Aachen

Modern Icons – Malerei aus der Sammlung Ludwig

Erró: Venus, 1975, Öl auf Leinwand, 130 x 97 cm, Foto: Anne Gold, © VG Bild-Kunst; Quelle: Ludwig Forum Aachen
Inflation der Ikonen: Zahllose Film-, Pop- oder Mode-Stars werden mit Heiligenbildern gleichgesetzt. Welche Strategien Kunst, Medien und Werbung dabei anwenden, führt eine kleine Auswahl großformatiger Werke im Ludwig Forum anschaulich vor.

In säkularisierten Gesellschaften zirkulieren überraschend viele Ikonen: Ob Pop-, Sport- oder Stil-Ikonen – hochgejubelte Stars bevölkern die Medienlandschaft wie Heiligen-Bildnisse alle christlich-orthodoxen Kirchen. Und für jede halbwegs geläufige Bildformel hat sich die Wendung „ikonische Darstellung“ eingebürgert; ganz zu schweigen vom Begriff icon für jedes Symbol auf dem PC-Monitor. Da liegt die Frage nahe, was es mit dieser Flut von Pseudo-Ikonen auf sich hat.

 

Info

 

Modern Icons -

Malerei aus der

Sammlung Ludwig

 

13.04.2014 - 08.02.2015

täglich außer montags

12 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr,

am Wochenende ab 11 Uhr

im Ludwig Forum, Jülicher Straße 97–109, Aachen

 

Weitere Informationen

 

Echte Ikonen gibt es nur im sakralen Kontext; sie markieren ihn gleichsam. Keine Orthodoxie ohne Ikonostasis: Diese Bilderwand trennt das Kirchenschiff vom Altarraum, der Priestern vorbehalten ist. Hier wird die Liturgie vollzogen, die den Blicken der Gemeinde verborgen bleibt. Sie kann Worte und Gesänge nur hören – aber nicht verstehen, denn sie ertönen auf Altkirchenslawisch. Ikonen sollen den Gläubigen einen individuellen, direkten Zugang zu Gott ermöglichen.

 

Arme Sünder frontal ansehen

 

Sie sind keine Porträts, sondern Idealbilder, die an die himmlische Sphäre erinnern. Deshalb wurden sie streng typisiert: Meist stammen die Kompositionen aus Byzanz und blieben Jahrhundert lang unverändert. Goldgrund, starre Symmetrie und immer gleiche Gesten gemahnen daran, dass diese Konterfeis nicht von dieser Welt sind: Jesus, Maria und alle Heiligen sehen die armen Sünder frontal an.

 

Pop Art + SozArt, Russland + Kuba

 

Kein Wunder, dass dieser Bildtypus von Künstlern und PR-Leuten aufgegriffen wird: Sie wollen von seiner Aura und Autorität profitieren. Rund 40 derartige Werke hat das Ludwig Forum aus dem Bilderfundus des Großsammlers Peter Ludwig (1925-1996) zusammengestellt; dessen Kollektion ist auf 14 Museen in sechs Ländern verteilt.

 

Verständlicherweise spiegelt die Auswahl Ludwigs Vorlieben wider: Pop Art der 1960/70er und SozArt der 1980/90er Jahre sind stark vertreten; dagegen fehlen Arbeiten aus den letzten 20 Jahren. Neben Weltstars wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Ai Weiwei hängen wenig bekannte Maler aus Russland und Kuba; dort kaufte Ludwig en gros ein und gründete neue Museen. Was von Vorteil ist, zeigt es doch, dass die Ikonisierung von Malerei kein rein westliches Phänomen ist.

 

Sowjet-Wappen als auf- oder untergehende Sonne

 

Im Gegenteil: Künstler des Ex-Ostblocks knüpfen an traditionelle Ikonenmalerei so nahtlos an, wie es für westliche Kollegen undenkbar wäre. Ob der Russe Aleksandr Kharitonov mit einer pointillistischen Jünger-Szene, der Bulgare Enĉo Pironkov mit einer gestisch gemalten Kreuzigung oder der Kubaner Rubén Alpizar Quintana mit surreal anmutendem Abendmahl und Kruzifix: Alle bedienen sich klassischer Ikonographie, weil ihr christlich geprägtes Publikum jede noch so geringe Variation des Kanonischen bemerkt.

 

Überdeutlich fällt sie bei Dmitrij Žilinskij aus: Er stellte 1986 die Verhaftung seines Vaters in Stalins „Großer Säuberung“ wie eine Kreuzigung dar; ein Andachtsbild zum Märtyrer-Gedenken. Kurz darauf verkehrten das SozArt-Künstler ins Ironische: Eric Bulatov malte 1989 einen „Sonnenaufgang oder -untergang“ über dem Meer – und ersetzte die Sonne durch das Wappen der Sowjetunion. Bald wurde klar, dass dieser Planet gerade unterging.

 

Calvin Klein kommentiert Fidel Castro

 

Wobei die sozialistische Bilderwelt lange auf den Westen abstrahlte. Der Italiener Renato Guttuso schuf als linientreues KP-Mitglied die Historien-Collage „Mai 1968 – Wandzeitung“ im Stil eines Propaganda-Freskos. Mit etlichen Foto-Sujets, die damals die Gemüter erregten: von Wohlstands-Müll und Bürotürmen des Kapitals bis zum toten Che Guevara und dem Polizeichef von Saigon, der Vietcong-Kämpfer erschießt. Natürlich dürfen Protestierer mit roten Fahnen und knüppelnde Polizisten nicht fehlen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung “Power Up” – Female Pop Art in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Mel Ramos – 50 Jahre Pop Art" in Wien + Völklingen

 

und hier einen Besprechung der Ausstellung “Hyper Real” über "Die Passion des Realen in Malerei und Fotografie" mit fotorealistischen US-Künstlern wie Chuck Close in Wien + Aachen.

 

Solch revolutionären Elan verwandelte der Isländer Erró wenig später in quietschbunte Pop-Art-Paraphrasen. 1975 ließ er chinesische Rotgardisten auf die Venus von Botticelli und das Kapitol in Washington zustürmen: Ein Jahr vor Maos Tod war dessen „Kulturrevolution“ längst entzaubert. Zwei Jahrzehnte später kommentierte der Kubaner José Toirac einen Fidel Castro in Rednerpose mit dem Werbeslogan „Eternity / Calvin Klein“: Helden sterben, Edelmarken bleiben.

 

Bilder verehren, nicht anbeten

 

Hauptsache, sie werden den Konsumenten eingehämmert: bigger is better! Dass schiere Größe fast jedes Motiv mit Ehrfurcht gebietender Bedeutung aufladen kann, führen fotorealistische Werke der 1970er Jahre vor. Franz Gertsch bläst fünf Kumpels in Rocker-Kluft zu einer supergroup auf. Und Chuck Close porträtiert seinen Kollegen Richard Serra, der mit riesigen Stahlplastiken berühmt wurde, wie den Heiland selbst: frontal, symmetrisch und überüberlebensgroß. So werden alle Hautporen und Härchen sichtbar – was ihn wieder auf Normalmaß zurechtstutzt.

 

Gegenüber diesen so cleveren wie ironischen Bildstrategien fallen die Werke von big names wie Warhol, Ai Weiwei oder dem Fotografen-Paar Bernd und Hilla Becher etwas ab; weil sie Ikonisierung weniger plakativ betreiben oder schlicht zu oft ausgestellt wurden. Nichts schadet dem Nimbus von Ikonen so sehr wie Entwertung durch Massenverbreitung. Das zeigte sich schon im byzantinischen Bilderstreit, der im 8. und 9. Jahrhundert wie ein Bürgerkrieg tobte. Ihn beendete ein Kompromiss: Man soll Bilder verehren, aber nicht anbeten.