Die Älteren unter uns erinnern sich daran, wie Flure westdeutscher Unis in den 1970/80er Jahren aussahen: Jede Freifläche war mit Parolen linker Studi-Zirkel beklebt. Oft machten sie Info-Veranstaltungen über revolutionäre Kämpfe in der Dritten Welt. Die Länder wechselten, das Format blieb gleich: Erst referierte ein Genosse über die Lage vor Ort. Dann waren flackernde Filmbilder von Ausbeuter-Schurken, Guerilla-Helden und glücklich befreiten Einheimischen zu sehen; anschließend wurde theorielastig diskutiert.
Info
Concerning Violence − Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence
Regie: Göran Hugo Olsson,
90 Min., Schweden/ USA/ Dänemark 2014;
mit: Gayatri Chakravorty Spivak, MPLA, FRELIMO
Dschungel-Trupp in Angola
Dann schneidet Regisseur Göran Hugo Olsson historische TV-Aufnahmen aneinander. Schwedische Reporter drehten sie in den 1960/70er Jahren in Afrika; seither schlummerte das Material im Archiv des Staatsfernsehens. Die grobkörnigen Bilder sind von begrenztem Reiz: Da stapfen etwa schwarze MPLA-Kämpfer durch Angolas Dschungel, um ein portugiesisches Militärlager anzugreifen.
Offizieller Filmtrailer (OmU)
Fanon-Text in Balkenlettern eingeblendet
Weiße Rhodesier klagen bei Golf und Cocktails, sie würden von Bimbos aus ihrer Heimat vertrieben. Missionare in Tansania bedauern, dass ihre Schäfchen nicht monogam leben. In Liberia lassen weiße Bergbau-Chefs schwarze Gewerkschafter einschüchtern. Und Frauen der FRELIMO-Guerilla in Mosambik erzählen, wie gleichberechtigt sie mit ihren Waffenbrüdern sind: Schnappschüsse eines Kontinents im Zehn-Minuten-Takt.
Als roten Faden dieses Potpourris lässt Regisseur Olsson auf der Tonspur „Fugees“-Sängerin Lauryn Hill Auszüge aus „Die Verdammten dieser Erde“ vorlesen. Zugleich werden diese Zeilen in Balkenlettern eingeblendet − während der Bilderbogen beliebig weiterläuft: Schwarze bei der Feldarbeit, verelendete Einheimische, der dekadente lifestyle von Kolonialisten oder ihre Truppen im Kleinkrieg mit Untergrund-Bewegungen.
Zeit ist 1975 stehen geblieben
Das wäre als Uni-Vorlesung bahnbrechend multimedial, aber als Kinofilm? Zumal die Doku fast ein halbes Jahrhundert souverän ignoriert; hier ist die Zeit 1975 stehen geblieben. Themen und Formulierungen verbreiten Schwarzweiß-Denken im Wortsinne, das damals als progressiv galt: Unterdrückte Schwarze gegen weiße Ausbeuter − entmachtet sie, und alles wird gut.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Dokumentarfilms “The Black Power Mixtape 1967 – 1975” von Göran Hugo Olsson mit historischen Aufnahmen der US-Bürgerrechtsbewegung
und hier einen Bericht über den Vortrag des Black-Culture-Experten Manthia Diawara über Frantz Fanon + Antikolonialismus in Afrika auf den "Künstler-Kongressen" der documenta (13)
und hier einen Beitrag über den Film “Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld” von Miguel Gomes über das Ende des portugiesischen Kolonialreichs in Afrika
und hier eine Besprechung des Films “Der Fluss war einst ein Mensch” – beeindruckendes Psycho-Drama über eine Odyssee in Afrikas Wildnis von Jan Zabeil.
Remix des Black Power Mixtape
Als ausgebildeter Psychiater hatte Fanon das afrikanische Desaster in den 1970/80er Jahren zum Teil vorausgeahnt. Jahrhunderte lang erlittene Gewalt entfremdete die Kolonisierten von sich selbst und zerstörte ihre Sozialstrukturen, stellte er fest: Erst mit quasi therapeutischer Gewalt gegen die Kolonisatoren fänden sie wieder zu sich. Dafür setzte Fanon auf die entstehenden Nationen − und irrte sich gründlich. Die neuen Führer betrieben die Ausbeutung der Massen meist ungehindert weiter.
Diese postkolonialen Erfahrungen klammert Regisseur Olsson völlig aus. Offenbar will er die Erfolgsformel des „The Black Power Mixtape 1967 – 1975“ wiederholen. Auch seine Doku von 2011 über die US-Bürgerrechtsbewegung bestand nur aus alten TV-Reportagen und footage, doch diese Aufnahmen waren wesentlich aussagekräftiger. Etliche der einstigen Akteure sind noch bekannt, viele Phänomene dauern an, und die USA stehen ohnehin stets im Fokus: Das „Mixtape“ verdeutlichte glänzend manche Ursachen heutiger Probleme.
Links-exotischer Politkitsch
Dagegen ist revolutionsromantische 1970er-Jahre-Begeisterung für Drittwelt-Guerilleros allenfalls von musealem Interesse − und ein epochaler Text wie Fanons Klassiker zu vielschichtig, um ihn auf ein paar griffige Thesen zu verkürzen. Kippt man beides zusammen, wird daraus links-exotischer Politkitsch; ähnlich dem pseudo-informativen Augenfutter von breaking news-Shows, mit denen TV-Sender ihr Programm füllen.