Ron Mann

Altman

Robert Altman in seiner Wohnung 2005, ein Jahr vor seinem Tod. Foto: NFP marketing & distribution
(Kinostart: 19.2.) Er erfand den Ensemble-Film und Simultan-Dialoge, womit er Hollywood auf den Kopf stellte: Robert Altman hat das US-Kino verändert wie kaum ein zweiter Regisseur. Die Doku von Ron Mann porträtiert ihn anschaulich und unaufgeregt.

Während der letzten zehn Jahre vor seinem Tod 2006 galt es als schick, Robert Altman als „Regie-Altmeister“ zu titulieren. Nun ist Robert Altman bereits seit acht Jahren Ex-Regie-Altmeister: 2014 wäre er 90 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erinnert ein angenehm altmodisch komponierter Dokumentarfilm daran, wie lang und beschwerlich sein Weg war: vom Industriefilmer zum unberechenbaren Regelbrecher, vom gefallenen Hoffnungsträger zum Altmeister.

 

Info

 

Altman

 

Regie: Ron Mann,

95 Min., Kanada 2014;

mit: Robert Altman, Kathryn Altman

 

Website zum Film

 

Der Film von Ron Mann zeigt Altman auch als treuen Ehemann, großherzigen Familienmenschen und Herzpatienten, der eine Total-Transplantation überstand. Ausschnitte aus seinen wichtigsten Filmen und Interviews mit Altman, Weggefährten wie die Schauspieler Elliott Gould und Lyle Lovett und Angehörige wie Ehefrau Kathryn als talking heads, Fotos von Dreharbeiten sowie unaufgeregtes voice-over – mehr braucht es nicht.

 

Was ist „altmanesk“?

 

Der Film kommt ohne Schnörkel und Schnickschnack aus. Die Wortbeiträge der zahlreich auftretenden Hollywood-Prominenz, von den Schauspielern Lily Tomlin und Bruce Willis bis zum Regisseur Paul Thomas Anderson, beschränken sich auf die Beantwortung einer einzigen, immer wieder gestellten Frage: Was ist „altmanesk“? Ihre verschiedenen Antworten dienen als Zwischentitel der chronologisch erzählten Lebensgeschichte.

Offizieller Filmtrailer (engl.)


 

Vom Industriefilm über TV zum Kino

 

Im Gegensatz zu vielen Kollegen wie Francis Ford Coppola oder Martin Scorsese, die ihr Handwerk in der B-movie-Werkstatt von Roger Corman lernten, begann Altman als Industriefilmer; ein Job, der Pragmatismus und Kreativität erfordert, aber keine künstlerischen Ambitionen. Die entwickelte der Jungregisseur erst, als er zum Fernsehen wechselte.

 

Dort machte er damit von sich reden, dass er zwei Figuren gleichzeitig sprechen ließ – zu dieser Zeit ein Tabu. Altman wollte so drehen, wie das Leben war; manchmal eben unordentlich. Doch gegen die festgefahrenen Schemata der TV-Serienunterhaltung vermochte Altman im Alleingang nichts auszurichten; so ging er zum Kino.

 

Einführung des Mehrkanalton-Verfahrens

 

Um 1970 begann die Blütezeit von New Hollywood. Obwohl Altman eigentlich zu alt war, passten seine Konzepte hervorragend in eine Phase, in der das alte Studio-System von Langhaarigen umgekrempelt wurde: Von der nouvelle vague beeinflusst, erzählten sie neue Geschichten und bürsteten alte Genres gegen den Strich.

 

Dazu leistete Altman mit dem gefeierten Anti-Kriegsfilm „M*A*S*H“ (1970), dem Anti-Western „McCabe und Mrs. Miller“ (1971) und dem US-Gesellschafts-Panorama „Nashville“ (1975) wichtige Beiträge. Doku-Regisseur Ron Mann erinnert daran, dass Altmans Innovationen sich nicht auf die Inszenierung beschränkten. Er setzte auch neue technische Standards, etwa mit der Einführung des Mehrkanalton-Verfahrens. Das erlaubte ihm, beim Dreh gleichzeitig ablaufende Dialoge nachträglich in den Vorder- oder Hintergrund zu mischen.

 

Zwischen Höhenflügen und Abstürzen

 

So folgt diese Doku einer zwischen Höhenflügen und Abstürzen schlingernden Karriere, markiert vom Grand Prix in Cannes 1970 für „M*A*S*H“, dem Erfolg von „Nashville“, dem Flop von „Popeye“ (1980), dem umjubelten Comeback mit „The Player“ (1992) und „Short Cuts“ (1993) sowie dem Alterswerk mit „Gosford Park“ (2001) und „Last Radio Show“ (2006). Von seinen Filmen zählen heute rund die Hälfte zum Kanon des Hollywood-Autorenfilms.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier einen Bericht über den Film Hitchcock – Biopic über den Regisseur von Sacha Gervasi mit Anthony Hopkins + Helen Mirren

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Martin Scorsese”  - weltweit erste Werkschau des Regisseurs im Museum für Film und Fernsehen, Berlin

 

und hier eine Besprechung des Films Roman Polanski: A Film Memoir – Doku über + mit dem Regisseur von Laurent Bouzerau.

 

Hollywood-Autorenfilm – das ist ein Oxymoron, das Altman seit „Short Cuts“ souverän schultern konnte. Er selbst beschreibt es so: „Ich machte Handschuhe, aber sie verkauften Schuhe.“ Seine Triumphe wechselten mit Misserfolgen ab: Zwischenzeitlich kehrte er zum TV zurück und ging ins Exil nach Paris, wo er Theater inszenierte. Das Arbeitstier Altman ereilten gesundheitliche Probleme: erst ein Schlaganfall, dann wurde ihm mit 70 Jahren ein neues Herz eingepflanzt. Es hielt noch für sieben Filme – die Altmeister-Phase.

 

Maximale Bedeutung im Chaos

 

Ron Mann gelingt es, Altmans Meisterschaft auf seine eigene Doku anzuwenden, ohne selbst altmanesk zu werden: Durch kluge, unaufdringliche Montage bringt er komplexe Zusammenhänge auf den Punkt und schafft dabei Raum für Zwischentöne. Er nimmt den Zuschauer bei der Hand, stößt ihn aber nicht ständig mit der Nase auf das Offensichtliche. Und er setzt ein ausuferndes Star-Ensemble behutsam und effektvoll ein.

 

Was ist altmanesk? Vielleicht: aus organisiertem Chaos ein Maximum an Bedeutung herauszuholen. Wie in der legendären, achteinhalb Minuten lang ungeschnittenen Eröffnungssequenz von „The Player“, in der etliche absurde, aber in diesem Kontext plausibel erscheinende Filmprojekte präsentiert werden, während zwei Charaktere über lange, ungeschnittene Eröffnungssequenzen fachsimpeln. Einer von vielen Momenten für die Ewigkeit, die Robert Altman geschaffen hat: Altmeister wie ihn wird es nicht mehr oft geben.