65. Berlinale

Jahres-Hauptversammlung der Berlinale AG

Hier wird fürstlich getafelt: Das "Gropius Mirror"-Spiegelzelt, Spielstätte der Reihe "Kulinarisches Kino". Fotoquelle: Berlinale.de
Business First: Das Massengeschäft läuft glänzend, weil sich hartnäckig das Vorurteil hält, die Berlinale sei ein "politisches Festival". Was sie mit kluger Filmauswahl und Jury-Entscheidungen kräftig nährt; hier der aktuelle Börsenbericht.

750 Filme in EFM-Parallelfestival

 

Denn Logistik bleibt ein Problem: Zwischen den äußersten Kinos in Ost und West liegen rund zehn Kilometer, dazwischen elf weitere Spielstätten. So stellen Besucher ihren Wunschfilm-Plan weniger nach Geschmack, als vielmehr nach Erreichbarkeit zusammen: Schafft man es zwischen zwei Vorstellungen von A nach B? Was nicht nötig wäre, weil es an Leinwänden rund um den Potsdamer Platz nicht mangelt.

 

Doch das Festival nutzt paradoxerweise nur rund die Hälfte. Die andere Hälfte ist für Geschäftspartner der Berlinale AG und ihre high potentials reserviert: Den Martin-Gropius-Bau blockiert der „European Film Market“ (EFM), die Branchenmesse der Film-Einkäufer. Etwa 8500 Fachbesuchern werden sage und schreibe 750 Filme vorgeführt. Dafür benötigt dieser Kino-Marathon Kapazitäten, die dem Berlinale-Programm fehlen.

 

Kulinarisches Kino für 85 Euro

 

300 Meter entfernt steht das Hebbel-Theater, in dem gleichfalls Filme laufen: bei den „Berlinale Talents“, ein Art Mega-Workshop für Nachwuchskräfte der Filmwirtschaft. An ihrem zentralen Treffpunkt genießen sie Vorträge hochrangiger Profis. Kulturstaatsministerin Monika Grütters besuchte dagegen den EFM, der vom Reichstag aus zu Fuß erreichbar ist. Kurze Wege für die Geld- und Entscheider-Elite; gemeine Filmfans müssen weite Wege fahren. Das verkauft die Berlinale AG dann als Förderung von Kinokultur im Kiez.

 

Business first mit Spaß dabei: Unverwüstlich jovial hat CEO Kosslick diese hidden agenda konsequent umgesetzt. Wobei der schlitzohrige Rheinländer jedes neue Geschäftsfeld als edelmütiges Engagement verpackt: etwa seine Leib-und-Magen-Kreation“Kulinarisches Kino“. Die Gala-Diners mit Drei-Gang-Menü vom Sternekoch für happige 85 Euro sind natürlich keine Schlemmer-Sausen, sondern zeigen Öko-Filme und verleihen Preise an Bio-Food-Aktivisten. Corporate Social Responsability verpflichtet: ein gefundenes Fressen für la gauche caviar.

 

1,50 Euro Internet-Zuschlag fürs Nichtstun

 

„Berlinale Talents“ und „Perspektive Deutsches Kino“ dienen selbstredend zur Stärkung des Wirtschafts-Standorts Deutschland. Damit Autohersteller Audi als Sponsor sichtbarer werde, veranstaltete er erstmals tägliche Talk-Shows als „Berlinale Open Lounge“ im showroom am Kurfürstendamm; vor Hochglanz-Karossen stand eine zusätzliche Karten-Kasse. Macht den Kauf noch bequemer, nicht wahr?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier das  Interview "Neue Sichtweisen für die Zukunft" mit Linda Söffker, Sektions-Leiterin "Perspektive Deutsches Kino" der 65. Berlinale 2015

 

und hier den Beitrag "Neuer Deutscher Film – 50 Filmplakate" – Ausstellung zur 65. Berlinale 2015 im Haus der Berliner Festspiele

 

und hier den Bericht “Atmosphäre nur in der Warteschlange” – eine Festival-Bilanz der 64. Berlinale 2014.

 

Oder man bestellt im Internet. Das dort verfügbare Kontingent wurde deutlich vergrößert; die user dürfen seit 2014 ihre tickets selbst ausdrucken, wodurch die Schlangen vor den Schaltern sichtlich schrumpften. Trotzdem verlangt die Berlinale AG im Netz weiterhin 1,50 Euro Zuschlag als „Bearbeitungsgebühr“ – obwohl ihr Personal weniger zu tun hat. Bei mehr als 330.000 abgesetzten Karten eine hübsche Summe.

 

Wie theme park oder Disneyland

 

Solche Einwände würde das Board der Berlinale AG wohl als kleinlich abtun. Schließlich läuft alles wie geschmiert: Ihre mit Zahlen gespickten Pressemitteilungen künden stolz von ungebrochenem Wachstum. Dieser Unterhaltungs-Konzern hat sich in der Liga der global players of entertainment fest etabliert: Wie in theme parks der großen Hollywood-Studios oder Disneyland ist für jeden etwas dabei – samt Pauschal-Arrangement und Souvenir-Shop.

 

Wobei sein unique selling point der unschätzbar wertvolle Ruf ist, ein „politisches Festival“ zu sein. Das hebt die Berlinale AG auf eine Stufe mit anderen Gutmenschen-holdings wie Greenpeace“ und „amnesty international“, bei denen auch keiner mehr weiß, was Zuwendungen eigentlich bewirken. Aber sie fließen, weil sie den Spendern ein gutes Gewissen verschaffen, und das ist die Hauptsache. Wie der Kauf einer Karte für einen ach so kritischen Berlinale-Film.