Aachen

Karl der Große: Macht − Kunst − Schätze

Frontseite des Karlsschreins (Detail); Foto: Ann Münchow, © Domkapitel Aachen. Fotoquelle: Stadt Aachen
Vor 1200 Jahren starb Karl der Große. Wie er Aachens Zentrum formte, ist bis heute sichtbar; dort widmet ihm die Stadt eine Mammut-Ausstellung. In drei Teilen macht sie deutlich: Des Kaisers Vermächtnis war eine Bildungsreform, die Europa bis heute prägt.

Basis für Europas Denkstil

 

Solche edlen Statussymbole wollte Karl auch, nachdem er in endlosen Feldzügen gegen Sachsen, Slawen und Langobarden das zweite Großreich des Kontinents neben Byzanz zusammengeraubt hatte. Doch im Gegensatz zu heutigen Potentaten und Scheichs ließ er nicht nur Luxusgüter einführen, sondern auch Wissen und Ideen: Er rief Gelehrte aus ganz Europa an seinen Hof, ließ sie Bücher sammeln und Schulen gründen.

 

Seinen Bildungseifer beschrieben die Schlagworte correctio (Verbesserung) und renovatio (Erneuerung). Es ging um Elementares: Schriften vergessener antiker Autoren zugänglich zu machen und − wichtig für den mit Rom verbündeten Herrscher − grundlegende Texte für Glauben und Liturgie zu vereinheitlichen und zu verbreiten. Womit Karl die Basis für den rationalen Denk- und Argumentations-Stil legte, der die Kultur Europas seither geprägt hat.

 

Einziges Porträt auf kleinen Silbermünzen

 

Diese „karolingische Renaissance“ ist schwierig auszustellen. Die karolingische Minuskel war als Buchschrift zwar Vorläuferin unserer heutigen Schreibschrift, doch keiner kann sie mehr lesen. Traktate und Erlasse aus Karls Hochschule behandeln Glaubensfragen und Kirchenreformen, die nur noch Kleriker interessieren. Uralte Manuskripte in Vitrinen beeindrucken wenig. Und der Bilderhunger unserer Gegenwart lässt sich nicht stillen: Karls einziges gesichertes Porträt prangt auf zwei Zentimeter kleinen Silbermünzen.

 

„Orte der Macht“ behilft sich mit Wunschfantasien: den Bildnissen, die sich spätere Zeitalter von Karl dem Großen zurechtgeschnitzt haben. Siegel, Skulpturen, Kopien des berühmten Kaiser-Porträts von Albrecht Dürer oder auch der Reichsinsignien − etwa Krone, Kreuz und Säbel −, die in der Wiener Hofburg lagern. Den Glanz von Gold und Edelsteinen, den jeder mit Herrscherwürde verbindet, kann man nebenan im frisch eröffneten Centre Charlemagne an Originalen erleben: in der zweiten Teil-Ausstellung „Karls Kunst“ mit Werken der Aachener Hofschule.

 

Buch von London bis Bukarest verteilt

 

Hier wurden nur 31 Exponate zusammengetragen, aber was für welche! Verschwenderisch illuminierte Folianten mit Hunderten handgeschriebener Seiten; unfassbar präzise geschnitzte Elfenbein-Tafeln zur Verzierung der Bucheinbände; fein ziseliertes liturgisches Gerät wie Kreuze und Kelche aus Edelmetall. Diese empfindlichen Dinge wurden im Lauf der Zeit über ganz Europa verteilt; ein wahres Wunder, dass sie 1200 Jahre überstanden haben.

 

Etwa das „Lorscher Evangeliar“ mit zwei wunderbaren Einband-Tafeln aus Elfenbein: Vom 9. bis 16. Jahrhundert gehörte es dem Kloster Lorsch in Südhessen. Nach dessen Aufhebung wechselte es in zwei Teilbänden vielfach den Besitzer. Heute befinden sich ein Teilband samt Buchdeckel im Vatikan, der zweite Deckel in London, die dazu gehörige Handschrift in Bukarest. Nun sind alle vier in Aachen kurzzeitig vereint.

 

Kelch 1200 Jahre im selben Kloster

 

Extrem sesshaft erscheint dagegen der Tassilokelch, der nach 763 entstand; er gilt als bedeutendster mittelalterlicher Kelch, der noch erhalten ist. Bayernherzog Tassilo III. schenkte ihn dem Stift Kremsmünster, das er 777 gegründet hatte; elf Jahre später wurde er von Karl abgesetzt. Der Kelch blieb aber in Kremsmünster; die Benediktiner haben ihn erst einmal ausgeliehen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension über die Ausstellung “CREDO – Christianisierung Europas im Mittelalter”  - Ausstellung in drei Museen in Paderborn

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Die Salier – Macht im Wandel" über die mittelalterliche Kaiser-Dynastie im Historischen Museum der Pfalz, Speyer

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Die Staufer und Italien"  - über "drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa" im Reiss-Engelhorn-Museum, Mannheim.

 

Unfreiwillig bewegt haben sich die Pretiosen, welche die Domschatzkammer unter dem Titel „Verlorene Schätze“ präsentiert: Stücke, die durch Raub, Diebstahl oder Unglücke abhanden kamen. Der originell anmutende Ansatz erschöpft sich aber rasch: Es wirkt recht kleinkariert, wortreich zu beklagen, dass Besatzungstruppen, Napoleons Frau oder ungetreue Prälaten vor Jahrhunderten etwas mitgehen ließen.

 

Karls Schädeldecke schrumpft

 

Zumal von den kostbarsten Objekte die meisten noch vorhanden sind: etwa der römische Proserpina-Sarkophag aus Marmor, in dem Karl 814 bestattet wurde. Oder die spätgotische Karlsbüste von 1350 aus vergoldetem Silber, die als Reliquie Karls Schädeldecke enthält − die allerdings in den letzten 100 Jahren durch Langfinger merklich kleiner geworden sein soll. Nur sein Armreliquiar, 1165 von Friedrich Barbarossa gestiftet, wurde 1794 nach Paris verschleppt und liegt heute im Louvre.

 

Der Kult um heilige Knochensplitter und Leichenteile dürfte zu Karls Zeiten so floriert haben vor 200 Jahren, ist aber inzwischen gottlob abgeklungen. Sein bleibendes Vermächtnis zeigt sich eher im benachbarten Dom: in der strengen, klaren Konstruktion des Oktogons, die das antike Architektur-Erbe für Nordeuropa wieder entdeckte. Diese Weichenstellung wirkt bis heute fort: Wir sind alle Karolinger.