Udo Kier

Arteholic

Kontrollierte Randale: Udo Kier (re.) mit Jonathan Messe und dessen Mutter im Studio Meese in Berlin. Foto: Camino Filmverleih
(Kinostart: 16.10.) Der Schauspieler als Kunstsüchtiger: Filmemacher Hermann Vaske schenkt Udo Kier zum 70. Geburtstag ein Doku-Porträt. Wobei sich Kier mehr für Künstler als ihre Werke interessiert und aus Museen flieht – eine spleenige Hommage.

Was Drogen angeht, hat Udo Kier nichts ausgelassen – da tritt man dem deutschen Schauspieler wohl nicht zu nahe. Hängen geblieben ist er aber auf der Kunst. „Diese Sucht ist teurer als Kokain“, sagt er mit Schalk im Nacken und dem charakteristisch durchdringenden Blick aus seinen hellen Augen: „Aber ich bleibe gesund dabei.“

 

Info

 

Arteholic

 

Regie: Hermann Vaske,

82 Min., Deutschland 2014;

mit: Udo Kier, Lars von Trier, Rosemarie Trockel, Udo Kittelmann

 

Website zum Film

 

Kier ist ein „Arteholic“, der sich von möglichen Abhängigkeits-Erscheinungen kaum abbringen lässt; sie befeuern ihn sogar noch mehr. Schließlich ist er auch als Schauspieler eher von der manischen Fraktion: ein performer mit Leib und Seele, der seine Neigungen auch im Dokumentarfilm von Hermann Vaske nach Kräften auslebt.

 

Pas de deux mit Marcel Odenbach

 

Etwa wenn er sich vom Künstler Marcel Odenbach, seinem alten Freund, durch dessen Ausstellung im Kunstmuseum Bonn führen lässt: Beide legen zwischendurch einen kurzen Pas de deux mit den Stehtischen ein, die für die Eröffnung bereitstehen – pathetisch überzeichnete Umarmung inklusive. Regisseur Vaske, ansonsten vor allem Werbe- und TV-Filmer, lässt seinen Parforceritt mit Kier durch die Kunst immer wieder ins Surreale kippen.


Offizieller Filmtrailer


 

Mit Stift oder Rotkohl malen

 

„Als Schauspieler war ich immer sehr eifersüchtig auf Maler“, bekennt Kier in rheinisch gefärbtem Englisch bei einer Portion Sauerbraten in einem Kölner Wirtshaus; dann erzählt er einem Pamela-Anderson-double, das als Staffagefigur im Bild sitzt, eine kleine Anekdote über den Künstler Paul Thek.

 

Das ist nur ein dramaturgisches Vorspiel zu einem Solo für Udo: „Als Schauspieler brauchst du Kamera, Ton, Licht. Als Künstler kannst du dich immer irgendwie ausdrücken, du findest immer einen Stift. Und wenn du keinen Stift findest, malst du eben mit Rotkohl“, sagt er und tut’s. Er ist eben Performancekünstler – allemal, sobald eine Kamera auf ihn gerichtet ist.

 

Glocken-Video mit Schiller-Rezitation

 

Wie in diesem Film: Der Regisseur schafft Situationen, die als Bühne für Kiers Show-Einlagen taugen. Sei es beim Mittagessen mit der Künstlerin Rosemarie Trockel in einer Ausstellung – beide hatten gemeinsam performativ gegen den Abriss der Kölner Kunsthalle 2002 protestiert – oder im Gespräch mit Philipp Kaiser; der Ex-Direktor des Museums Ludwig in Köln hatte nach nur 14 Monaten das Handtuch geworfen.

 

Für Kier gibt es immer eine Gelegenheit, ein Gedicht aufzusagen, irgendeine stand-up-comedy zu liefern oder sich als Kunstkenner in Szene zu setzen. Das ist durchaus unterhaltsam, für Kier-Fans vielleicht etwas erwartbar – aber dennoch aufschlussreich, wie ein darstellender Künstler bildende Kunst betrachtet. Schön etwa die Szene, wie er ein Kirchenglocken-Video zum Anlass nimmt, Schillers „Lied von der Glocke“ zu rezitieren.

 

Im Kölner Dom Kerzen anzünden

 

Kunst ist für Kier mit persönlichen Erfahrungen verbunden. Sei es die gemeinsame Zeit mit Andy Warhol als Gast der legendären Factory in New York. Oder als Exil-Kölner, der zwar schon lange in Los Angeles lebt, aber am Rhein sofort in kölschen Singsang verfällt und rituell erst einmal den Dom besucht, um dort zwei Kerzen anzuzünden.

 

Als Weltbürger ist er auch in Paris unterwegs, besucht Galerien, sucht David Hockneys Atelier, versucht Straßenkünstler aus der Reserve zu locken und geht ins Centre Pompidou. Dann fährt er so rasch weiter, wie er gekommen ist.

 

Sich einen Hirsch von Jeff Koons basteln

 

„Wenn ich zu lange in einem Museum bin, dann muss ich ganz schnell rauslaufen“, erzählt er Nikolaus Hirsch, dem ehemaligen Rektor der Frankfurter Städelschule. „Irgendwie flimmert mir dann alles vor den Augen“, klagt Kier: „Das wird immer schlimmer, weil ich mir die Sachen so intensiv anschaue.“

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Nymph( )maniac Teil 2" - skandalumwittertes Porträt einer Sexsüchtigen von Lars von Trier mit Udo Kier

 

und hier einen Beitrag über den Film "UFO In Her Eyes" - Modernisierungs-Groteske aus China von Xiaolu Guo mit Udo Kier

 

und hier einen Bericht über die Nazi-Science-Fiction-Trash-Komödie “Iron Sky” von Timo Vuorensola mit Udo Kier.

 

„Sind Sie süchtig nach Kunst?“, fragt Dr. Hirsch. „Ja, das ist eine Gier, ein Haben-Wollen“, schwadroniert Kier – und ist sofort in der nächsten Rolle: „Ich mache auch selber Sachen, die mir gefallen. Ich habe mir einen Hirsch gekauft; das Hinterbein war kaputt.“ Also habe er es verbunden und seinen Freunden erzählt, es sei ein Werk von Jeff Koons: „Und alle glauben es.“

 

Entweder Entzug oder Überdosis

 

Kiers Reise zu sich selbst, mit und durch Kunst, führt ihn noch nach Kopenhagen, zu Regisseur Lars von Trier, und nach Berlin: zu Kunstschreck Jonathan Meese und Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann. „Hach, ein Museum müsste man haben“, entfährt es dem Museumsflüchter im Hamburger Bahnhof, dem Museum für Gegenwartskunst in Berlin.

 

Eigentlich erträgt Kier kein Museum. Die Künstler sind ihm nah durch seine vielen Freunde, gemeinsame Erinnerungen und nachhaltige Inspirationen. Vaskes Film porträtiert Kier liebevoll als einen positiv Süchtigen, dessen Spieltrieb und rastlose Umtriebigkeit in mancherlei Hinsicht den heutigen Spektakel-Kunstbetrieb vorweggenommen und mitgeprägt haben: Wichtig sind weniger die Werke als vielmehr connections und fun. Was lernen wir daraus? „Es bleibt nur der Entzug“, rät Dr. Hirsch. „Oder, noch viel mehr Kunst zu sehen.“