Prophet des permanenten Experiments: Heinz Emigholz hat zwei Jahrzehnte lang bis 2013 „experimentelle Filmgestaltung“ an der Berliner Universität der Künste gelehrt. Das sieht man den gut 20 Filmen, die er derweil fleißig drehte, nicht an. Die meisten sind je einem mehr oder weniger bekannten Architekten der klassischen Moderne gewidmet: etwa Adolf Loos; dem Belgier Auguste Perret, der das kriegszerstörte Le Havre wieder aufbaute; oder dem Italiener Pier Luigi Nervi, einem Virtuosen kühn geschwungener Betonflächen und -kuppeln.
Info
The Airstrip –
Aufbruch der Moderne, Teil III
Regie: Heinz Emigholz,
108 Min., Deutschland 2013
Kamera steht experimentell schief
Experimentell ist daran höchstens, dass die Kamera manchmal schief steht. Doch dieser Purismus dokumentiert das Œuvre des jeweiligen Architekten recht gut – auch ohne bemüht aphoristische Einbettung in die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die der Macher gern seinen Filmen auf den Weg gibt.
Filmtrailer (engl.)
Von Breslau nach Buenos Aires
Nicht so „The Airstrip“: Seine vielleicht letzte Arbeit in dieser Reihe entstand aus übrig gebliebenen Ideen zu anderen Projekten, sagt Emigholz. So sieht das Ergebnis aus: wie eine Restekiste voller Filmschnipsel, willkürlich aneinander montiert – von innerer Logik oder nachvollziehbarer Entwicklung keine Spur. Wobei der Augenschein trügt: Für dieses Werk ist der Regisseur so weit gereist wie nie zuvor.
Nach Stippvisiten beim Pantheon in Rom, der Jahrhunderthalle von 1913 in Breslau mit der damals größten Stahlbeton-Kuppel weltweit und dem Jugendstil-Kaufhaus in Görlitz zieht es ihn nach Südamerika. In Buenos Aires nimmt er Markthalle und Fußballstadion auf, die der gebürtige Slowene Viktor Sulčič 1934/40 im eleganten Art-Deco-Stil entworfen hat. In Brasilia ist die Botschaft Italiens von Pier Luigi Nervi an der Reihe; in Uruguay eine verwinkelte Kirche und Lagerhalle von Eladio Dieste: alles außergewöhnliche Bauten.
Shopping Mall als Konsumterror-Mahnmal
Doch bevor der Eindruck einer best of-Betonarchitektur-Doku entsteht, fliegt Emigholz weiter auf die Nördlichen Marianen im westlichen Pazifik zwischen Japan und Papua-Neuguinea. Auf der Insel Saipan wird die Tonspur plötzlich geschwätzig; detailverliebt erzählt sie von Schlachten im Zweiten Weltkrieg zwischen japanischen Truppen, die sich dort verschanzt hatten, und der US Army.
Davon sind spärliche Spuren zu sehen: verfallene Baracken für Kriegsgefangene, kleine Gedenkstätten und -tafeln – und schäbige Ruinen einer verlassenen Shopping Mall. Ob Emigholz es als Konsumterror-Mahnmal betrachtet, bleibt offen. Auf der Nachbarinsel Tinian besichtigt er noch Betongruben, in denen die Atombomben für Hiroshima und Nagasaki lagerten. Dazu gibt es krause Spekulationen über die Zeitspanne zwischen Bomben-Abwurf und Explosion als „absolutes Nichts“.
Progressives Pendant zu Landserheft-Lesern
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung “Kultur:Stadt” über wegweisende Kulturbauten weltweit in Berlin und Graz
und hier einen Bericht über den Film "Kathedralen der Kultur" - Episoden-Film über Kultur-Tempel von sechs Regisseuren
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Eastern Promises" über "zeitgenössische Architektur in Ostasien" im MAK, Wien
und hier eine Rezension der Ausstellung “Bucky Fuller & Spaceship Earth” über Architektur-Utopien von R. Buckminster Fuller im MARTa, Herford.
Die Stationen dieser Rundreise um den Globus verbindet nur die Vorlieben des Regisseurs: Seit Kindertagen fasziniert ihn das Weltkriegs-Finale im Pazifik. Mit Erinnerungs-Literatur über dortige Schlachten beschäftigt er sich intensiv; quasi als progressives Pendant zu Landserheft-Lesern, die längst verlorene Feldzüge wiederkäuen. Und nun lässt er sein Publikum daran teilhaben – so gewaltsam, wie Krieg stets über Zivilisten hereinbricht.
Obsessionen + Verweigerung
Selbstredend kann Emigholz wortreich erklären, warum die Bilderfolge absolut zwingend, keine Einstellung zufällig und jede randvoll mit Bedeutung ist – er war 20 Jahre lang Hochschullehrer. Doch er überzeugt nicht. „The Airstrip“ dokumentiert vor allem das sehr deutsche Selbstverständnis einer Generation von Filmemachern, die allmählich in Rente geht.
Private Obsessionen und demonstrative Verweigerung gegenüber Branche und Publikum, handwerklich dürftig umgesetzt, werden mit wolkigem Theoretisieren als wegweisend avantgardistisch verklärt. Das könnte als Kontrastprogramm zu Youtube-Augenpulver durchaus attraktiv sein. Doch dafür ist dieses Schnipsel-Trommelfeuer viel zu sperrig.