65. Berlinale

Jahres-Hauptversammlung der Berlinale AG

Goldener Bär für "Taxi" von Jafar Panahi; Hana Saeidi, die Nichte des Regisseurs, nahm den Preis stellvertretend entgegen. Fotoquelle: Berlinale.de
Business First: Das Massengeschäft läuft glänzend, weil sich hartnäckig das Vorurteil hält, die Berlinale sei ein "politisches Festival". Was sie mit kluger Filmauswahl und Jury-Entscheidungen kräftig nährt; hier der aktuelle Börsenbericht.

Die Jahresbilanz der Berlinale AG kann sich sehen lassen. Viele reden noch aus Gewohnheit von einem „Filmfestival“, doch dem ist die Berlinale längst entwachsen. Die einstige mittelständische Cinephilen-Kooperative hat CEO Dieter Kosslick seit 2001 rasant in einen global operierenden Unterhaltungs-Konzern umgewandelt. Da liegt es nahe, über ihn im Börsen-Jargon zu sprechen.

 

Info

 

65. Berlinale

 

05. – 15.02.2015
in diversen Spielstätten, Berlin

 

Website des Festivals

 

In den Vorjahren drohte die Berlinale auszufransen und sich in Nebenaktivitäten zu verzetteln. Dem wurde im abgelaufenen Geschäftsjahr Einhalt geboten: Das Management hat erfolgreich den Marken-Kern der Berlinale als „politischem Festival“ gestärkt; zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Anstatt den riskanten image change zum Las Vegas light einzuleiten, bediente man klugerweise das traditionelle Vorurteil – mit positiver Resonanz bei Medien und Publikum.

 

Sechs politisch korrekte Frauen-Filme

 

Schon die Auswahl der 23 Wettbewerbs-Filme kam gut an; nur die beiden aus China und Japan waren bonbonbuntes eye candy. Alle anderen Beiträge behandelten gravierende historische oder soziale Probleme; allein sechs widmeten sich, gender-politisch korrekt, starken Frauen-Figuren.


Trailer des Berlinale-Siegers "Taxi" (Original m. engl. Untertiteln)


 

Rummel gern, wenn das Renommee nicht leidet

 

Damit beugten die Programm-Macher souverän jedem Verdacht mangelnder Seriosität vor. Was sie nicht hinderte, Kommerz-Spektakel wie „Fifty Shades of Grey“ oder „Cinderella“ mitzunehmen, aber in Sondervorführungen: yellow press-Rummel gerne, solange er nicht das Renommee beschädigt.

 

Diesen Kurs hat die Jury unter Darren Aronofsky, Regisseur von „Black Swan“ und „Noah“, nahtlos fortgesetzt: Goldener Bär für den im Iran verfolgten Kollegen Jahar Panafi („Taxi“), Großer Preis der Jury für Missbrauch in der katholischen Kirche („El Club“ von Pablo Lorrain aus Chile), Alfred-Bauer-Preis für Menschenhandel mit Säuglingen („Ixcanul“ von Jayro Bustamante aus Guatemala).

 

Weniger Botox-spritzende Transen in Manila

 

Dazu Silberne Bären für die Beste Regie für Roma-Diskriminierung („Aferim!“ von Radu Jude aus Rumänien) und Ernährungs-Störungen („Body“ von Malgorzata Szumowska aus Polen) sowie für das Beste Drehbuch über Massaker an Indios und Pinochet-Gegnern („Der Perlmuttknopf“ von Patricio Guzmán aus Chile). Diese Entscheidungen zeigen, wie wichtig den Juroren engagiertes Kino ist. Ohne sich zu verbiegen; alle prämierten Filme haben ansehnliche cineastische Qualitäten.

 

Auf den übrigen Geschäftsfeldern, auch Nebenreihen genannt, wirkte das Sortiment ebenso verschlankt und optimiert. Die Flut schwullesbischer Filme im „Panorama“ als Kandidaten für den seit 1987 vergebenen Teddy Award wurde eingedämmt: mit verwackelter Handkamera gedrehte Porträts von Transen in Manila, die sich wahlweise Silikon oder Heroin spritzen, tauchten seltener auf.

 

Videokunst an zwei Orten leicht ignorieren

 

Aus dem „Internationalen Forum“ wurden Fingerübungen heimischer Jung-Regisseure in die Bastelecke „Perspektive Deutsches Kino“ abgeschoben: Nun ist jeweils auch drin, was drauf steht. Ebenso in der Reihe „NATIVe“ für „indigenes Kino“: Enthielt sie 2014 nur zwei Langfilme, waren es diesmal zwölf aus Lateinamerika. Davon mehr als die Hälfte Ethno-Dokus und bis zu neun Jahre alt, aber immerhin – außerhalb von ARTE ist derlei praktisch nie zu sehen. Und der beste Indio-Film „Ixcanul“ lief ohnehin im Wettbewerb.

 

Die Sektion „Forum Expanded“, die im Vorjahr über das halbe Stadtgebiet verstreut war, wurde diesmal an zwei Standorten zusammengefasst. Zwar bleibt weiter unerfindlich, wozu eine Metropole mit Hunderten von Museen und Galerien eine Videokunst-Abteilung unter dem Dach der Berlinale braucht – außer, um den Teilnehmern eine prestigeträchtige Plattform zu verschaffen. Aber an zwei Orten lassen sie sich zumindest konzentriert wahrnehmen – oder ignorieren.