Jürgen Vogel

Schoßgebete

Gemeinsam mit ihrem Mann im Bordell: Elizabeth (Lavinia Wilson, li.) vernascht Grace (Isabelle Redfern). Fotoquelle: Constantin Filmverleih
(Kinostart: 18.9.) Seelen-Striptease mit Sex-Therapie: Regisseur Sönke Wortmann verfilmt den Bestseller von Charlotte Roche, in dem sie ihre traumatische Familiengeschichte ausbreitet − als Neurosen-Chronik des Schreckens, der jede Komik abwürgt.

Die Geschichte ist gar nicht lustig. Eine Mutter auf der Autobahn fährt mit ihren drei jungen Kindern zur Hochzeit der älteren Tochter Elizabeth (Lavinia Wilson). Da bricht von der Gegenfahrbahn ein Tanklaster durch die Leitplanke und schiebt sich quer wie eine Wand vor das rasende Auto. Schnitt. Der Unfallort ist ein brennendes Inferno; Retter ziehen die schwer verletzte Frau aus dem Wagen, der kurz darauf explodiert. Als sie im Krankenhaus erwacht, ist ihre Frage nach den Kindern längst gegenstandslos.

 

Info

 

Schoßgebete

 

Regie: Sönke Wortmann,

94 Min., Deutschland 2013;

mit: Jürgen Vogel, Lavinia Wilson, Juliane Köhler

 

Weitere Informationen zum Film

 

Neun Jahre später arbeitet sich Elizabeth immer noch mühevoll an diesem Trauma ab. Sie hat eine Tochter und einen neuen Partner namens Georg (Jürgen Vogel); der reiche und allzeit ausgeglichene Galerist schlendert meist in edlen Wolljacken durch ihr teures Haus. Ihre Therapeutin Frau Drescher (Juliane Köhler) ist zumindest wohlhabend und wohltemperiert. Ihr Notar beglaubigt alle paar Tage gefasst ihr jeweils neuestes Testament, weswegen es ihm finanziell offenbar ähnlich gut geht.

 

Angst, Wut + schlechtes Gewissen

 

Elizabeth hat all diese Puffer und Leisetreter um sich herum dringend nötig: Angst, Wut und schlechtes Gewissen sind ihre ständigen Begleiter. Angst vor ihrem eigenen Tod. Wut auf die Boulevardzeitung, die damals skrupellos ihr Unglück auf die Titelseite setzte. Und das schlechte Gewissen gegenüber dem Mann (Robert Gwisdek), den sie nach dem Unfall verließ.


Offizieller Filmtrailer


 

Ins Leben zurückficken

 

Der einzige Ausweg: Sex. „Nur beim Sex“, sagt sie sehr bald, „vergesse ich alle Probleme“. Dabei sieht man sie durch eine Glasscheibe, auf der sie sich abstützt, während ihr Mann sie von hinten vögelt. Selbst ihre gemeinsamen Bordellbesuche, die einfach Spaß machen könnten, bekommen so etwas Verzweifeltes. „Fick mich ins Leben zurück“, bittet sie ihren Mann.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films Feuchtgebiete – brillante Verfilmung des Erotik-Bestsellers von Charlotte Roche durch David Wnendt

 

und hier einen Beitrag über den Film "Stereo" - gelungener Rache-Psycho-Thriller mit Jürgen Vogel von Maximilian Erlenwein

 

und hier einen Bericht über den Film "Quellen des Lebens" - Familien-Neurosen-Saga mit Lavinia Wilson von Oskar Roehler

 

und hier eine Kritik des Films "Kohlhaas oder die Verhältnismässigkeit der Mittel" - Tragikomödie mit Robert Gwisdek von Aron Lehmann.

 

„Schoßgebete“, der zweite Bestseller von „Feuchtgebiete“-Autorin Charlotte Roche, ist sehr autobiographisch: Sie hat ihre Geschwister tatsächlich durch eine Katastrophe wie im Film verloren, und einen Prozess gegen die BILD-Zeitung geführt. Und Roche pflegt selbst eine neurotische Fixierung auf körperliche Prozesse und Exzesse. Das zu wissen, macht das Ganze nicht lustiger.

 

Sex toys-Kauf + Darmwürmer-Befall

 

Trotzdem hat sich Regisseur Sönke Wortmann, der durchaus tragisch und ernst filmen kann, mit dieser Roman-Adaption an einer Komödie versucht − und ist gescheitert. Die Therapie-Sitzungen mit einer etwas distanzlosen Patientin sind nicht originell, könnten aber komisch sein. Ebenso Testaments-Änderungen als Beziehungs-event, gemeinsamer Einkauf von sex toys oder der ständige Kampf gegen Darmwürmer als running gag des Plots.

 

Doch es ist nicht witzig, überhaupt nicht. Gegen verbrannte Hände, deren Haut am Lenkrad kleben bleibt, kommt die sitcom nicht an. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken.

 

Heiterkeit wickelt Horror nicht ein

 

Da fragt man sich, warum Regisseur Wortmann nicht ein packendes Psychogramm gedreht hat, das ohne weiteres drin gewesen wäre: eine Geschichte über die Gewalt des Zufalls, die Schuld des Überlebens und Sexualität aus Notwehr. Die Antwort ist wohl einfach: weil die Verfilmung an den Kassenerfolg des Buchs anknüpfen soll, indem sie weniger beschäftigt als unterhält.

 

Obwohl der Film präzise und unbestechlich den Schrecken vermittelt; der Horror lässt sich von der Heiterkeit nicht einwickeln. Das macht ihn integer; andernfalls wäre er konfus und korrupt. Für einen guten Film ist das aber zu wenig.