
Italien ist die Welt, die Welt ist Italien: „Monditalia“. Wenn Rem Koolhaas sich mit diesem Motto auf das Unternehmen Architektur-Biennale stürzt, will er sich weniger anbiedern, als dem südeuropäischen Krisenland seine Ehre erweisen. Italien ist in vielerlei Hinsicht ein Modellstaat – in dem allerdings schon Dante im 14. Jahrhundert das Paradies direkt neben dem Fegefeuer verortete.
Info
Architektur-Biennale Venedig 2014
09.05.2014 - 22.11.2014
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
in den Giardini + Arsenale, Venedig
Antike Straßenkarte auf 300 Metern
Durch die Corderie, die rund 300 Meter lange Säulenhalle der einstigen Seilerei im Arsenale, flattert ein ebenso langer Vorhang, bedruckt mit einem der wichtigsten mittelalterlichen Dokumente: der Tabula Peutingeriana, einer Straßenkarte des Römischen Reichs. Das verlorene Original entstand wohl um 375; die Abschrift aus dem späten 12. Jahrhundert zählt zum Unesco-Weltkulturerbe.
Kurz-Vortrag von Rem Koolhaas über das Biennale-Konzept
Nudelteig im Mittelpunkt der Welt
Auf dieser Mutter aller Verkehrsatlanten sieht Italien wie ein enormes Stück Nudelteig aus, das durch die Pasta-Maschine getrieben wurde. Das Land liegt auf der Seite; von der typischen Stiefelform ist kaum etwas zu erkennen – doch es ist natürlich Mittelpunkt der Welt. Einer verzerrten Welt, die vom heutigen Großbritannien bis hinter den indischen Subkontinent reicht. Den Kartografen interessierte weniger die Topografie als vielmehr Entfernungen in Tagesetappen zu Pferde, wichtige Handelsknoten sowie Rast- und Pferdewechselstationen.
Koolhaas ist berüchtigt für seine Liebe zu ausufernden Diagrammen, Karten und Tabellen. Mit ihrer kuriosen Gestalt und dem praktischen Informations-Gehalt ist die Tabula ganz nach seinem Geschmack. Bevor er Gebäude wie die Niederländische Botschaft in Berlin, die vor allem aus einer spiralförmigen Erschließung besteht, oder die spektakulär um ein Loch herum konstruierte Zentrale des chinesischen Staatsfernsehens in Peking entwarf, machte sich Koolhaas mit umfänglichen Forschungen einen Namen: etwa über New York, „generischen Städtebau“ oder Konfektionsgrößen von Architektur.
Verantwortliche lassen Pompeji verfallen
Glücklicherweise gerät seine Biennale aber nicht zur Explosion von Skalen und Schaubildern – ebenso wenig zur Überreizung durch eine Flut von Bildern und Texten. Stattdessen ist Koolhaas eine sehr gut zu bewältigende Ausstellung gelungen: Recherchesatt, aber unterhaltsam hangelt sie sich an Orten entlang, die nicht nur das aktuelle Bild Italiens prägen, sondern von globalem Interesse sind.
Dabei sind Politik und Architektur untrennbar miteinander verbunden. Viele Projekte, die Koolhaas eingeladen hat, dokumentieren die gegenwärtige Ratlosigkeit, in der sich Italien befindet – stellvertretend für andere Staaten. So verfällt etwa die Welterbestätte Pompeji: nicht wegen vulkanischer Aktivitäten, sondern weil Verantwortliche versagen und nicht wissen, wie sie mit dem kulturellen Erbe umgehen sollen.
Berlusconi ließ Kongresszentrum leer stehen
Der Architekt Stefano Boeri plante und baute auf der Insel La Maddalena nördlich vor Sardinien ein Kongresszentrum für den G-8-Gipfel 2009 im Glauben, an einem gut demokratischen Werk zu arbeiten. Nun schreitet er in einem Film durch seine Bauruine, die nie eingeweiht wurde.
In dieser modernistischen Architektur fühlte sich Silvio Berlusconi unwohl, so dass er die Konferenz mit einer populistischen Volte nach L’Aquila verlegte; dort hatte kurz zuvor ein verheerendes Erdbeben stattgefunden. In der Hauptstadt der Abruzzen breiten sich anstelle von Konzepten, die beispielhaft für von Katastrophen heimgesuchte Städte sein könnten, mittlerweile Notunterkünfte aus.
Mailand am Strand
Entlang der großen Landkarte, hinter der Ausschnitte italienischer Film-Klassiker laufen, schreitet Koolhaas das Land ab. Seine Boten sind Rechercheteams, die aus den Provinzen erzählen. Etwa von Villen-Schönheiten auf Capri, warum alle Wege nach Rom führen und wohin genau, weshalb Diskotheken die Gefühlslage einer Gesellschaft ausdrücken. Oder wie sich Mailand am Strand neu erfinden will, warum das italienische Herz trotzdem in Turin pocht und Staatsgrenzen durchaus flexible Zonen sein können.