Berlin

Queensize – Female Artists from the Olbricht Collection

Daniela Rossell: “Untitled” (Inge and her mother Emma in living room) aus der Serie "Ricas y Famosas" 2000, C-Print, © Courtesy of the artist and Greene Naftali, New York. Fotoquelle: me Collectors Room Berlin
Weibliche Weltwahrnehmung: Der me Collectors Room zeigt Werke von 60 Künstlerinnen, die sich mit dem Blick von Frauen auf sich selbst beschäftigen. Nüchtern, provokant, erotisch, geschmacklos, grotesk oder grauenvoll – so facettenreich wie die Gegenwart.

Ein kleines Mädchen kauert schlafend auf einem Teppich. Auf seinem Rücken liegt, fast ebenso groß, ein weißes Tier – es handelt sich um ein kleines Känguru – und streckt die Beine in die Luft. Der verstörende Schlafbegleiter dient gewiss nicht zum Kuscheln. Doch das schlafende Gesicht des Kindes ist entspannt; es wird sich nicht von einem Alptraum befreien wollen und nach seiner Mutter rufen. Das Mädchen erscheint bewusstlos und ausgeliefert.

 

Info

 

Queensize – Female Artists from the Olbricht Collection

 

07.12.2014 - 30.08.2015

täglich außer montags

12 bis 18 Uhr

im me Collectors Room/Stiftung Olbricht, Auguststraße 68, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Diese naturalistische, äußerst lebensechte Skulptur empfängt den arglosen Besucher am Eingang der Ausstellung mit rund 150 Werken von 60 Künstlerinnen aus der Privatsammlung Olbricht. Damit ist der Ton angeschlagen, der „Queensize“ beherrscht: explosive bildhafte Stärke, zusammengedrängt zu einer Atmosphäre von Beklemmung und Entsetzen, ausagiert am weiblichen Körper.

 

Neureiche in Protz-Villen

 

Die Auswahl der Werke ist großartig; kaum ein Exponat lässt den Betrachter kalt. Optisch wird die Ausstellung von einer Wand voller dicht gehängter Fotografien dominiert. Die Strahlkraft dieser Großformate beeindruckt, zeigen sie doch alle möglichen Facetten des Frauseins: Von Jitka Hanzlovás Aufnahmen, die Porträtierte so ablichtet, wie sie sich selbst wahrnehmen, über die inszenierten Körper-Bilder weiblicher Erotik von Bettina Rheims bis zu Daniela Rossells Fotoserie, die aufgedonnerte Neureiche in ihren geschmacklos vollgestopften Protz-Villen dokumentiert.


Interview mit Kuratorin Nicola Graef + Impressionen der Ausstellungen


 

Bett als Symbol für Zyklus des Lebens

 

Eine Linie aus Glasobjekten von Kiki Smith, die roten Blutkörperchen gleichen, schlängelt sich über den Boden; dieser rote Faden verbindet drei Räume, die Arbeiten rund um die Themen Geburt, Leben und Tod versammeln. Kuratorin Nicola Graef sieht darin existenzielle Erfahrungen von Frauen – die sich alle schön mit dem Bett als Symbol verbinden lassen: „Queensize“ ist das zweitgrößte Betten-Format. Diese Fokussierung auf die Horizontale hat einen leicht unangenehmen Beigeschmack von Ewig-Weiblichem.

 

Laut Graef geht die Ausstellung der Frage nach, ob es einen typisch weiblichen Blick gebe: als Blick von Frauen auf die Welt und ihre Geschlechtsgenossinnen heute. Dazu muss man die Werke gar nicht zum Zyklus des Lebens anordnen; ihre Ausdruckskraft ist stark genug. Im Hauptraum wird das zentrale Anliegen in zahlreichen Varianten entfaltet: wie der Blick auf den weiblichen Körper vielfältigen Beschränkungen unterliegt.

 

Porno-Klischees mit Tusche-Prostituierten

 

Der weibliche Körper als Objekt und Motiv ist seit jeher eines der wichtigsten Sujets aller Kunst, was die meisten der hier vertretenen Künstlerinnen reflektieren. Indem sie Räume miteinbeziehen; Frauen hielten sich ja lange Zeit hauptsächlich in Räumen auf. Hier sind Frauen vor ihren Häusern, in Küchen und Schlafzimmern, in Bars und Badezimmern zu sehen; sie werden vom Raum umhüllt, der ihr Bild dadurch mit definiert.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie eine Rezension der Ausstellung "Bettina Rheims: Bonkers – A Fortnight in London" - Inszenierungen weiblicher Erotik in der Galerie Camera Work, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Monique Jacot – Reportagen und Tagträume" - Retrospektive der Fotografin aus der Schweiz im Verborgenen Museum, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “POWER UP – Female Pop Art” in Wien + Bietigheim-Bissingen

 

Manche Künstlerinnen thematisieren den klassisch männlichen Blick auf Frauen und suchen nach Wegen, ihn zu vermeiden. So porträtiert etwa Marlene Dumas Prostituierte mit Tusche und spielt dabei mit uralten Klischees von Pornographie. Dawn Mellor malt schöne und berühmte Schauspielerinnen in Öl; dabei verwandelt sie Julia Roberts in eine groteske Zombie-Gestalt und beschreibt den Leib von Mia Farrow mit blutigem Text.

 

Kleriker quälen Plastilin-Figuren

 

Auch eher unspektakuläre Stücke entfalten feine Facetten des Unbehagens: etwa die gelangweilten Bürodamen in der Sushi-Bar auf einem Bild von Almut Heise oder das pubertierende Mädchen, das in einem Video von Rineke Dijkstra schüchtern und beschämt einen Song der „Backstreet Boys“ mitsingt.

 

Richtig böse wird es dann im letzten Raum, aus dem ständig die Begleitmusik zur zehnminütigen Grusel-Animation „The Experiment (Greed)“ von Nathalie Djurbergs herausdräut: Sie spielt an bedauernswerten Plastilin-Figuren die Dämonisierung und Ausbeutung von Frauen durch die katholische Kirche nach.

 

Zerstörung als letzte Schranke

 

Die Installation „Galgenfeld“ von Paloma Varga Weisz verstört mit drei lebensgroßen Aufgeknüpften. Schließlich walzt Taryn Simons Foto „Zahra/Farah“ das Grauen auf splatter-Niveau aus: Ihre Inszenierung stellt das vergewaltigte Mordopfer eines Massakers von US-Soldaten im Irakkrieg nach. Die ultimative Beschränkung des weiblichen Körpers ist seine Zerstörung.