(Kinostart: 12.2.) Ein Fest für Thomas-Pynchon-Fans: Regisseur Paul Thomas Anderson verfilmt erstmals einen seiner Riesenromane. Den Späthippie-Kosmos der Vorlage bringt er kongenial ins Kino – mit kleinen, durch Mega-Joints bedingten Schwächen.
Noch nie wurde bisher versucht, einen der ziegelsteinschweren Romane von Thomas Pynchon zu verfilmen, die vor Wortgewalt und seltsamen Einfällen nur so strotzen. Es blieb bei essayistischen Annäherungen an sein Hauptwerk „Gravity’s Rainbow“ von 1973 (dt.: „Die Enden der Parabel“, 1981) und Pynchons – selbstverständlich anonymen – Auftritten in der Zeichentrick-Serie „Die Simpsons“; da trug er eine Papiertüte über dem Kopf.
Inherent Vice – Natürliche Mängel
Regie: Paul Thomas Anderson,
148 Min., USA 2014;
mit: Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Reese Witherspoon
Regisseur Paul Thomas Anderson hat wuchtige Werke wie „Magnolia“, „There will be Blood“ oder „The Master“ vorgelegt, aber auch unkonventionelle Komödien wie „Punch Drunk Love“. Anderson hat sich der Vorlage von Pynchon angenommen und vergeigt die Sache nicht: mit Volkswagen-Käfern, grell gemusterten Hemden und glühender Sonne über der Küste von Los Angeles.
In diesem korrupten, auf Sand gebauten Babylon ist der Hippie-spirit, den der dauerbekiffte Privatdetektiv Larry „Doc“ Sportello (Joaquin Phoenix) verkörpert, nur noch wie ein störender Verwesungsgeruch präsent. Mit Docs Ex-Freundin, der femme fatale Shasta Fey, geht der ganze Ärger los. Dabei spielen mit: ein offiziell toter, aber immer wieder auftauchender Surf-Saxofonist und ein bärbeißiger Polizist (hervorragend: Josh Brolin), der dem armen Doc das Leben schwer macht.
Hinter allem steht ein reicher jüdischer Geschäftsmann, der so tut, als wolle er ein Nazi sein. Und dahinter, im ewigen Nebel: Das Drogen-Kartell The Golden Fang, das raffiniert genug ist, um mit einer eigenen Kette von Reha-Zentren noch aus dem Entzug von Junkies Profit zu schlagen, die es vorher mit Heroin versorgt hat.
Wer Pynchons Romane kennt, wird Motive, Charaktere und Themen aus früheren Romanen wiederfinden, vor allem aus „Vineland“: den desillusionierten Moralisten, der seine Frau an einen mächtigen amoralischen Strippenzieher verliert; den zwangsneurotischen cop, der seine bevorzugten Opfer mit Hassliebe verfolgt; eine paranoide Weltsicht, die durch absurde Ereignisse nur bestätigt wird, und eine Figurenkonstellation, die nebenbei die Topographie einer Stadt ergibt.
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “The Master” – Drama über die Scientology-Sekte von Paul Thomas Anderson mit Joaquin Phoenix
und hier einen Bericht über den Film „Der große Trip – Wild“ – mit einer großartigen Reese Witherspoon von Jean-Marc Vallée
und hier einen Beitrag über den Film „The Substance: Albert Hofmann’s LSD“ – informative Doku von Martin Witz.
Manchmal knirscht es hier und da etwas, wenn das Tempo der verbalen Schlagabtausche in Andersons Dialog-Regie stecken bleibt, die ohnehin zur Entschleunigung neigt – was an den unglaublichen Mengen Marihuana liegen dürfte, die im Film in Rauch aufgehen. Weniger überzeugend ist das overacting von Joaquin Phoenix als zerknautschter Kiffer, der immer mit gepresster Stimme spricht, weil er noch ein bisschen Rauch in der Lunge halten will.
Aber solches Genörgel kann man ignorieren, denn „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ ist der schönste und smarteste Kriminalfilm der Saison: Wie „The Big Lebowski“ der Coen-Brüder für eine neue Generation, mit witzigen Cameo-Auftritten etwa von Benicio del Toro. In diesem Zerrspiegel der 1970er Jahre ist schon genug von der Gegenwart zu erkennen, um darüber fiese Witze zu reißen.
Von Eric Mandel, veröffentlicht am 11.02.2015
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