Berlin

Avantgarde!

Glühbirnen-Reklame der AEG um 1910 (Detail); Foto: ohe
Oben die Bilder, unten die Worte: Die Kunstbibliothek sortiert Grafik von 1890 bis 1918 fein säuberlich in zwei Abteilungen. Oben sind die Wände voll, unten die Vitrinen: Erläuterungen erscheinen in der Kulturforum-Ausstellungshalle entbehrlich.

Ein Jubiläum, bei dem es wenig zu bejubeln gibt: Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs liegt hundert Jahren zurück. Das soll von allen irgendwie reflektiert werden, auch der Kulturlandschaft; was mal mehr, mal weniger schief gerät. Die Staatlichen Museen Berlin (SMB) feuern unter dem Motto „Aufbruch – 1914 – Weltbruch“ eine ganze Breitseite von Ausstellungen ab. Darunter die aktuelle Grafik-Schau mit 700 Exponaten im Kulturforum, die passend martialisch mit Ausrufezeichen betitelt ist: „Avantgarde!“

 

Info

 

Avantgarde!

 

06.06.2014 - 12.10.2014

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin

 

Katalog 38 €

 

Weitere Informationen

 

Wobei der erste Teil „Die Welt von Gestern. Deutschland und die Moderne“ wenig avantgardistisch wirkt. Stattdessen ist der Wiedererkennungswert der Bildmotive von Jugendstil über Art Nouveau bis Symbolismus recht hoch – als wären sämtliche Poster eingesammelt worden, die man je in WG-Küchen über dem nie geputzten Gasherd hängen sah.

 

Kein 1914 ohne absoluten Bruch

 

Im oberen Stockwerk der Ausstellung wird nämlich das „neue Medium Bildplakat“ von 1890 bis 1914 gezeigt. Das ist in sich widersprüchlich, da dieses neue Medium die Welt von heute viel stärker prägt als die Welt von gestern. Damit die Ausstellung sich aber auf das „Schicksalsjahr“ 1914 beziehen kann, behauptet sie einen absoluten Bruch auch im kulturellen Bereich.

 

„Ein echtes Kind unserer Zeit“

 

Das funktioniert nicht so recht. Die Brüche, die im zweiten Teil unter dem Titel „Wort und Freiheit. Rebellion der Avantgarde 1909 –1918“ vorgeführt werden, haben sich in der „Welt von Gestern“ visuell längst vorbereitet. Dabei kommt das Auge auf seine Kosten: Viele wunderschöne Lithographien sind versammelt, dazu Buchkunst, Einbände, Ausstellungs- und Werbeplakate verschiedener Stile.

 

Allerdings sucht man vergebens nach Struktur; die Anordnung der Exponate erscheint willkürlich. Eine Litfasssäule trägt tief schürfende Zitate wie „Die Linie ist eine Kraft“ vom Jugendstil-Designer Henry van der Velde oder „Die Plakatkunst ist ein echtes Kind unserer Zeit“, so 1897 der Maler Max Schmidt. Dazwischen sind noch ein paar Möbel ausgestellt – als Beitrag des Kunstgewerbemuseums, das auch mitmachen wollte; es wird im November wiedereröffnet.

 

Papierberge in stummen Vitrinen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung  “Der Sturm – Zentrum der Avantgarde” mit Werken des Expressionismus im Von der Heydt-Museum, Wuppertal

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900" mit Werken des Symbolismus + Art Nouveau in der Schirn, Frankfurt am Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde über Kubofuturismus + Suprematismus in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Leidenschaft, Funktion und Schönheit" über "Henry van de Velde und sein Beitrag zur europäischen Moderne" im Neuen Museum, Weimar

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "1914 - Die Avantgarden im Kampf" - in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

Dagegen gibt die Ausstellung im unteren Stockwerk optisch wenig her. Für den zweiten Teil über die klassischen Avantgarden hat man Archive geplündert und in Vitrinen ausgebreitet. Viele Seiten Briefe und handschriftliche Notizen sind sicher spannend, wenn man intensiv zu expressionistischen Zentralorganen wie Herwarth Waldens „Der Sturm“ und Franz Pfemferts „Die Aktion“ recherchiert. Doch das lässt Besucher, die sich nicht durch Papierberge wühlen möchten, rat- und begeisterungslos zurück; zumal Wandtexte weitgehend fehlen.

 

So ist man für Kommentare und Informationen ganz und gar auf den Audioguide angewiesen. Ohne Knopf im Ohr wandert man etwas orientierungslos umher und fragt sich: Sollte eine akustische Erklärung nicht eher hilfreiche Beigabe sein, anstatt die gesamte Struktur der Ausstellung selbst auszumachen? Wenigstens finden sich zwischen all den stummen Vitrinen auch ein paar gesprochene Worte: Originalaufnahmen eigener Texte etwa vom Futuristen Filippo Marinetti oder dem Dadaisten Hans Arp aus den Jahren 1912/14.

 

Geld für dramatische Brüche

 

Ansonsten steht hier weniger die alte Welt der Moderne dem Aufbruch der künstlerischen Avantgarde gegenüber, als vielmehr Bilder den Worten – wobei der fragwürdige Eindruck entsteht, erst würden die Bilder dominieren und später die Worte. Zwischen beiden Phasen wird ein Bruch konstruiert. Eine Strategie, die der Publizist Rüdiger Safranski auch bei Philosophen der Epoche wie Carl Schmitt oder Martin Heidegger beobachtet hat; er nennt sie „Adventisten des Nichts“.

 

Indem diese Denker dramatische Umsturzpunkte inszenierten, so Safranski, versuchten sie die Spannung zu steigern: So werde die Erzählung von Ereignissen um einen Wendepunkt herum geordnet und damit dominiert. Diese Strategie ist immer noch beliebt: Ohne sie gibt es wohl weniger Kulturförderung.