München

Stan Douglas: Mise en scène

Hastings Park, 16th July 1955, aus der Serie "Crowds and Riots", 2008; © Stan Douglas. Fotoquelle: Haus der Kunst, München
Turbulenzen am Haus der Kunst: Der Haupt-Sponsor springt ab, die Haus-Freunde streiten sich. Das passt zu Foto- und Film-Installationen von Stan Douglas – der Kanadier inszeniert Unruhen und Umbrüche der Nachkriegszeit historisch detailgetreu nach.

Das Haus der Kunst ist in Turbulenzen, seit Anfang Juni der größte Mäzen absprang: Bislang hat die Schörghuber Unternehmensgruppe zum Etat des Hauses jährlich eine halbe Million Euro beigesteuert, was rund zehn Prozent seines Jahresbudgets entsprach. Im Verein „Gesellschaft der Freunde Haus der Kunst“ wird hinter den Kulissen heftig um Geld und Führungspersonal gestritten.

 

Info

 

Stan Douglas:
Mise en scène

 

20.06.2014 - 12.10.2014

täglich 10 bis 20 Uhr,
donnerstags bis 22 Uhr

in dem Haus der Kunst, Prinzregentenstr.1, München

 

Katalog 49,95 €

 

Weitere Informationen

 

Auch der international bestens vernetzte, lokal eher distanziert auftretende Direktor Okwui Enwezor, der 2002 Chef der documenta 11 in Kassel war und im nächsten Jahr die Biennale in Venedig leiten soll, ist in die Diskussion geraten. Nicht alle seiner heterogenen Ausstellungen, die zwischen akademischem Diskurs und lifestyle angesiedelt sind, wirken überzeugend; manche finden wiederum trotz hoher Qualität nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.

 

Künstler-Trio aus Vancouver

 

Derzeit präsentiert das Haus unter dem Titel „Mise en scène“ den Foto- und Filmkünstler Stan Douglas. Der 53-jährige stammt wie seine ähnlich erfolgreichen Kollegen Jeff Wall und Rodney Graham aus dem kanadischen Vancouver, wo er auch studierte. Die Ausstellung konzentriert sich auf neuere Werkserien, in denen Douglas historische Ereignisse re-inszeniert.


Feature über die Ausstellung; © Haus der Kunst


 

Schnappschüsse aus der Nachkriegszeit

 

Seine Fotografien wirken nur scheinbar wie Schnappschüsse aus der jüngeren Vergangenheit. Douglas’ bevorzugte Ära, in der er seine an der damaligen Wirklichkeit orientierte Arbeiten ansiedelt, ist die Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg: von der unmittelbaren Nachkriegszeit, eine Umbruchs-Phase voller Chaos und Gesetzlosigkeit, bis zur rigiden Moral und Ideologie der 1950er Jahre.

 

Mit der Fotoserie „Crowds and Riots“ („Menschenmengen und Unruhen“) von 2008 erinnert der Künstler an wichtige Ereignisse in seiner Heimatstadt. Dazu gehört „Ballantyne Peer, 18 June 1935“: Streikende Hafenarbeiter werden vor einer stillgelegten Zucker-Raffinerie von der Polizei auseinandergetrieben und verhaftet. Bei dieser dramatisch zugespitzten Momentaufnahme liegt der Vergleich nahe mit den großformatigen Foto-Leuchtkästen von Jeff Wall – etwa seine Festnahme-Szene „Eviction Struggle“ in der Pinakothek der Moderne. Allerdings akzentuiert Douglas stärker seine Protagonisten.

 

Zu gut ausgeleuchtet, um echt zu sein

 

Auf „Hastings Park, 16 Juni 1955“ lichtet er das Publikum bei einem Pferderennen ab: als nuancierte Zusammenstellung vielfältiger Physiognomien und Altersstufen. Alles wirkt unglaublich echt – doch dieses Foto-Tableau ist zu gut ausgeleuchtet, um wahr zu sein.

 

Der Werk-Zyklus „Disco Angola“ verbindet erfundene Impressionen aus dem New York der 1970er Jahre mit Bildern aus Angola; das afrikanische Land war bis 1974 portugiesische Kolonie und versank nach der Unabhängigkeit in einem verheerenden Bürgerkrieg. Beide Orte verbindet ihre Umbruchsituation, was ihnen zeitlose Aussagekraft verleiht: ob Tänzer der New Yorker Underground-Musikszene oder angolanische Rebellen – die Posen ähneln sich.

 

Sittengemälde von 1948 im Theater

 

Etwas aus dem Rahmen fällt die Video-Musik-Installation „Luanda-Kinshasa“: Douglas filmte Musiker im Studio bei einem Langzeit-Gig, der Jazz à la Miles Davis mit Weltmusik-Klängen kombiniert und entspannte Endlos-grooves bietet.

 

Hintergrund

 

Link zur interaktiven Kunst-App "Circa 1948" von Stan Douglas

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Jeff Wall in München" - Ausstellung von Foto-Dioramen in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Rodney Graham: Through the Forest" - Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Gregory Crewdson - In A Lonely Place" - inszenierte Pseudo-Dokumentar-Fotografie in der Galerie C/O, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "“Geschichten im Konflikt” über “Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937-1955″ im Haus der Kunst, München.

 

Die Ausstellung umfasst auch eine Theater-Installation, die am 18. Juni ihre Europa-Premiere in den Münchener Kammerspielen feierte: „Helen Lawrence“, ein Sittengemälde von Vancouver 1948 in der Ästhetik des Film noir. Die Titelfigur kommt aus der Psychiatrie und sucht nach dem Mörder ihres Mannes. Sie taucht ein in einen Mikrokosmos aus korrupten Polizisten, Zockern und gefallenen Mädchen.

 

Darsteller auf leerer Bühne,
Kulissen kommen aus Computer

 

Douglas schrieb und inszenierte das Drama als closed circuit: Die Darsteller agieren vor einem bluescreen, das Bühnengeschehen wird in eine computergenerierte Kulisse integriert und die gesamte Szene auf eine Leinwand projiziert, die vor die Bühne gespannt ist. Er entwickelte dafür auch eine Kunst-App im Internet, mit der man einen guten Eindruck bekommt.

 

Das Stück fesselt, weil die Schauspieler perfekt besetzt wurden: lauter plastische Typen, vom skrupellosen weißen cop oder dem schwarzen Club-Besitzer mit Ehrenkodex bis zur blonden Unschuld vom Lande oder einer Latino-Prostituierten. Doch ob Täter oder Opfer, Sympathieträger oder Fiesling – es gibt kaum Zwischentöne. Man staunt über die Figuren, aber sie berühren einen nicht. Das gehört zum Konzept: Douglas blickt kühl auf seine Protagonisten; er erfasst sie intellektuell, nicht emotional.

 

Renommierte Akteure auf Durchreise

 

Mit dieser Ausstellung fügt er sich nahtlos ein in die Riege interessanter afroamerikanischer Künstler, die Okwui Enwezor ins Haus der Kunst geholt hat: Fast alle sind bei New Yorker Großgaleristen unter Vertrag wie Stan Douglas bei David Zwirner, und bringen internationales Renommee mit. In München wirken sie, ähnlich wie der Direktor, ein wenig wie Durchreisende in Sachen Kunst.