
In den friedlichen 1990er Jahren wurden sie von Leitartiklern und Politologen mit Spannung erwartet: Öko-Terroristen, die im Kampf um die Rettung der Natur zur Gewalt greifen. Dann steuerten am 11. September 2001 Islamisten zwei Flugzeuge in das World Trade Center; der Rest ist Weltgeschichte.
Info
Night Moves
Regie: Kelly Reichardt,
112 Min., USA 2013;
mit: Jesse Eisenberg, Dakota Fanning, Peter Sarsgaard
Geduldsfaden reißt vor Klimakatastrophe
Das könnte sich ändern. Umweltschutz ist in allen Industrienationen mittlerweile Staatsziel, aber die Maßnahmen dafür reichen längst nicht aus: Die Klimakatastrophe rückt näher. Dass ein paar militanten Ökotopisten der Geduldsfaden reißt und sie mit drastischen Mitteln aufrütteln wollen, erscheint denkbar. Da setzt Regisseurin Kelly Reichardt mit „Night Moves“ an.
Offizieller Filmtrailer
Staumauer sprengen + Kraftwerke lahm legen
Der Film spielt im Nordwesten der USA: Oregon ist ein Sammelbecken der amerikanischen Alternativ-Szene. Hier leben viele Freidenker und Nonkonformisten; ein Viertel aller Einwohner bezeichnet sich als areligiös – mehr als in jedem anderen US-Bundesstaat. Josh (Jesse Eisenberg) zählt dazu: Der junge Einzelgänger wohnt auf einem kollektiv bewirtschafteten Bio-Bauernhof. Mit Gemüseanbau kennt er sich genauso gut aus wie mit Landmaschinen.
Das Internet verbindet ihn mit Dena (Dakota Fanning) und Harmon (Peter Sarsgaard). Alle drei wollen mit einem big bang ein Zeichen setzen, in dem sie eine Fluss-Staumauer sprengen und Wasserkraftwerke lahm legen. Dena und Josh kaufen ein Motorboot, um es zur schwimmenden Bombe aufzurüsten. Harmon weiß, wie das geht: Der undurchsichtige Einsiedler mit Knasterfahrung kennt allerlei illegale Tricks.
Menschenopfer für eine gute Sache
Bis zum Anschlag läuft alles nach Plan. Danach erfährt das Trio jedoch, dass die ausgelöste Flutwelle einen Camper fortgeschwemmt hat. Jetzt plagen Dena heftige Gewissensbisse – umso mehr, als sie damit allein zurecht kommen muss: Um Fahnder in die Irre zu lenken, haben die Drei vereinbart, untereinander jeden Kontakt abzubrechen. Josh hält sich nicht daran. Er bringt Dena zum Schweigen – was ihn zwingt, seine bisherige Existenz aufzugeben.
Nun ist die Einsicht, dass die Revolution ihre Kinder frisst, mehr als 200 Jahre alt. Auch das moralische Dilemma, ob der Einsatz für eine gute Sache Menschenopfer rechtfertigt, ist schon vielfach diskutiert worden: von der Debatte über Tyrannenmord im antiken Athen bis zur Unterscheidung westdeutscher Linksradikaler der 1970er Jahre zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen. Die Spontis blieben bei dieser, die RAF griff zu jener.
Brokkoli als Sprengstoff-Zauberwort
Selten aber sind diese Fragen so wortkarg durchdekliniert worden wie in „Night Moves“ – als würde jede unnötige Silbe die hehre Absicht besudeln. Nur Dena macht gerne den Mund auf, solange sie kann; ihre Kompagnons sind so maulfaul wie tatkräftig. Und Regisseurin Kelly Reichardt sieht ihnen geduldig zu.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Promised Land” – Polit-Thriller über Gas-Förderung mittels Fracking von Gus van Sant mit Matt Damon
und hier einen Beitrag über den Film "The Company You Keep – Die Akte Grant" - Polit-Thriller über US-Terroristen der 1970er Jahre von und mit Robert Redford
und hier einen Bericht über die Doku "Slow Food Story" - unterhaltsame Geschichte der Slow-Food-Bewegung von Stefano Sardo.
Fehlbesetzung mit pokerface
Dagegen spielt sich die konfliktträchtige Ernüchterung der Protagonisten fast wortlos ab. Was akzeptabel wäre, wenn sie ihren Skrupeln nonverbal Ausdruck verliehen, doch das misslingt ihnen. Meist heftet sich der Film an die Fersen seines Stars: Jesse Eisenberg wurde 2010 berühmt, als er in „The Social Network“ von David Fincher den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg mimte.
Als grüblerischer Überzeugungstäter ist Eisenberg aber eine glatte Fehlbesetzung: Man nimmt seinem pokerface und erratischen Handeln nicht ab, dass ihn innerlich mehr bewegt als blanke Orientierungslosigkeit. Vielleicht sind viele Aussteiger und Käuze in Oregon so? Kelly Reichardt dürfte es wissen: Dort spielen fast alle ihre Filme, auch der hochgelobte Frauen-Western „Meek’s Cutoff“ (2010).
Öko-anarchistischer acte gratuit
Doch wenn „Night Moves“ mehr als eine Nabelschau zur Selbstverständigung im Mekka der US-Alternativszene sein soll, dann müsste der Film mehr inhaltliche Substanz über das Warum und Wozu solcher Radikalisierung bieten. Als Chronik eines öko-anarchistischen acte gratuit wirkt er reichlich unglaubwürdig. Die gute Nachricht ist: Vor solchen Umwelt-Terroristen braucht sich die Welt auf absehbare Zeit nicht zu fürchten.