Im rundum verglasten Quaderbau der Neuen Nationalgalerie läuft Nachtbetrieb: Täglich wird ab 22 Uhr die halbstündige Multimedia-Performance „Die Sonne kommt näher“ von Otto Piene (1928-2014) gezeigt. Er schuf sie 1966/67 für ein kleines New Yorker Theater, wo er im raschen Wechsel rund 1100 handbemalte Glas-Dias projizierte. Jetzt füllen die Dia-Bilder das gesamte Erdgeschoss; noch nie wurde diese Arbeit in solch großem Format gezeigt. Was Nachtschwärmer begeistert: Allabendlich bestaunen sie in Scharen diese Proto-light show. Am Wochenende kommen Hunderte.
Info
Otto Piene – More Sky
17.07.2014 - 31.08.2014
täglich außer montags
22 bis 3 Uhr in der
Neuen Nationalgalerie,
Potsdamer Straße 50, Berlin
und täglich 10 bis 20 Uhr
in der Deutsche Bank KunstHalle, Unter den
Linden 13/15, Berlin.
Künstler-Handbuch
"More Sky" 29,80 €
Regenbogen über Olympiade 1972
Tagsüber führt die KunstHalle der Deutschen Bank (DB) Pienes Vielseitigkeit vor. Die Ausstellung umfasst etwa 60 Exponate: von der Leuchtskulptur „Double Neon“, die einer Doppel-Discokugel gleicht, über riesige rote Rauchbilder auf Leinwand bis zu Zeichnungen und Fotos seiner Licht- und Freiluft-Installationen. Ein Film dokumentiert ein frühes Sky Art Event: Während der Olympischen Spiele 1972 in München ließ Piene das Stadion von einem riesigen Plastik-Regenbogen überspannen.
Feature mit Statemens von Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie, + Impressionen der Ausstellung in der Deutsche Bank KunstHalle; © kunsthalledb
Heliumballons bis zu 90 Meter hoch
Ein neues Sky Art Event sollte beide Teile der Ausstellung ergänzen. Über dem Dach der Neuen Nationalgalerie wollte Piene selbst am 19. Juli weiße Heliumballons bis zu 90 Meter hoch aufsteigen lassen. Doch die dort schwebenden Kunstwerke wurden zum Nachruf: Zwei Tage zuvor war Piene am Folgetag der Eröffnung seiner zweiteiligen Werkschau gestorben.
Er wird als Experimental-Avantgardist der 1960er Jahre geschätzt, der neue Kunstformen erschloss, aber sein Optimismus wird belächelt. Oft tut man die Aufbruchsstimmung, die seine Werke verbreiten sollten, als romantisch ab. Doch Piene war weder naiver Idealist noch Himmelsstürmer mit einer Vorliebe für bunte Leuchtblasen und riesige Ballons: Er sah den Himmel als offenen Raum und in jeder Art von Material die Möglichkeit von Erneuerung.
Impressionen des Sky Art Event am 19.07.2014; © bnd berlin
Vulkan wie mit Lava gemalt
Die Schau in der DB Kunsthalle präsentiert eine erstaunliche schöpferische Bandbreite. „Hot Mountain“ ist ein Gemälde aus Öl, Feuer und Heu auf Leinwand, als hätte Piene einen Vulkan mit Lava gemalt. Wie eine Schwarzweiß-Fotocollage mutet „In and Over Mardi Gras“ an: Zahllose Hände entlassen wilde Figuren in den Himmel. Gegenüber leuchtet die Farbfläche des Ölgemäldes „Yellow“ in sattem Gelb mit pastoser Binnenstruktur.
Den letzten Raum der Ausstellung füllt eine „Die/Cube“ genannte Lichtinstallation samt Leuchtwürfel: Der Titel oszilliert zwischen der geometrischen Würfelform (cube) und dem englischen Wort für Spielwürfel (die). In diesem Meer wandernder Lichtreflexe fragt man sich, ob ihre Abfolge zufällig oder programmiert ist. Das bleibt unergründlich: Beim Betrachter fällt der Würfel jedenfalls nicht.
Erleuchtung für von Krieg verdunkelte Welt
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Heinz Mack in Berlin: Works from 1958 – 2012" - Retrospektive des Mitbegründers der ZERO-Gruppe in der Galerie Arndt, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "“Der geteilte Himmel: Die Sammlung 1945–1968” in der Neuen Nationalgalerie in Berlin mit dem Lichtraum von Otto Piene
und hier einen Bericht über die Ausstellung “Attila Csörgö: Der Archimedische Punkt” über den ungarischen Lichtobjekt-Tüftler in der Kunsthalle, Hamburg.
Wie zur gleichen Zeit der Konzeptkünstler Yves Klein suchten die ZERO-Mitglieder nach Vibration in der Monochromie, nach Bewegung in der Ruhe. Diese Suche nach der Bedeutung selbst winziger Veränderungen ergab eine Verbindung zur Wissenschaft. Piene interessierte sich für Quantenmechanik, Elektronenmikroskopie und ökologische Nachhaltigkeit.
Black Planet Award für Deutsche Bank
1973 ging er zum Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) und leitete dort 20 Jahre lang ein Medienlabor für optische Experimente. Dort baute er den Schwerpunkt Ökologie immer weiter aus. Ab 2004 entwarf er jährlich einen neuen Blue Planet Award, mit dem die linksökologische Ethecon-Stiftung herausragende Leistungen zur Bewahrung Erde auszeichnet. Vergeben wird auch der Black Planet Award an besonders üble Umweltsünder, etwa an die Konzerne Nestlé und Monsanto – und 2013 an die Deutsche Bank.
Mit seinem Wirken hat er manche Künstler der folgenden Generation beeinflusst, etwa Olafur Eliasson. „Contact is content“, schrieb er über Piene: Der Sinn seiner Kunst komme durch den Kontakt, die Berührung zustande; durch die Form der Übertragung. Dadurch gewinnt Piene eine Freiheit, die seinen utopischen Idealismus ermöglicht. Der Himmel ist keine Grenze mehr: Neue Wege eröffnen sich, die neue Verbindungen schaffen.