Bremen

Existenzielle Bildwelten – Sammlung Reinking

Wim Delvoye: TIM, Tattoo (Detail), 2006 – 2008, Sammlung Reinking, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014, Foto: Niklaus Spoerri. Fotoquelle: Weserburg, Bremen
Ein Mash Up als Memento Mori: Die Weserburg zeigt eine Privatsammlung, die traditionelle Artefakte aus Afrika und Ozeanien mit Gegenwartskunst kombiniert. Als schillernden Mix von Werken zu elementaren Momenten des Lebens – vor allem dem letzten.

Mash Ups, also mediales Verquirlen von eigentlich Unvereinbarem, sind derzeit schwer in Mode. Auch im Kunstbetrieb: Nachdem Heerscharen von Kuratoren sämtliche Stile und Strömungen durchgeackert oder Künstler aus der zweiten Reihe „wiederentdeckt“ und aufgewertet haben, gehen ihnen allmählich die Themen aus.

 

 

Existenzielle Bildwelten - Sammlung Reinking

 

24.05.2014 - 01.02.2015

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

in der Weserburg - Museum für moderne Kunst, Teerhof 20, Bremen

 

Weitere Informationen

 

Da liegt der Gedanke nahe, mit verblüffenden Kombinationen Aufsehen zu erregen. Beliebt ist etwa, Alte-Meister-Ausstellungen mit zeitgenössischen Werken zu bestücken. Manchmal entstehen dabei überraschende Wechselbezüge zwischen den Exponaten, manchmal nicht. In jedem Fall irritiert es Liebhaber beider Segmente, was Aufmerksamkeit garantiert.

 

Hier Kunsthistoriker, dort Ethnologen

 

Ergiebiger ist oft die Konfrontation von westlicher mit außereuropäischer Kunst. Bis vor kurzem wurden beide Bereiche streng getrennt behandelt: einerseits die abendländische Kunsttradition vom alten Ägypten bis zur Postmoderne, in Museen oder Galerien präsentiert und von Kunstwissenschaftlern akribisch erforscht. Andererseits indigene Arbeiten fremder Völker, die erst seit der Kolonialzeit gesammelt werden; darum kümmern sich Ethnologen.

 

Globalisierung beschleunigt one-world-Erkenntnis

 

Dass solche Objekte Ausdruck komplexer Kulturen mit einzigartigen Qualitäten sind, wird erst seit rund 40 Jahren anerkannt. Noch jünger ist die Einsicht, dass sie oft raffinierte ästhetische Lösungen für universelle Fragen und Aufgaben darstellen – und darin mit Zeugnissen anderer Kulturen vergleichbar sind. Die Globalisierung hat diese Erkenntnis beschleunigt: Künstler in Schwellenländern knüpfen an lokale Traditionen an und verzahnen sie mit internationalen Konzepten und Techniken.

 

Darauf reagieren Völkerkunde-Museen bislang zögerlich: Dort arbeiten meist Ethnologen, die von Kunstgeschichte wenig verstehen. Es sind eher Privatsammler, die das one world-Postulat ernst nehmen und Werke aller Kulturen und Epochen gleichberechtigt nebeneinander zeigen: etwa Dirk Krämer und Klaus Maas in ihrem Duisburger Museum DKM oder Thomas Olbricht in seinem Berliner me Collectors Room.

 

Totenschädel mit bunten Käfer-Panzern

 

Diesen Ansatz verfolgt auch der Hamburger Sammler Rik Reinking. Mit einer Auswahl seiner Kollektion ist er schon zum vierten Mal seit 2001 Gast in der Weserburg; diesmal unter dem etwas sperrigen Titel „Existenzielle Bildwelten“. Der sollte keinen abschrecken: Es geht um sehr konkrete, elementare Momente des Lebens wie Geburt, Übergang von einer in die nächste Phase – und vor allem den Tod.

 

Zu sehen ist eine teils wilde, teils gelungene Mischung von traditionellen Artefakten aus Afrika oder Ozeanien und Gegenwartskunst. Zuweilen fusionieren beide Sphären: Der Belgier Jan Fabre, bekannt als Regisseur und Choreograph, beklebt einen Totenschädel mit bunt schillernden Käfer-Panzern. Er greift damit eine Praxis der Asmat in Papua-Neuguinea auf: Sie überformen und modellieren Schädel, um ihre Verstorbenen zu ehren.

 

100 Totenmasken vom Künstler

 

In ähnlicher Weise hängt die Französin Hermine Anthoine einen stilisierten Baumstamm samt Schmetterlingsflügeln aus Bronze auf. Darunter verstreut sie echte Schmetterlingsflügel: als Sinnbild für die Metapher vom Lebensbaum, der im Humus der Vorfahren wurzelt. Insekten verwendet ebenso Victor Bonato aus Köln: 20 Fliegenfänger an der Wand sind mit Resten von Ungeziefer übersät. Die Provokation liegt im Werknamen „10.000 Seelen“ – jeder Hindu dürfte dem zustimmen.

 

Ohnehin gemahnen etliche Beiträge an die Vergänglichkeit allen Seins. Äußerst drastisch die raumfüllende Installation „Crackhead“ des in New York lebenden Chinesen Terence Koh: In mehr als 100 gestapelten Plexiglas-Vitrinen liegt das Gesicht des Künstlers mit schlafendem, erschrockenem oder schreiendem Ausdruck. Die Abgüsse sind mit Asche überzogen – ein Massengrab des Schreckens. In einer dunklen Kammer inszeniert Koh zudem sein eigenes Grab.

 

Tattoo-Kunstwerk auf Männer-Rücken

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Humboldt Lab Dahlem: Probebühne 1" über die Kombination von Ethnologica mit zeitgenössischer Kunst in den Museen Dahlem, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung  “Minkisi – Skulpturen vom unteren Kongo” mit faszinierenden Nagel-Fetischen im Grassi Museum, Leipzig

 

und hier eine Rezension der Ausstellung "Gandhāra – Die Kunst in der Sammlung DKM" mit antiker mittelasiatischer + zeitgenössischer Kunst im Museum DKM, Duisburg

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "My Paris – Collection Antoine de Galbert" mit Ethnologica + Gegenwartskunst im me Collectors Room, Berlin.

 

Gewohnt krude frönte William S. Burroughs seinem Waffenfetischismus mit shot paintings: Er feuerte auf Holztafeln, was Farbspritzer hinterließ. Subtiler geht sein US-Landsmann Gregory Green vor, indem er das Modell einer Plutonium-Bombe anfertigt. Aus Alltagskram wie einem baseball, Metallstiften und einer Kunststoff-Kugel: von diesem optisch transparenten, aber funktionell undurchschaubaren Gebilde geht ein eigentümlicher Reiz aus.

 

Wo der Sensenmann nicht offen angerufen wird, sind seine Spuren dennoch gegenwärtig. Der Schweizer Frantiček Klossner ließ einen Eisblock in Form seines Körpers schmelzen: Davon zeugen in der Ausstellung noch Rostränder auf einer Eisenplatte. Der Belgier Wim Delvoye ließ ein von ihm entworfenes Motiv auf den Rücken eines Mannes tätowieren. Sammler Reinking erwarb das Recht, ihn einmal jährlich auszustellen; nun hängt in der Schau ein Foto. Sobald der Mann stirbt, gehört Reinking seine Rückenhaut.

 

Seelenboot + Federgeld

 

Wem solche lebenden Kunstwerke zu morbide sind, der hält sich besser an die hochklassigen afrikanischen und ozeanischen Werke. Ein so genanntes „Seelenboot“ der Asmat, das bei Trauerfeiern und Initiationsriten benutzt wird, besticht mit üppigem Figurenschmuck; eine Kavat-Maske der Baining auf der Insel Neubritannien mit expressiver Bemalung, die an einen Riesenvogel erinnert.

 

Auch eine Ahnen-Holzfigur der Asmat als Vogel-Krokodil-Mensch, eine voluminöse Nimba-Aufsatzmaske der Baga in Guinea, ein ausdrucksstarker Nkisi-Nagelfetisch aus dem Kongo oder aufgerolltes, leuchtendes Federgeld von den Salomon-Inseln sind Prachtstücke, die das in Bremen beheimatete Übersee-Museum schmücken würden. Vielleicht sollte Sammler Reinking einmal mit diesem Haus kooperieren; das könnte für eine engere Verflechtung zwischen seiner Memento-Mori– und der Exotica-Kollektion sorgen.