München

Common Grounds

Dor Guez: The Sick Man of Europe: The Painter, 2015 Scanogramme, Videoprojektion. Fotoquelle: Villa Stuck, München
Ornament ist wirklich Verbrechen – wenn die Tapete Folter-Szenen zeigt. Die Villa Stuck präsentiert Arbeiten von zwölf zeitgenössischen Künstlern aus der islamischen Welt, die nach einer gemeinsamen Verständigungs-Basis suchen: sehenswert subtile Werke.

Diese Sternbilder sind zum Sterben schön. Allerdings tragen die Gestirne in den „Constellations“ von Bouchra Khalili aus Marokko Städtenamen: Gepunktete Linien verbinden Mogadischu mit Bari in Süditalien, Bamako in Mali über Dubai und Dhaka mit Rom, oder Tunis in einer weiten Schleife mit Marseille.

 

Info

 

Common Grounds

 

12.02.2015 - 17.05.2015

täglich außer montags

11 bis 18 Uhr

in der Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, München

 

Katalog 30 €

 

Weitere Informationen

 

Sie beschreiben Flüchtlings-Routen in die EU. Das blaue Nichts, in dem sie leuchten, ist das Mittelmeer − inzwischen ein Todesstreifen zwischen Europa und dem Rest der Welt. Khalili bringt die harte Wirklichkeit in eine andere Dimension; die poetische Schönheit der Darstellung verstärkt ihre Aussagekraft.

 

Nur ein Künstler nicht im Exil

 

„Constellations“ ist Teil der sehenswerten Ausstellung „Common Grounds“, im Münchner Museum Villa Stuck. Kuratorin Verena Hein trug dafür Filme, Foto-Arbeiten, Installationen, Skulpturen und Gemälde von zwölf Künstlern bzw. -kollektiven zusammen, die aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens stammen. Bis auf den saudischen Arzt und Ahmed Mater leben sie allerdings alle längst im Exil.

Impressionen der Performance "My paradoxical knives" von Ali Moini am 14.02.2015 in der Villa Stuck; © yann gibert


 

Individuen, keine Landes-Vetreter

 

„Common Grounds“ ist ein Begriff der Kommunikationswissenschaft; er meint den gemeinsamen Wissensraum, auf dessen Basis sich Gesprächspartner verständigen können. Dieser Titel kann als Frage, Behauptung und Forderung zugleich verstanden werden. Doch wer sind hier die Gesprächspartner – „wir“ und „die Anderen“? Die Konturen sind verwischt, wie die Biografien aller Beteiligten zeigen. Jeder dieser Künstler agiert als Individuum, nicht als Vertreter eines Landes; sei es westlich geprägt, arabisch oder persisch.

 

Manche Exponate fußen auf Traditionen der islamischen Kunst, ohne den Islam selbst zum Thema zu machen. Etwa die Spiegel-Objekte des saudischen Architekten und Kalligraphen Nasser Al Salem, der sich zugleich auf minimal art bezieht. Oder die abstrakten Gemälde des palästinensischen Malers Hazem Harb, deren hermetische Raumstrukturen plastisch werden.

 

Mekka-Pilger füllen Autobahn

 

Dagegen dokumentiert Ahmed Mater in seinen detailreichen, großformatigen Fotografien den irrwitzigen Wandel seiner Heimatstadt Mekka: Das Heiligtum der Kaaba verschwindet winzig klein hinter Wolkenkratzern. Gigantische Pilgerströme füllen ein Wege-System von den Dimensionen einer Autobahn. Andere Aufnahmen halten aus der Vogelperspektive das traditionelle Wohnviertel Al Mansur fest, das inzwischen abgerissen wurde.

 

Zwischen Susan Hefuna (geboren 1962) und Sophia Al Marias (geboren 1979) aus Ägypten liegt eine Generation; doch beide thematisieren in ihrem Werk die Stellung der Frau in der arabischen Welt und zeigen die Enge ihres Lebensraumes. Bei Parastou Forouhar aus dem Iran ist dagegen das Ornament – frei nach Adolf Loos – wirklich ein Verbrechen: In ihrer Wandarbeit „Zeit der Schmetterlinge“ sind Schönheit und Schrecken miteinander verwoben.

 

Höllisch dekorative Tapete

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Dokumentarfilms "Art War" von Marco Wilms über die Street-Art-Szene in Kairo

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “Cabaret Crusades + Al Araba Al Madfuna”  des Ägypters Wael Shawky auf der documenta 13 in Kassel + in den KunstWerken, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Abbas Kiarostami: Stille und bewegte Bilder" - Landschafts-Fotografie des iranischen Filmemachers in der Kunsthalle Situation Kunst, Bochum.

 

Die in Deutschland lebende Künstlerin entwarf ein Schmetterlings-Muster, das eine ganze Wand bedeckt: Seine Details entpuppen sich auf den zweiten Blick als blutige Mord-, Folter- und Gefängnis-Szenen. Die höllisch dekorative Tapete ist eine Hommage an ihre Eltern Dariusch und Parvaneh, die 1998 im Iran ermordet wurden. Der Name ihrer Mutter bedeutet übersetzt: „Schmetterling“.

 

Ebenfalls von Trauer umweht sind die filigranen Schätze von Abbas Akhavan, die wie sterbliche Überreste von Menschen auf weißen Tüchern über dem Boden ausgebreitet sind. Bei den betörend zarten Bronze-Plastiken von „Studies for a Hanging Garden“ handelt es sich um Abgüsse von Pflanzen, die nur im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris vorkommen, aber nun vom Aussterben bedroht sind – nicht zuletzt durch den Irak-Krieg.

 

Subtil vermittelte Wahrheiten

 

Diese Ausstellung überzeugt auch deshalb, weil die präsentierten Werke niemals effekthascherisch zugespitzt sind, sondern ihre Wahrheiten subtil vermitteln. „Common Grounds“ nivelliert nicht die Unterschiede zwischen verschiedenen Traditionen. Aber die Schau betont in einer Zeit, in der die Kluft zwischen den Kulturen zuweilen als unüberwindbar dargestellt wird, eine gemeinsame Basis künstlerischen Schaffens: die Verzweiflung über den Zustand der Welt und dennoch die Hoffnung, dass eine bessere nicht unmöglich ist.