Ein Jubiläum, bei dem es wenig zu bejubeln gibt: Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs liegt hundert Jahren zurück. Das soll von allen irgendwie reflektiert werden, auch der Kulturlandschaft; was mal mehr, mal weniger schief gerät. Die Staatlichen Museen Berlin (SMB) feuern unter dem Motto „Aufbruch – 1914 – Weltbruch“ eine ganze Breitseite von Ausstellungen ab. Darunter die aktuelle Grafik-Schau mit 700 Exponaten im Kulturforum, die passend martialisch mit Ausrufezeichen betitelt ist: „Avantgarde!“
Info
Avantgarde!
06.06.2014 - 12.10.2014
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin
Katalog 38 €
Kein 1914 ohne absoluten Bruch
Im oberen Stockwerk der Ausstellung wird nämlich das „neue Medium Bildplakat“ von 1890 bis 1914 gezeigt. Das ist in sich widersprüchlich, da dieses neue Medium die Welt von heute viel stärker prägt als die Welt von gestern. Damit die Ausstellung sich aber auf das „Schicksalsjahr“ 1914 beziehen kann, behauptet sie einen absoluten Bruch auch im kulturellen Bereich.
„Ein echtes Kind unserer Zeit“
Das funktioniert nicht so recht. Die Brüche, die im zweiten Teil unter dem Titel „Wort und Freiheit. Rebellion der Avantgarde 1909 –1918“ vorgeführt werden, haben sich in der „Welt von Gestern“ visuell längst vorbereitet. Dabei kommt das Auge auf seine Kosten: Viele wunderschöne Lithographien sind versammelt, dazu Buchkunst, Einbände, Ausstellungs- und Werbeplakate verschiedener Stile.
Allerdings sucht man vergebens nach Struktur; die Anordnung der Exponate erscheint willkürlich. Eine Litfasssäule trägt tief schürfende Zitate wie „Die Linie ist eine Kraft“ vom Jugendstil-Designer Henry van der Velde oder „Die Plakatkunst ist ein echtes Kind unserer Zeit“, so 1897 der Maler Max Schmidt. Dazwischen sind noch ein paar Möbel ausgestellt – als Beitrag des Kunstgewerbemuseums, das auch mitmachen wollte; es wird im November wiedereröffnet.
Papierberge in stummen Vitrinen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung “Der Sturm – Zentrum der Avantgarde” mit Werken des Expressionismus im Von der Heydt-Museum, Wuppertal
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Esprit Montmartre. Die Bohème in Paris um 1900" mit Werken des Symbolismus + Art Nouveau in der Schirn, Frankfurt am Main
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde” über Kubofuturismus + Suprematismus in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Leidenschaft, Funktion und Schönheit" über "Henry van de Velde und sein Beitrag zur europäischen Moderne" im Neuen Museum, Weimar
und hier einen Bericht über die Ausstellung "1914 - Die Avantgarden im Kampf" - in der Bundeskunsthalle, Bonn
So ist man für Kommentare und Informationen ganz und gar auf den Audioguide angewiesen. Ohne Knopf im Ohr wandert man etwas orientierungslos umher und fragt sich: Sollte eine akustische Erklärung nicht eher hilfreiche Beigabe sein, anstatt die gesamte Struktur der Ausstellung selbst auszumachen? Wenigstens finden sich zwischen all den stummen Vitrinen auch ein paar gesprochene Worte: Originalaufnahmen eigener Texte etwa vom Futuristen Filippo Marinetti oder dem Dadaisten Hans Arp aus den Jahren 1912/14.
Geld für dramatische Brüche
Ansonsten steht hier weniger die alte Welt der Moderne dem Aufbruch der künstlerischen Avantgarde gegenüber, als vielmehr Bilder den Worten – wobei der fragwürdige Eindruck entsteht, erst würden die Bilder dominieren und später die Worte. Zwischen beiden Phasen wird ein Bruch konstruiert. Eine Strategie, die der Publizist Rüdiger Safranski auch bei Philosophen der Epoche wie Carl Schmitt oder Martin Heidegger beobachtet hat; er nennt sie „Adventisten des Nichts“.
Indem diese Denker dramatische Umsturzpunkte inszenierten, so Safranski, versuchten sie die Spannung zu steigern: So werde die Erzählung von Ereignissen um einen Wendepunkt herum geordnet und damit dominiert. Diese Strategie ist immer noch beliebt: Ohne sie gibt es wohl weniger Kulturförderung.