Ronit + Shlomi Elkabetz

Get – Der Prozess der Viviane Amsalem

Die Zeugin Donna (Dalia Begger) wird verhört. Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 15.1.) In Israel müssen Ehen von Rabbis geschieden werden; wenn der Gatte nicht einwilligt, geht gar nichts. Dieses Dilemma führt dieser Film eindringlich vor: als erhellenden Einblick in die rechtliche Stellung von Frauen im jüdischen Staat.

20 Jahre sind Vivian und Elijah Amsalem verheiratet, und jeder, der sie kennt, weiß: Das war keine gute Ehe. Nun sind die Kinder erwachsen, und Viviane will endlich ihre Freiheit. Die kann sie aber nach israelischem Recht nur erhalten, wenn der Gatte ihr formell einen „Get“ überreicht, den Scheidungsbrief. Das Rabbinat, das in Israel für Eheschließungen und -trennungen allein zuständig ist, kann ihn nicht zwingen. Der Staat hält sich heraus – und Elijah, soviel wird schon in der ersten Szene deutlich, beabsichtigt nicht, in die Scheidung einzuwilligen.

 

Info

 

Get: Der Prozess der Viviane Amsalem

 

Regie: Ronit & Shlomi Elkabetz, 115 Min., Frankreich/ Israel 2014;

mit: Ronit Elkabetz, Simon Abkarian, Menashe Noy

 

Website zum Film

 

Viviane sitzt in der Klemme. So sehr sie und ihr Anwalt sich bemühen: Sie rennen immer wieder gegen eine Wand aus patriarchalischen Traditionen, theokratischen Formalitäten und unterschwelligen Vorwürfen. Innerlich brodelnd kämpfen sie gegen die Winkelzüge von Elijahs Bruder und selbsternanntem Vertreter, gegen die Ressentiments der Rabbis und die verbitterte Renitenz des Ehemanns.

 

Jeder Blickwechsel ein Ereignis

 

Fünf Jahre währt der Kampf. Die Kamera verlässt dabei nie die Räume des Rabbinatsgerichts; die Szenen beschränken sich auf die Verhandlungstage, die von monatelangen Verzögerungen unterbrochen werden. Das verlangt dem Zuschauer allerhand ab, doch Minimalismus muss nicht langweilig sein: Das großartige Spiel der Darsteller und eine nuancierte Kameraführung machen jede Volte, jeden Blickwechsel, jedes Gesichtszucken zu einem Ereignis.


Offizieller Filmtrailer


 

Mikrokosmos einer Ehe unter Scheidungs-Lupe

 

Dabei dürfte das Publikum wohl mit absoluter Mehrheit Vivianes Partei ergreifen. Aber sie wird nicht zur Heiligen verklärt. Ihr Gatte Elijah, der sich mit stummer Verweigerung und tödlich gekränktem Stolz dem Unvermeidlichen entgegenstemmt, wird zu keiner Zeit denunziert. Es ist schwer, nicht auch von seinem traurigen Blick berührt zu werden.

 

Wie im iranischen Schwesterfilm „Nader und Simin“ von Asghar Farhadi wird das Private zum Politischen, wenn der Mikrokosmos einer Ehe unter dem Vergrößerungsglas des Scheidungsprozesses sich zur gesellschaftlichen Parabel ausdehnt. Alle Beteiligten, wie die Nachbarn, Verwandten und Freunde, die nacheinander als Zeugen vor Gericht auftretend, werden durch ihre soziale, ethnische und ethische Position zu Stellvertretern gesellschaftlicher Schichten, die hier auf engstem Raum zusammenkommen.

 

Abschluss einer Film-Trilogie

 

Den Geschwistern Ronit und Shlomi Elkabetz, die gemeinsam das Drehbuch schrieben und Regie führten, gelingt mit „Get“ die Verdichtung und Krönung ihrer Film-Trilogie. Sie begann 2003 mit „To Take A Wife“ und wurde mit „Shiva“ – ebenfalls ein Kammerspiel – fortgesetzt.

 

Alle drei Filme behandeln die unglückliche Ehe zwischen der temperamentvollen, weltoffenen Viviane, von Ronit Elkabetz selbst gespielt, und dem verschlossenen, streng religiösen Elijah, der ihr die Liebe verweigert, die sie sich wünscht. Die Hauptfigur trägt zudem autobiografische Züge: Auch Ronit und Shlomi Elkabetz‘ Mutter war Friseurin, auch ihre Familie stammt aus Marokko.

 

Versprechen eines säkularen Staates nie eingelöst

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Fill the Void – An ihrer Stelle” – über die Rolle der Frau bei orthodoxen Juden in Israel von Rama Burshtein

 

und hier eine Besprechung des Films “Nader und Simin – eine Trennung” – Oscar-prämiertes Meisterwerk über eine Ehekrise von Asghar Farhadi

 

und hier eine Rezension des Films “Wer weiß, wohin?” – über Frauen-Power im Libanon von Nadine Labaki.

 

Im Lauf der Jahre wurde aus der subjektiven Schilderung einer einzelnen, langsam sterbenden Ehe eine größere Erzählung über die rechtliche Stellung von Frauen in Israel. Viviane Amsalem leidet stellvertretend für alle Ehefrauen an einem System, dem es nie gelang, das zionistische Versprechen eines säkularen Staates vollständig einzulösen: Für Familienrecht, also auch Eheschließung und -scheidung, sind allein die Religionsgemeinschaften zuständig. Nichtreligiöse können in Israel nicht heiraten.

 

Bei Israel klaffen die Innen- und Außenwahrnehmung auseinander wie bei kaum einem anderen Staat. Im Ausland ist das Urteil über Israel oft schneller als die informierte Argumentation. Dagegen werden gesellschaftliche Verhältnisse und moralische Standpunkte in der jungen israelischen Kultur geradezu obsessiv hinterfragt.

 

Kino als soziales Versuchslabor

 

Das israelische Kino hat sich seit den 1970er Jahren höchst streitbar mit der eigenen innen- wie außenpolitischen Lage auseinandergesetzt. Solche Filme haben oft unangenehme Wahrheiten als erstes ausgesprochen und damit Diskussionen ausgelöst, die ansonsten nicht oder nicht in dieser Form stattgefunden hätten.

 

In der turbulenten Geschichte Israels fungieren Filme im besten Fall als Versuchslabor, in dem die Kräfte, die den Staat zusammenhalten, aber auch die, die ihn zu zerreißen drohen, experimentell, poetisch, humorvoll und voller Ernst aufeinander losgelassen werden. Ronit Elkabetz, die als Schauspielerin in vielen solcher Filme mitwirkte, hat mit ihrem Bruder ein eigenes, feministisches Kapitel dieser Geschichte geschrieben.