Diese hochqualifizierten Einwanderer sind fast vergessen: An DDR-Hochschulen studierten viele Ausländer aus „sozialistischen Bruderstaaten“ und ihnen politisch nahe stehenden Entwicklungsländern. Bis 1970 waren es jährlich rund 1.000, dann stieg ihre Zahl auf über 10.000 pro Jahr. Insgesamt haben mehr als 50.000 Ausländer ein Studium in der DDR absolviert. Was ist aus ihnen geworden?
Info
Bonne Nuit Papa
Regie: Marina Kem,
100 Min., Kambodscha/ Deutschland 2014;
mit: Ottara Kem, Marina Kem, Thonevath Pou
Massenmord mit 2 Millionen Toten
Sie trieben die Bevölkerung aus den Städten aufs Land, wo sie in Lagern unter entsetzlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten. Diesem „Steinzeit-Kommunismus“ fielen zwei Millionen Kambodschaner zum Opfer; Anfang 1979 beendeten vietnamesische Truppen den Terror. Allerdings nicht alle Gräuel: Die Roten Khmer führten im Grenzgebiet zu Thailand bis 1998 einen langen Guerillakrieg. Auch ihre Massenmorde sind heute fast vergessen.
Offizieller Filmtrailer
Wie bei Fotoalben von Unbekannten
Genug Stoff für einen fesselnden Dokumentarfilm, sollte man meinen: in dem sich Privates und Politik, Ost-West-Konflikt und Nord-Süd-Gegensatz zum facettenreichen Epochen-Panorama verbinden. Unter allen denkbaren Ansätzen wählt Regisseurin Marina Kem den persönlichsten: ihre Familienverhältnisse.
Ihre Eltern ließen sich 1986 scheiden; der Vater wurde ihr fremd. Als er nach der Wiedervereinigung seinen Job verlor, zog er sich vollends zurück. Schließlich erkrankte der Kettenraucher an Lungenkrebs und starb. All das breitet Regisseurin Kem weitschweifig aus; mit Schnappschüssen und Tagebüchern, Gesprächen mit Verwandten und Bekannten. Es ist wie bei Fotoalben fremder Leute: erste Einblicke machen neugierig, danach möchte man es gar nicht so genau wissen.
Ex-Peiniger auf der Straße begegnen
Spannender sind Aufnahmen von Marina Kems Besuchen bei ihrer Verwandtschaft in Südostasien: 1999 noch mit Papa und ihrem Freund Oliver Neis, 2012 mit Filmteam. Auf der ersten Reise springt ins Auge, wie fehl am Platz sich Vater und Tochter fühlen: Er hat seinen Angehörigen wenig zu sagen, sie spricht kein Khmer. Beim zweiten Anlauf kommt mehr zustande: anschauliche Bilder vom tropischen Alltag im heutigen Kambodscha.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung “Mythos Goldenes Dreieck” über buddhistische Bergvölker in Südostasien im Ethnologischen Museum, Berlin
und hier einen Beitrag über die Doku “Goldrausch – Die Geschichte der Treuhand” über das Ende der DDR-Wirtschaft von Prod. Thomas Kufus
und hier einen Bericht über die "documenta (13)" in Kassel mit Fotografien von Vandy Rattana über Spuren des Bomben-Kriegs in Kambodscha.
Freund kehrte nach Kambodscha zurück
Das blendet Regisseurin Kem weitgehend aus: Kambodschas turbulente Geschichte seit der Unabhängigkeit 1953 handelt sie in wenigen Sätzen ab. Stattdessen kreist sie unermüdlich um das Schweigen ihres Vaters und seine fast schon depressive Passivität. Anstatt einer Frage nachzugehen, die ihr sein Landsmann und Studienfreund nahe legt.
Thonevath Pou studierte in der DDR Germanistik, ging in die Bundesrepublik und kehrte 2007 nach Kambodscha zurück. Dort fühlt er sich etwas fremd, aber anscheinend nicht unwohl. Warum hat ihr Vater nicht ähnlich gehandelt, als er in Ostdeutschland für sich keine Zukunft mehr sah? Wieso mied er seine alte Heimat, ohne eine neue gefunden zu haben?
Alles bleibt in der Familie
Doch interkulturelle Probleme kümmern Marina Kem offenbar nur als Familienaufstellung. Damit wird eine vielschichtige Außenseiter-Biografie, die manche Verwerfungen des 20. Jahrhunderts prägten, zum Anlass für gefühlige Befindlichkeits-Bekenntnisse. Für diese human interest-Nabelschau haben die Regisseurin und ihr Partner Neis eigens eine GmbH gegründet: die „Sterntaucher Filmproduktion“. So bleibt alles in der Familie. Wie in asiatischen Gesellschaften üblich, wo sie Anfangs- und Endpunkt allen Denkens und Handelns ist.