Frau Söffker, Berlinale-Leiter Dieter Kosslick beschreibt Kino in Deutschland so: „Hier Til Schweiger, da Berlinale-Typus-Filme und dort Großmeister wie Werner Herzog und Wim Wenders mit internationalen Ansätzen. Ich würde sagen: Der deutsche Film steht gut da.“ Wie ist Ihre Perspektive auf das deutsche Kino?
Der Berlinale-Typus-Film ist schwer zu fassen. Und Wenders und Herzog sind ja auch auf der Berlinale vertreten. Es gibt Filme, die Kosslick und ich nicht als typische Berlinale-Filme bezeichnen würden; die Zeiten haben sich geändert. Deutsche science fiction oder Horror sind sicher nicht typisch für die Berlinale; trotzdem können solche Filme in der „Perspektive Deutsches Kino“ (PDK) laufen. Es gibt immer neue Tendenzen; die möchte ich im PDK-Programm abbilden.
Was sind Ihre Kriterien?
Wir zeigen Werke von Filmemachern am Anfang ihrer Laufbahn. Wir legen bewusst nicht fest, dass es ihr erster oder zweiter Film sein muss. Wenn Regisseure noch nicht so bekannt sind, darf es auch ihr dritter oder vierter Film sein. Wir kümmern uns um diejenigen, die es schwerer haben – nicht um Filme, die mit Marketing-Strategien für ein bestimmtes Zielpublikum gedreht werden. Es geht darum, Zuschauer mit interessanten Film-Ästhetiken vertraut machen; allerdings sind nur deutsche Produktionen zugelassen.
Trailer des PDK-Eröffnungsfilms "Im Sommer wohnt er unten" von Tom Sommerlatte
Kreative Joblose mixen Bewährtes neu
Genre-Filme werden immer populärer, ebenso crossover-Filme zwischen den Genres. Wie kommt das?
Unsere Filmhochschulen entlassen jedes Jahr Nachwuchs-Regisseure in den Markt. Zugleich gibt es viele junge Leute, die keinen Job haben, aber kreativ tätig sein wollen. Zum Glück kann sich heute fast jeder eine Kamera leisten. So entsteht die Freude daran, bekannte Sachen neu zu interpretieren. Genres stehen für eingeführte, verlässliche Muster: da kommt Lust auf, sie zu mixen. Das Neue trifft auf das Bewährte.
German mumblecore macht gute Laune
Neuerdings entstehen manche kleinen Filme ohne Förderung. Warum finden Strömungen wie der Berlin oder German mumblecore bei der Berlinale nicht statt?
Ich habe ein großes Herz für Filme wie diejenigen von Axel Ranisch oder von Jakob Lass. Beide machen Filme, die frisch sind, gute Laune verbreiten und trotzdem Tiefe haben. Dass beide noch nicht auf der Berlinale vertreten waren, hat mit den Produktionsabläufen zu tun. „Love Steaks“ von Jakob Lass war nicht rechtzeitig fertig und kam deshalb für die Berlinale nicht in Frage. Der hätte in die PDK wie die Faust aufs Auge gepasst, ähnlich wie „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ von Aron Lehmann.
Auch Dietrich Brüggemann ist Teil dieser mumblecore-Familie, obwohl seine Filme inzwischen gefördert werden. Axel Ranischs nächster Film wird vom „Kleinen Fernsehspiel“ koproduziert. Die Kunst ist eher, sich Frische und Unabhängigkeit zu erhalten. Diese Gruppe unterstützt sich gegenseitig und arbeitet mit den gleichen Leuten.
Aus PDK in Berlinale-Wettbewerb
Rivalisiert die PDK mit anderen Berlinale-Sektionen um deutsche Filme?
Ich sehe keine Konkurrenz-Situation unter den Berlinale-Sektionen. Mir geht es darum, dass der deutsche Film qualitativ gut bei der Berlinale vertreten sein soll. Wenn ich einen genialen Nachwuchsfilm sehe, bin ich die erste, die ihn an die anderen Sektionen weiter empfiehlt. Im besten Fall an den Wettbewerb, wie im letzten Jahr „Kreuzweg“ von Brüggemann. Er ist der bisher einzige Filmemacher, der von der PDK direkt in den Wettbewerb wechselte.
Startschuss soll nicht verstören
Wie haben Sie den PDK-Eröffnungsfilm ausgewählt?
Hintergrund
Lesen Sie hier den Bericht "Atmosphäre nur in der Warteschlange" - eine Festival-Bilanz der 64. Berlinale 2014
und hier ein Interview mit Panorama-Leiter Wieland Speck über das Programm der 64. Berlinale 2014
und hier ein Interview mit Direktor Dieter Kosslick über das Programm der 63. Berlinale 2013
Deutsch-Französischer Blickwinkel
In diesem Jahr beginnt die PDK mit „Im Sommer wohnt er unten“ von Tom Sommerlatte. Was zeichnet diesen Film aus?
Tom Sommerlatte ist ausgebildeter Schauspieler; dieser Film ist sein Regie-Debüt. Durch seinen beruflichen Hintergrund hat er große Freude an schauspielerischer Inszenierung. Der Film beruht auf einer Vierer-Konstellation: zwei Brüder mit ihren Frauen in einem Haus am französischen Atlantik. Also eine dialoglastige Situation; man merkt dem Film an, dass Sommerlatte französische Filme liebt. Diesen Blickwinkel kenne ich aus dem deutschen Nachwuchskino sonst nicht.
Die PDK beansprucht, einen Ausblick auf das künftige Profil des deutschen Kinos zu geben. Wie dürfen wir uns deutsche Filme 2020 oder 2030 vorstellen?
Ich hoffe natürlich, an der Zukunft des deutschen Films mitzuwirken. Dabei möchte ich die Aufmerksamkeit auf interessante Filme lenken, die das heutige Kino bereichern und verändern. Sprechen wir von Sichtweisen, welche die Zukunft des deutschen Films beeinflussen sollen.