Berlin

Pasolini Roma

Silvana Mangano in "Teorema", 1968, Reproduktion, © Reporters Associati – Roma. Fotoquelle: Martin-Gropius-Bau, Berlin
Er war einer der klügsten Künstler des 20. Jahrhunderts: Der schwule Katholik und Marxist Pier Paolo Pasolini sezierte in Wort und Film messerscharf die Verheerungen der Moderne. Nun feiert ihn der Gropius-Bau – und schreckt vor seiner Radikalität zurück.

Filmregisseure kann man kaum ausstellen; was soll man zeigen? Drehbücher, Requisiten und Szenenbilder liefern nur blasse Ahnungen von einem Lebenswerk, das für die Leinwand geschaffen wurde. Dort gehört es eigentlich hin – in voller Länge. Kurze Schnipsel auf Monitoren machen nur Appetit, ohne ihn zu stillen.

 

Info

 

Pasolini Roma

 

11.09.2014 - 05.01.2015

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr

im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Berlin

 

Katalog 29 €

 

Website zur Ausstellung

 

Bei Pier Paolo Pasolini (1922-1975) ist das anders. Weil bei ihm alles anders war: Berühmt wurde er als Regisseur, doch er war auch Lehrer, Maler, Lyriker, Sprachforscher, Essayist, Salonlöwe, Romancier, Homosexueller, Katholik, Kommunist, Leitartikler, Medientheoretiker und radikaler Gesellschaftskritiker. Mit einem Wort: ein uomo universale – der wohl letzte des 20. Jahrhunderts.

 

Sagenhafte Sensibilität + Gespür

 

Er wollte sein Leben und Werk nie trennen. Und weil kein Leben stets gelingt, ist ihm auch manches missglückt; wenige Künstler haben sich so oft und glaubwürdig selbst widerrufen wie er. Aber da Pasolini alles mit unbedingter Leidenschaft betrieb, schuf er in nur 25 Jahren ein Riesenwerk, das zu großen Teilen bis heute Bestand hat – weil seine Themen und Obsessionen von sagenhafter Sensibilität und hellsichtigem Gespür für Künftiges zeugen.


Interview mit MGB-Direktor Gereon Sievernich + Impressionen der Ausstellungen


 

Rom als Kosmos, Observatorium + Ideal

 

Da kann man eine Menge ausstellen. Dazu haben sich Institutionen aus vier Ländern zusammengetan, finanziert von der EU-Kommission. Nach fünf Jahren Vorbereitung und Stationen in Barcelona, Paris und Rom ist die Ausstellung nun im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Der Aufwand hat sich gelohnt: Selten wird ein Künstler so durchdacht, abwechslungsreich und fantasievoll gewürdigt wie hier.

 

In einer Doppel-Schau, wie der Titel anzeigt: Sie behandelt die Person Pasolini ebenso wie die Stadt Rom. Zu ihr hatte er ein gleichsam symbiotisches Verhältnis. Rom war sein Kosmos, den er unermüdlich durchstreifte; das Observatorium, in dem er die menschliche Natur und den Wandel der modernen Zivilisation beobachtete; sein Ideal, dessen Vitalität er unermüdlich pries. In Rom erlebte Pasolini seine Neugeburt; zumindest eine soziale.

 

„Ich liebe das Leben so wild, so verzweifelt…“

 

1950 war er in der friaulischen Provinz bei schwulem Sex erwischt, als Junglehrer entlassen und aus der KP ausgeschlossen worden. Er floh mit seiner Mutter in die Kapitale – die Ausstellung beginnt als multimediale Zugfahrt – und fing ganz unten an: In den Vorstädten, wo das Proletariat in selbst gezimmerten Baracken wie in slums der Dritten Welt hauste.

 

Diese borgate wurden Pasolinis unerschöpflicher Quell der Inspiration: wimmelndes Treiben auf den Gassen, lebenspraller Romanesco-Dialekt und die lockere Moral junger Männer. Von ihnen bekam er nicht genug: „Ich liebe das Leben so wild, so verzweifelt, dass mir daraus nichts Gutes erwachsen kann. Ich meine damit die physischen Gaben des Lebens, die Sonne, das Gras, die Jugend. Es kostet mich nichts und ist in grenzenlosem Überfluss ohne Einschränkungen vorhanden: und ich verschlinge und verschlinge…“

 

Filmdebüt mit Duccio + Giotto im Kopf

 

Sein literarisches coming out folgte 1955: Der mit Romanesco durchsetzte Roman „Ragazzi di vita“ wurde ein Skandalerfolg – und Pasolini zum Liebling des Kulturbetriebs. Er publizierte pausenlos, schrieb Drehbücher für Cinecittà und wagte sich 1961 an seinen ersten Film.

 

Ohne Regie-Erfahrung, aber mit Frührenaissance-Vorbildern von Duccio und Giotto im Kopf, scharte er ein Laien-Ensemble um sich wie etwa zeitgleich Ingmar Bergman (mit Profis) oder später Rainer Werner Fassbinder. „Accattone“ über Zuhälter und Nutten in den borgate erregte Aufsehen wie „Außer Atem“ von Jean-Luc Godard; sein Filmdebüt machte Pasolini in ganz Europa bekannt.

 

Sowjet-Dichter in Christus-Rolle

 

Mit seinem Freund Godard verband ihn unbändige Experimentierfreude. Nach zwei weiteren borgate-Filmen testete er fortan aus, was im Kino alles möglich ist: mit einer Wochenschau-Collage zu Gewalt und Revolten („La Rabbia“, 1963), einer Massenumfrage-Doku über Sex („Gastmahl der Liebe“, 1964) oder Doku-Filmessays über Palästina, Indien und Afrika.

 

Pasolinis Neugier auf waghalsige Kombinationen war grenzenlos. Für seine Verfilmung des Matthäus-Evangelium wollte er die Christus-Rolle mit dem Sowjet-Dichter Jewgeni Jewtuschenko besetzen; als der absagte, engagierte er einen spanischen Anti-Franko-Aktivisten. In „Große Vögel, kleine Vögel“ (1966) begutachten der Komiker Totò und Pasolinis Geliebter Ninetto Davoli, wie das römische Umland zubetoniert wird; begleitet von einem marxistisch geschulten Raben – der am Ende verspeist wird.

 

Historisch-erotische Trilogie

 

Danach drehte Pasolini Parabeln antiker Mythen wie „Edipo Re“ (1967), „Teorema“ (1968) und „Medea“ (1969). Anfang der 1970er Jahre folgte eine Trilogie historisch-erotischer Episodenfilme über das Decamerone, die Canterbury Tales und die „Geschichten aus 1001 Nacht“ – seine vielleicht schwächsten, weil konventionellsten, aber kommerziell erfolgreichsten Werke.