Köln + Wien

Ludwig goes Pop

Richard Lindner: Leopard Lilly, 1966, 177,8 x 152,4 cm, Öl auf Leinwand. Fotoquelle: Museum Ludwig, Köln
50 Jahre Pop Art: Aus der größten deutschen Kollektion filtern Museum Ludwig und MUMOK Highlights, die überraschende Einsichten bieten. Diese Strömung war viel sperriger und hintergründiger, als meist angenommen – von wegen gefällige Deko-Kunst.

Dieselben Markennamen in Museum + Supermarkt

 

Wodurch ein Missverständnis aufkam, das bis heute fortlebt: Dass Pop Art zynisch die Verschwendungssucht der Konsumgesellschaft feiere und sich am Spektakel von Reklame und show business berausche. Kein Zweifel: Viele Betrachter hat vor allem erfreut, im Museum dieselben Markennamen wie im Supermarkt zu finden. Und etliche Künstler – etwa Tom Wesselmann, Mel Ramos und natürlich Andy Warhol – schlachteten das kommerziell aus: Sie gaben dem Affen Zucker und kopierten sich endlos selbst.

 

Ursprünglich war Pop Art jedoch auf hintergründige Weise kritisch; mit ihr hielt erstmals Ironie Einzug in den Kunstbetrieb. Indem Negatives nicht angeklagt oder dämonisiert, sondern ins Groteske und Monströse übersteigert wurde: durch Serienproduktion wie bei Warhol, bizarre Materialien wie bei den Skulpturen von Claes Oldenburg, naturalistische Detailtreue wie bei Polyester-Personen von Duane Hanson oder alberne Fundstücke aus der yellow press.

 

Hyperinflation des Bildwürdigen

 

Wie irritierend diese Strategie damals gewirkt hat, lässt sich kaum noch erahnen: Heute kommt jedes Werbeplakat mit Wortspielen daher. Das Stilmittel Ironie ist durch exzessiven Gebrauch entwertet; wer ernst genommen werden will, verlegt sich auf neue Ernsthaftigkeit. Doch ganz ohne Ironie lässt sich die tägliche Springflut von Daten, Signalen und slogans, die marktschreierisch Bedeutung beanspruchen, nicht aushalten: Zur Hyperinflation des Bildwürdigen kann man sich nur ironisch verhalten. Das begriffen die Pop Artists als erste.

 

Manche hielten schroff dagegen: Im Rückblick erstaunt, wie viele Arbeiten weder gefällig noch leicht zugänglich waren. Rauschenberg kleisterte objets trouvés und gestische Farbkleckse zu riesigen Assemblage-Rätseln zusammen. Ende der 1960er Jahre baute er kinetische Skulpturen aus drehbaren Plexiglas-Scheiben oder bedruckte sie mit Motiven, die nur sichtbar wurden, wenn jemand Geräusche machte – eine Einladung zum Höllenlärm.

 

Kommende Trends bei Männer-Kleidung

 

Auch Richard Hamiltons Collagen trugen zwar einschmeichelnde Titel wie „I’m Dreaming of a White Christmas“ oder „Towards a Definitive Statement on the Coming Trends in Men’s Wear and Accessoires“, als sei’s eine Fotostrecke aus der Modezeitschrift; sie waren aber schwer zu entschlüsseln. Bevor Claes Oldenburg Hausrat wie Lichtschalter und Waschbecken im XXXL-Format aus Leinenstoff nachbildete, bastelte er deformierte Attrappen aus Pappe und Holz: Verhässlichung als Methode.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "German Pop" über westdeutsche Pop Art in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Pacific Standard Time" über Pop-Art in Kalifornien 1950 - 1980 im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “POWER UP – Female Pop Art” über Pop Art von Frauen in der Städtischen Galerie, Bietigheim-Bissingen.

 

Aggressiv anmutende Comic-Matronen von Richard Lindner, nervös skizzierte Schemen von R.B. Kitaj, kryptische Konstruktionen von Jim Dine oder ein riesiges Plastik-Mobile von James Rosenquist: Nichts davon entspricht dem Klischee von Pop Art als quietschbunter, eingängiger Deko-Kunst. Populär war an ihr vor allem, dass sie figurative Formen aus der Dingwelt verwendete; das wolkiger Abstraktionen überdrüssige Publikum konnte endlich wieder etwas erkennen. Besser als nichts.

 

Die Kunst gehört dem Volk

 

Und heute? Warhols Nachlass-Verwalter haben seine beliebtesten Motive zu Tode verwertet; dafür begeistern sich wohl nur noch Neureiche aus Schwellenländern. Lichtensteins Cartoon-Raster gehören zum Layout-Repertoire jeder Werbeagentur. Der grellfarbige Pin-Up-Kitsch von Mel Ramos taugt als Musterbeispiel für Geschmacksverirrungen der Wirtschaftswunderjahre. Einiges hat sich überlebt; weil die Phänomene, auf die angespielt wird, längst vergessen sind.

 

Doch die meisten Werke altern in Würde: als geistreiche Erinnerung an eine Epoche, deren Artefakte noch allgegenwärtig sind, aber nicht mehr ihr Zeitgeist. Dieses subversive Spiel mit Versatzstücken der Lebenswelt vertraute letztlich auf den damaligen Optimismus, mit Technik und Kultur ließe sich allen Problemen beikommen. „Die Kunst gehört dem Volk“, dekretierte einst Stalin: Nie kam eine Strömung dem so nahe wie die Pop Art.