
Was für ein Einstieg in ein Musiker-biopic! Ein Schwarzer im froschgrünen Trainingsanzug mit Gewehr betritt ein Bürogebäude, raunzt die Putzfrau an, geht in den Tagungsraum, wo Versicherungsfritzen ein Seminar abhalten, faselt wirres Zeug über Toiletten, schießt versehentlich in die Decke und ängstigt die armen Vertreter-Typen zu Tode. Und das soll der Godfather of Soul sein?
Info
Get on up -
Die James Brown Story
Regie: Tate Taylor,
138 Min., USA 2014;
mit: Chadwick Boseman, Nelsan Ellis, Dan Aykroyd
Sechs Stile erfunden oder geprägt
James Brown (1933-2006) ist einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Kein anderer, ausgenommen vielleicht Miles Davis, hat so viele schwarze Musikstile erfunden oder geprägt: Rhythm‘ n‘ Blues (R&B), Soul und Funk. Ohne ihn wären Disco und HipHop ebenso undenkbar wie die Endlos-grooves im elektronischen dancefloor.
Offizieller Filmtrailer
Ideen seinen Musikern vorsingen
Als The Hardest Working Man in Show Business trat er bis zu 300 Mal im Jahr auf; seine schweißtreibenden Mammut-Konzerte waren legendär. In 50 Jahren hat er rund 100 LPs und noch mehr Singles veröffentlicht – mit 16 number one hits in den R&B–Charts. Klassiker wie „It’s a Man’s Man’s Man’s World“, die Bürgerrechtsbewegungs-Hymne „Say It Loud – I’m Black and I’m Proud“ und natürlich „Sex Machine“ kennt jeder.
Seine Erscheinung schillernd zu nennen, wäre arg untertrieben. Er hatte kaum Schulbildung und konnte keine Noten lesen. Song-Ideen sang er den Band-Musikern vor, die sie dann umsetzen mussten – darunter spätere Stars wie Maceo Parker und William „Bootsy“ Collins. Ihr Boss hielt sie an der kurzen Leine, womit er etliche Mitspieler vergraulte: Die Besetzung wechselte rasch.
Als Jugendlicher vier Jahre in Haft
Dabei pflegte James Brown einen exzessiven rock‘ n‘ roll lifestyle, bevor es das Wort überhaupt gab. Als seine Klamotten immer schriller und seine Frisuren bizarrer wurden, hatte er häufig Ärger mit der Justiz: wegen Waffen, Drogen und Steuerhinterziehung. Mehrmals kam er hinter Gitter; schon als Jugendlicher saß er nach einem Raubüberfall vier Jahre lang im Knast.
All das spart Regisseur Tate Taylor nicht aus. Mehr noch: Er kostet es geradezu aus, wenn er munter zwischen den Lebensphasen hin und her springt. Und öfter Chadwick Boseman als James Brown breit grinsend in die Kamera erklären lässt, warum manches so und nicht anders – oder völlig schief lief. Was sein phänomenales Selbstbewusstsein nicht ankratzt.
Kindheit bei Tante im Bordell
Obwohl oder gerade weil er von ganz unten kam: Mit vier Jahren verließ ihn seine Mutter; sein Vater brachte ihn bei einer Tante unter, die ein Bordell betrieb – eine harte Kindheit als gute Vorbereitung aufs raue show business. Der erste Gospel-Gottesdienst: seine Initiation in den himmlischen groove.
Nach der Jugendhaft schließt sich James Brown einer Gospel-Gruppe an und polt sie auf R&B um. Bald geht es steil bergauf. Ein Produzent (Dan Aykroyd) nimmt „The Famous Flames“ 1955 unter Vertrag; schon ihre erste Single wird ein Hit. Fortan touren die Jungs unermüdlich durch die Clubs.
Little Richard berät Brown an Burger-Bude
Bei einem Konzert von Little Richard springen sie in der Pause auf die Bühne, heizen das Publikum an – und Little Richard verklickert danach James Brown an einer Burger-Bude, wie man Radiostationen dazu bringt, die eigenen Songs zu spielen. So familiär geht es damals in der Branche zu.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Jersey Boys" - Musical über 60ies-Boygroup von Clint Eastwood
und hier einen Beitrag über die Doku “BB King – The Life of Riley“ - Porträt der Blues-Legende von Jon Brewer
und hier einen Bericht über den Film “The Sapphires” - Tragikomödie über eine Aborigines-Soul- Girlgroup der 1960er Jahre von Wayne Blair.
Vokalakrobatik wie Mr. Dynamite
Was zur grellen freak show mutieren könnte, wäre da nicht Chadwick Boseman. In seiner ersten großen Filmrolle brennt er ein Feuerwerk an Leinwand-Präsenz ab, als spiele und tanze er um sein Leben. Bei seinen furiosen Auftritten singt er zwar playback, doch dazu wirbelt und fegt er über die Bühne wie Mr. Dynamite höchstpersönlich. Dessen röhrende und kreischende Vokalakrobatik hat er ohnehin drauf.
Dazwischen spreizt er sich als geschäftstüchtiger Paradiesvogel mit wahnwitzigen outfits und großmäuligem Charme. Und Regisseur Taylor findet dafür den passenden visuellen groove: prasselndes Bildergewitter in den Konzert-Szenen, schwungvolles period piece in den biographischen Passagen. So funky war noch keine Verfilmung des american dream: Diese best of-compilation seines wild weird life hätte James Brown wohl gut gefallen.