Andreas Dresen

Die beste Zeit ihres Lebens

Sternchen (Ruby O. Fee) lässt sich von Dani (Merlin Rose) anhimmeln. © Rommel Film / Pandora Film / Foto: Peter Hartwig. Fotoquelle: Pandora Film
In "Als wir träumten" lässt Andreas Dresen die wilde Wendezeit in Leipzig wieder aufleben. Er erlebte sie in Ostberlin: mit geklauten Taschenbüchern, ohne Karte ins Kino schleichen und ersten Joints zu hartem Drum'n'Bass, erzählt er im Interview.

Nach der Party Hotelzimmer zerlegen

 

Die Freundesclique wirkt, obwohl es Profi-Schauspieler sind, sehr authentisch und funktioniert offensichtlich gut als Team.

 

Es war von vornherein klar, dass wir einpacken können, wenn ich nicht die richtigen Jungs finde. Glücklicherweise ist uns das gelungen. Das merkte man aber erst, als die Dreharbeiten losgingen. Sie haben eine geile Energie und sind zu einer echten Truppe zusammengewachsen, obwohl sie auch ganz unterschiedlichen Ecken kommen. Die haben auf den Straßen von Leipzig richtig Rabatz gemacht! Nach dem Abschlussfest haben sie sogar das Hotelzimmer zerlegt; rock’n’roll eben…

 

Andererseits haben sie sich sehr gut auf ihre Rollen vorbereitet; viel gelesen, Filme angesehen, und ich habe ihnen natürlich eine Menge über die DDR erzählt. Der Moment, wo sie im Auto herumrasen und Joel als Mark schreit: „Woraus sind wir auferstanden?“ und die Anderen brüllen: „Aus Ruinen, aus Ruinen!“, ist improvisiert; das stand nicht im Drehbuch. Es setzt aber voraus, dass man weiß, dass das die Anfangszeile der DDR-Nationalhymne ist.

 

Auf DDR-Friedhöfen spazieren gehen

 

Wie es sich für pubertierende Jungs gehört, bauen sie im Film eine Menge Mist und testen ihre Grenzen aus; es scheint, als seien solche Ausfälle Ihnen auch nicht fremd. Sind da auch eigene Jugendsünden mit eingeflossen?

 

Autos hätte ich damals nie demoliert. Das war ja das Größte, was man in der DDR haben konnte; darauf musste man 13 Jahre warten. Ich erinnere mich, dass wir damals in Friedhöfe geklettert und dort spazieren gegangen sind, warum auch immer. Ich war ja kein Grufti oder so. Aber sonst?

 

Peter Greenaway hassen, Jim Jarmusch lieben

 

Haben Sie noch nicht mal einen Lolli geklaut?

 

Na ja, ich hatte als Student nicht viel Geld und habe deswegen ziemlich viele Bücher mitgehen lassen, sogar noch nach der Wende. Die waren für mich im Westen unglaublich teuer im Gegensatz zu den sehr niedrigen Preisen in der DDR. Da habe ich einiges eingesackt, vor allem Film-paperbacks.

 

In meine erste Berlinale 1990 habe ich mich auch reingemogelt, nachdem ich schon vorher mein gesamtes Begrüßungsgeld für Kinokarten ausgegeben hatte. Ich kann mich noch an meinen ersten Berlinale-Film erinnern: „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ von Peter Greenaway. Den habe ich gehasst; ich bin nur im Kino geblieben, weil ich zwölf Westmark für die Karte ausgegeben hatte, ein Zehntel meines Begrüßungsgeldes. Der nächste Film, „Mystery Train“ von Jim Jarmusch, hat mich wieder versöhnt. Aber damit war das gesamte Begrüßungsgeld weg, und ich habe andere Wege gesucht.

 

Wilde Nächte im „Eimer“ in der Rosenthaler

 

Die Jungs im Film suchen ihren eigenen Weg in einer sehr besonderen Zeit: Nicht nur die Regeln der Erwachsenen, sondern die ganze West-Gesellschaftsordnung mit Drogen und der von heute auf morgen eingeführten Marktwirtschaft prasselt auf sie ein. Schwingt auch bei Ihnen ein wenig Wehmut mit, dass diese wilden Zeiten vorbei sind?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension über den Film "Als wir träumten" von Andreas Dresen

 

und hier eine Besprechung der Polit-Doku “Herr Wichmann aus der dritten Reihe” von Andreas Dresen

 

und hier einen Beitrag über den Film “Halt auf freier Strecke” – Porträt eines Krebskranken von Andreas Dresen

 

und hier einen Bericht über den Film Kriegerin von David Wnendt über rechtsradikale Jugend in Ostdeutschland

 

und hier eine Besprechung der Doku “Goldrausch – Die Geschichte der Treuhand” über das Ende der DDR-Wirtschaft von Prod. Thomas Kufus.

 

Klar: Drogen gab es außer ein paar Pilzen im Osten nicht; ich habe erst nach der Wende meinen ersten Joint geraucht. Wenn man jung ist, probiert man alles aus und gibt sich diesem Rausch hin, auch wenn man abstürzen kann. Ich bin aber sicher, dass diese Jungs sich an diese Zeit als die beste ihres Lebens erinnern würden, wenn sie später zurückblicken, obwohl sie so wild und düster war.

 

Es gab schon topographisch viele Freiräume, die man besetzten konnte. Ich selbst war damals ziemlich häufig im legendären „Eimer“, einem Club in einem ehemals besetzten Haus in der Rosenthaler Straße in Ostberlin, und hab da manche wilden Nächte mit Joints und viel drum’n’bass verbracht. Heute geht es selbst in einem Club wie dem „Kater Holzig“ viel gesitteter zu. Für die jetzige Jugend ist es sicher schwieriger, in diesem Zustand der Saturiertheit loszustürmen.

 

Techno war aggressiv + stupide

 

Eines verbindet die damalige und die heutige Jugend miteinander: die im Film äußerst präsente Techno-Musik – nicht unbedingt der soundtrack, den man von Ihnen erwarten würde.

 

Genau; Techno-Mucke hat mir damals nicht so gefallen. Die war auch schneller, aggressiver und etwas stupider als heute, weswegen wir uns erlaubt haben, ein paar moderne Stücke in den score einzubauen. Ich mochte es auch, mit der Musik umzugehen, als wir geschnitten haben. Da ist viel Dampf dahinter, wenn die Bässe wummern. Außerdem ist es ein Unterschied, die Musik im Film nur zu hören, oder in einem Club dazu zu tanzen, wo sie geradezu physische Gewalt hat. Das ist schon geil!