köpfen der Beteiligten vor sich ging, ist natürlich nicht belegt. Die Überlebenden sind tot; ihre autobiographischen Darstellungen widersprechen sich. Hier war ein Freiraum, wo man erfinden konnte; das leistet Cyril Gély in seinem Stück.
Franzosen reagieren wahnsinnig emotional
Ich habe das Umfeld dazu erfunden; etwa die Sprengmeister und einen französischen Ingenieur, der als Kollaborateur den General berät. Und die Szene auf dem Dach, wo im Anblick der gesamten Stadt, wie sie heute noch aussieht, der General den Befehl geben muss: ja oder nein.
Obwohl man weiß, wie es ausgeht, ist das unglaublich spannend. In diesem Moment stockt dem französischen Publikum der Atem; es reagiert wahnsinnig emotional. Dann bleibt der Befehl aus. Viele Franzosen haben mir erzählt, sie seien nach der Kino-Vorstellung eine Stunde durch die Stadt gelaufen. Mit dem Gedanken im Kopf: Mensch, das könnte alles weg sein! Also ist das keine abstrakte Debatte.
Wie in französischem Film von 1966
Konsul Nordling tritt im Film als Ein-Mann-Rettungsunternehmen auf, der entscheidende rhetorischen Knöpfe drückt. Ist er der Oskar Schindler von Paris?
Das wäre zuviel gesagt. Ohne Auftrag seiner Regierung hat er sicher alles getan, um das Schlimmste zu verhindern. Er hat sich selbst zum Mittler ernannt, aber es hing nicht nur von seinen Gesprächen mit General Choltitz ab, ob gesprengt wird oder nicht. Da gab es noch andere Instanzen, wie die Wehrmachts-Generalität und ihre Einheiten am Rande von Paris.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Diplomatie" von Volker Schlöndorff
und hier eine Besprechung des Films "Baal" - 44 Jahre lang verbotene Brecht-Adaption aus dem Jahr 1969 von Volker Schlöndorff mit Rainer Werner Fassbinder
und hier einen Beitrag über den Film "The Monuments Men – Ungewöhnliche Helden" über Kunst-Rettung am Ende des Zweiten Weltkriegs von + mit George Clooney
und hier einen Bericht über den Film "Zwischen Welten" - Kriegsdrama über die Bundeswehr in Afghanistan von Feo Aladag mit Ronald Zehrfeld.
Weltgeschichte mit human factor
In diesem fast dreistündigen Film füllt unsere Episode nur sieben Minuten, aber die Dynamik ist vergleichbar. Es gibt bei wichtigen historischen Entscheidungen immer auch den human factor. Letztlich muss sich jeder entscheiden, ob er Befehlen gehorcht oder seinem Gewissen; in diesem Fall ist das so deutlich wie selten in der Weltgeschichte.
In memoriam Richard Holbrooke
Warum trägt der Film den lakonisch nüchternen Titel „Diplomatie“?
So heißt Gélys Theaterstück: Außer dem Krieg geht es vor allem darum, was Diplomatie bewirken kann. Der Film ist meinem verstorbenen Freund Richard Holbrooke (US-Sondergesandter für den Balkan in den 1990er Jahren, A.d.R.) gewidmet, der den Bosnien-Krieg durch zähe Verhandlungen mit dem Dayton-Abkommen beendet hat.
In einer Zeit, in der in vielen Ländern militärisch gekämpft wird, zu unterstreichen, dass nicht Verhandlungsrunden mit Dutzenden von Teilnehmern, sondern der Einsatz von Einzelnen mehr erreichen könnte – das rechtfertigt für mich den Titel.