Bremen

Jason Rhoades: Four Roads

Jason Rhoades: The Creation Myth, 1998, Flick Collection; Installationsansicht ICA, Philadelphia; Foto: Aaron Igler/Greenhouse Media. Fotoquelle: Kunsthalle, Bremen
Trash as Trash can: Der Kalifornier Jason Rhoades schuf riesige Müll-Installationen irgendwo zwischen Schlingensief und Jonathan Meese. Rhoades starb mit 41 Jahren. Die Kunsthalle zeigt nun die erste posthume Retrospektive: von Kant zu Muschi-Synonymen.

Wham bam thankyou ma’am! Diese Werkschau empfängt ihre Besucher mit Ohrfeigen für alle Sinne. Ist das eine Kunstausstellung oder ein Schrottplatz? Tonnen von Gerümpel sind im Saal ausgebreitet; in dessen Mitte zu einer Art Abraumhalde aufgetürmt. Ähnlich denen am Straßenrand, wenn Gebäude rundum renoviert werden.

 

Info

 

Jason Rhoades: Four Roads

 

18.09.2014 - 04.01.2015

täglich außer montags

10 bis 17 Uhr,

dienstags bis 21 Uhr

in der Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, Bremen

 

Katalog 39 €

 

Weitere Informationen

 

Doch dieser Plunder folgt einem Plan: „The Creation Myth“ („Der Schöpfungsmythos“) heißt das Monster von Jason Rhoades (1965-2006). Bei der Erstpräsentation der Flick Collection füllte es 2004 die historische Halle des Hamburger Bahnhofs in Berlin und verstörte die Betrachter nachhaltig – es sollte ein Modell des menschlichen Organismus sein.

 

Ballon als Magen, Schlauch als Darm

 

Ein roter Plastikschlauch schlingt sich durch den Raum und mündet in einem enormen Ballon, der regelmäßig aufgeblasen wird und wieder erschlafft; das ist der Verdauungstrakt. Er dient zugleich als Trasse für eine kreisende Spielzeug-Eisenbahn, die ein Dinosaurier-Plüschtier befördert. Das Rückenmark besteht aus Kunststoff-Wirbeln, deren Umrisse an die Wand projiziert werden.


Impressionen der Ausstellung


 

Rauchringe aus After-Trichter

 

Auch das Gehirn fällt recht kümmerlich aus: Monitore zeigen veraltete Computer-Spiele an. Dagegen ist der After riesig geraten: ein Grammophon-Trichter, aus dem Rhoades gern Rauchringe aufsteigen ließ. Die Analogie ist klar. Ebenso die fürs Geschlechtliche: Dutzende roher Baumstämme stehen herum, die mit Porno-Bildchen beklebt sind. Überall verstreut liegen Seiten aus Sex-Magazinen; dazu jede Menge weiterer Krempel.

 

Natürlich gab der Künstler vor, jedes Element habe seinen speziellen Sinn und definierten Platz. Doch darauf kommt es gar nicht an, wenn man dieses Dickicht durchstapft, in dem alles irgendwie miteinander verbunden ist. Ständig blinkt und quietscht, rattert und krächzt es wie aus kaputten Autoradios: Das irrwitzige Dauerbombardement mit Signalen überwältigt und überfordert total.

 

Blitzkarriere ab 1993

 

Offenbar auch seinen Schöpfer: Jason Rhoades starb 2006 mit nur 41 Jahren an Herzversagen nach einer Überdosis. Zuvor hatte er unter den Fittichen der Großgalerien David Zwirner und Hauser & Wirth eine Blitzkarriere im Kunstbetrieb hingelegt. Nach seiner ersten Einzelschau 1993 rissen sich vor allem europäische Kunsthallen um den manischen Bastler, dessen Mammut-Installationen jedes Maß sprengten.

 

Etwa „Garage Renovation New York (Cherry Makita)“, die ihm den Durchbruch einbrachte: ein Sperrholz-Schuppen auf Euro-Paletten, vollgestopft mit Werkzeugen, Abfall und einem kompletten Automotor. Oder „Sutter’s Mill“ von 2000: eine verwinkelte Chromstangen-Konstruktion, die wie eine überdimensionale Hundehütte aussieht, aber keinem erkennbaren Zweck dient.

 

100 Synonyme fürs weibliche Geschlecht

 

Beide Arbeiten füllen je einen Raum in der ersten posthumen Rhoades-Retrospektive; die Kunsthalle Bremen hat sie mit Institutionen in Philadelphia und Newcastle auf die Beine gestellt. Eine Materialschlacht, für die den Organisatoren fast mehr Respekt gebührt als dem Künstler selbst: Diese Zusammenstellung von Beispielen aus allen Werkphasen führt auch seine Schwächen anschaulich vor.

 

Wie „My Madinah: In pursuit of my ermitage…“ („Mein Medina: Im Streben nach meinem Rückzugsort…“), das auf den ersten Blick seinen poetischen Titel zu bestätigen scheint: ein Raum voller Teppichläufer und Schemel, darüber mehr als 100 Neonlicht-Schriftzüge. Doch alle Worte bedeuten nur eines: Synonyme für das weibliche Geschlechtsteil.

 

Jeder Heimwerker ein Bildhauer

 

Zotige Scherze trieb Rhoades auch mit Immanuel Kant: Da sein Name lautgleich mit dem four-letter wordcunt“ ist, schrieb er die Werke des Philosophen mit pussy words voll. Was eben einem hormongesteuerten high school-Pickelgesicht zum Vordenker der deutschen Aufklärung so einfällt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Subodh Gupta – Everything is inside" - brillante Werkschau mit Groß-Installationen des indischen Künstlers im Museum für Moderne Kunst (MMK), Frankfurt/ Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Unendlicher Spaß" mit Installationen zu Überforderung + Erschöpfung in der Gegenwartskunst in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main

 

und hier eine Besprechung der Doku “Knistern der Zeit” von Sibylle Dahrendorf über Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso.

 

Oder auch nicht: Wenn sich Rhoades anstelle von Ausstattungs-Orgien an Einzel-Skulpturen versuchte, fielen die Ergebnisse banal aus. An eine Sportwagen-Karosserie montierte er 1994 Rohre, die wie Maschinengewehr-Läufe wirkten: Dass PS-Schleudern tödliche Waffen sind, wissen Radfahrer längst. Oder er umwickelte ein Baumarkt-Sortiment mit Verpackungsfolie („Bulk Pearoefoam Pallet“, 2002): So wird jeder Heimwerker zum Bildhauer.

 

Ugly America für den white cube

 

Deren Milieu kannte der Farmersohn gut: die hochmotorisierten rednecks, die stets an irgendetwas herumschrauben, wie sie ihre reaktionären Weltbilder aus obskuren Quellen zusammenstoppeln, sich für baseball oder American Football begeistern, mit junk food mästen, gern Biere zischen, pubertäre Witze reißen und ihre Leidenschaften mit XXX-rated movies befriedigen. Mit einem Wort: das ugly America des poor white trash.

 

Die Statussymbole und Accessoires des US-Prekariats wuchtete Rhoades in den Kunstbetrieb – zum wohligen Gruseln der culturati, die nun dirty details aus der Nähe begutachten konnten, ohne ihr white cube-Reservat zu verlassen. Ähnlich, wie das zeitgleich Christoph Schlingensief und Jonathan Meese hierzulande taten; nur wesentlich unpolitischer.

 

Kunst aus Spieltrieb

 

Offenbar fühlte sich Rhoades in der Sphäre der Hobbytüftler und Autoverwerter pudelwohl. Das zeigen Videos in der Kunsthalle: Mit kindlicher Begeisterung tobt er durch seine Installationen und erklärt stammelnd zahllose eingebaute gimmicks. Da kommt sein unbezähmbarer Spieltrieb zum Vorschein; der Anfang aller Kunst.