Liv Ullmann

Fräulein Julie

Küss mir die Stiefel, Lakai: Das adlige Fräulein Julie (Jessica Chastain) demütigt den Diener (Colin Farrell). Foto: Alamode Filmverleih
(Kinostart: 22.1.) Mittsommernachts-Mesalliance: Ein Diener verführt seine adlige Herrin und lässt sie dann fallen; das endet tragisch. Strindbergs einstiges Skandal-Drama verfilmt Liv Ullmann gekürzt, aber buchstabengetreu – was merkwürdig kalt lässt.

Mittsommernacht auf dem Land: Die Angestellten eines Adelsguts feiern. Aus Langeweile mischt sich die Tochter des Besitzers unters Volk und flirtet mit einigen Männern. Kammerdiener John (Colin Farrell) war schon immer von Fräulein Julie (Jessica Chastain) fasziniert. Auch sie ist von dem gut aussehenden und cleveren Burschen beeindruckt; Julie spielt ihre Reize aus, ohne den Standesunterschied zu vergessen.

 

Info

 

Fräulein Julie

 

Regie: Liv Ullmann,

129 Min., Norwegen/ Großbritannien/ Irland 2014;

mit: Jessica Chastain, Colin Farrell, Samantha Morton

 

Website zum Film

 

John ist von ihr bezaubert und hofft insgeheim auf sozialen Aufstieg: Seinen Ambitionen steht seine einfache Herkunft im Weg – und seine Verlobte, die Köchin Kathleen (Samantha Morton). Zwischen der Adligen und ihrem Diener beginnt ein gewagtes Spiel aus Verführung und Ablehnung; im Verlauf der Nacht steigern sich beide in eine bizarre Leidenschaft hinein.

 

Drama in Colin Farrells Heimat

 

Regisseurin Liv Ullmann war in den 1970/80er Jahren die Lieblings-Schauspielerin des genialen Ingmar Bergman. Für ihre vierte Regie-Arbeit hat sie den Schauplatz nach Irland im späten 19. Jahrhundert verlegt. So kann der gebürtige Ire Colin Farrell in der englischen Originalfassung seinen Heimatakzent sprechen. Zudem hat Ullmann das Drama von August Strindberg deutlich gekürzt und auf die drei Hauptfiguren konzentriert. Eine gute Entscheidung: Sie erhalten viel Raum, um ihre Qualitäten auszuspielen.


Offizieller Filmtrailer


 

Kampf der Geschlechter + Klassen

 

Die meisten Szenen spielen sich im Herrenhaus ab. Nur einmal macht der Film einen kurzen Ausflug in den märchenhaft wirkenden Garten – eine willkommene Atempause für die Figuren wie das Publikum. Bis dahin war es Zeuge eines so nervenaufreibenden wie desillusionierenden Kampfes der Geschlechter und Klassen.

 

Julie, die verzogene und verlorene Tochter des Barons, wurde von ihrem Verlobten verlassen; damit hat sie scheinbar ihren Daseinszweck verloren und lässt sich treiben. Hingegen tritt John äußerst zielstrebig auf; folgerichtig vermutet er anfangs hinter Julies Avancen nur eine flüchtige Laune.

 

Erst entjungfern, dann dafür verachten

 

Sie spielt ihre soziale Stellung skrupellos aus, manipuliert ihn und lässt ihn sogar ihre Stiefel küssen. Doch in der Intimität der Gutsküche kommen sie sich näher und sprechen über ihre geheimen Ängste und Wünsche. John offenbart Julie, er habe schon als Kind für sie geschwärmt. Julie entgegnet, wie gern sie den herrschenden gesellschaftlichen Zwängen entfliehen würde.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Fräulein Else" - Verfilmung der Novelle von Arthur Schnitzler über Selbstmord aus verlorener Ehre von Anna Martinetz

 

und hier einen Bericht über den Film “Confession”- exzellente Verfilmung des Liebesroman-Klassikers von Alfred de Musset durch Sylvie Verheyde mit Pete Doherty

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Ingmar Bergman – Von Lüge und Wahrheit" über das Gesamtwerk des schwedischen Regisseurs im Museum für Film und Fernsehen, Berlin.

 

Einen Augenblick lang scheint alles möglich zu sein; die Anziehung wird unerträglich. John verführt Julie, hat aber danach nur noch Verachtung für sie übrig. Ihre Aura der Unerreichbarkeit ist dahin; er sieht in ihr nur noch ein Mittel zum Zweck seines Aufstiegs. Julie will hingegen alles aufgeben, nur um sich geliebt zu fühlen. Die widersprüchlichen Erwartungen entladen sich schließlich in einem blutigen Exzess.

 

Wie Oligarchen-Tochter + Gärtner

 

Nach seiner Uraufführung 1889 in Kopenhagen war Strindbergs Drama in Schweden bis 1906 verboten; es galt dort als subversiv, obwohl es auf etlichen Bühnen Europas gespielt wurde. Skandalträchtig ist das Stück zwar nicht mehr, doch hat es immer noch eine gewisse Aktualität. Das Verhältnis der Geschlechter ist ein unerschöpfliches Thema; auch spielen Standesunterschiede vielerorts eine große Rolle. Man stelle sich etwa eine russische Oligarchen-Tochter vor, die mit ihrem kasachischen Gärtner durchbrennen wollte.

 

Solche Aktualisierungen würden den Stoff noch heute interessant machen. Regisseurin Ullmann lässt aber die Figuren in ihrer Epoche agieren. So ergibt sich die Fallhöhe von Julie nur aus dem historischen Kontext, anstatt aus dem zeitlosen Wechselspiel von Begehren und Zurückweisung.

 

Zwar bewegt sich die Kamera durch schön arrangierte und beleuchtete Räume, und die Leistungen der Schauspieler sind brillant. Gleichwohl ergreift das eigentlich aufwühlende Geschehen den Zuschauer nicht. Es bleibt eine merkwürdige Distanz, die wohl nur das Theater überwinden kann – und sei es mit einer platten Aktualisierung.