Berlin

Blow Up – Antonionis Filmklassiker und die Fotografie

Arthur Evans: Models in "Blow Up", 1966. BFI Stills © Neue Visionen Filmverleih/Turner Entertainment Co. Fotoquelle: C/O Berlin Foundation
Wie Sie sehen, sehen Sie nichts: In „Blow Up“ zeigte Michelangelo Antonioni, dass Fotografie wenig objektiv ist. Das entfaltet eine Ausstellung in der Galerie C/O Berlin glänzend mit Bildern der Swinging Sixties: Medientheorie als fröhliche Wissenschaft.

Man findet Sinn erst im Nachhinein

 

Gelungen und unterhaltsam wird die Ausstellung, weil sie den Film nicht einfach nacherzählt, sondern wichtige Motivstränge aufgreift und entfaltet, die in Antonionis Werk verwoben sind. Der Fotograf als Voyeur, als paparazzo wie als Kriminalist, wird verknüpft mit Alfred Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ (1954), Federico Fellinis „La Dolce Vita“ (1960) und dem weniger bekannten Thriller „Peeping Tom“ (deutsch: „Augen der Angst“ von Michael Powell, 1959).

 

Dabei werden anspruchsvoll analytische Aspekte des Films nur kurz gestreift. Etwa das Motiv des Verschwindens in einer Tennis-Pantomime am Ende; oder abstrakte Gemälde von Thomas‘ Nachbar, der dem Künstler Ian Stephenson nachempfunden ist. „Man findet den Sinn erst im Nachhinein“, kommentiert er seine eigenen Werke. Das gilt im Film auch und gerade für die Fotografie.

 

Photo session als live sex show

 

Viel Raum nehmen dafür Elemente ein, die „Blow Up“ zu Antonionis größtem kommerziellen Erfolg werden ließen: Models und Modefotografie, Partys und Popmusik in den swinging sixties. Die Hauptfigur ist drei Londoner Modefotografen nachgebildet, die wegen ihres rebellisch-hedonistischen Stils als „Terrible Trio“ oder „Black Trinity“ bekannt waren: Brian Duffy, Terence Donovan und David Bailey.

 

Hintergrund

 

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Die großartigen Anfangsszenen, in denen Thomas die Mannequins herumkommandiert und seine photo session mit dem Model Veruschka von Lehndorff wie ein Beischlaf wirkt, basieren direkt auf Baileys Arbeiten. Antonioni inszeniert diese Szenen dermaßen überzogen, dass seine Kritik an der Ausbeutung weiblicher Körper und dem Sexismus in der Modefotografie ins Auge springt.

 

Die Kamera löscht Realität aus

 

Wie die Hauptfigur widmeten sich Bailey und Donovan auch der Sozialfotografie; die Ausstellung zeigt eine Auswahl. Etwa Originale von Don McCullin, der kleine Leute im Londoner East End porträtierte; in „Blow Up“ legt Thomas diese Abzüge seinem Verleger vor. Andere Bilder berühren abermals Repräsentation und Dokumentation; etwa Philip Jones Griffiths‘ Aufnahmen einer Protest-Aktion gegen Atomwaffen 1962, in der Demonstranten am Themse-Ufer tote Atomschlag-Opfer nachstellten – im Jargon der Zeit ein die-in.

 

So löst die Schau das Versprechen ein, Medientheorie anschaulich und lebendig darzustellen. Sie führt vor, wie vielschichtig der Akt des Sehens beim Fotografieren ist: Die Bedeutung des Gesehenen wird erst post festum vor dem Hintergrund eigener Erwartungen konstruiert. Das war David Bailey bewusst: „Fotografieren ist großartig, weil die Kamera einen gewissermaßen beschützt“, sagte er im Interview: „Sie löscht die Realität aus. Denn man sieht alles nur noch durch die Kamera.“