Brautwerbung auf Äthiopisch: Als die 14-jährige Hirut Assefa (Tizita Hagere) aus der Schule im Nachbardorf nach Hause wandert, folgen ihr sechs Reiter. Sie entführen das Mädchen und sperren es in eine Hütte; dort wird es von einem Mann vergewaltigt, um es zur Heirat zu zwingen. Kurz darauf kann Hirut mit einem Gewehr fliehen. Als ihre Verfolger sie umzingeln, löst sich ein Schuss und trifft ihren Peiniger: Für ihn endet seine telefa tödlich.
Info
Das Mädchen Hirut - Difret
Regie: Zeresenay Berhane Mehari,
99 Min., Äthiopien 2014;
mit: Tizita Hagere, Meron Getnet, Haregewine Assefa
140 Euro Entschädigung für Toten
Zwar stellt der Dorfrat fest, dass diese telefa nicht rechtens war, verbannt aber das Mädchen aus der Gemeinschaft. Außerdem wird sein Vater verpflichtet, der Familie des Toten 3.000 Birr (ca. 140 Euro) Schadensersatz zu zahlen: eine hohe Summe für den armen, analphabetischen Bauern. Auch die Behörden stellen sich quer. Ein ehrgeiziger Staatsanwalt erklärt Hirut für deutlich älter, um sie strafmündig erscheinen zu lassen.
Offizieller Filmtrailer
Kontakte nach oben lösen Probleme
Zudem finden sich keine Zeugen, die bereit wären, zu ihren Gunsten vor Gericht auszusagen. Um die Entscheidung des Dorfrats aufzuheben, schaltet Meaza das Justizministerium ein, das aber untätig bleibt – weswegen die Anwältin das Ministerium vor dem Obersten Gerichtshof verklagt. Ein unerhörter Vorgang, der sie ihre Zulassung kostet. Erst als der Minister überraschend gefeuert wird, erfährt der Fall eine unverhoffte Wendung.
Eine deus ex machina-Auflösung, die durchaus plausibel ist: Schon zuvor deutet Regisseur Zeresenay Berhane Mehari diskret an, wie sich knifflige Probleme am besten lösen lassen. Mit Kontakten zu hochrangigen Stellen verschwinden lästige Formalitäten im Nu, und störrische Beamte werden kooperativ – Legitimität durch Verfahren sieht anders aus.
Dritter je in Äthiopien gedrehter Kinofilm
Zugleich zeigt der Regisseur das ostafrikanische Land aber als Staat mit funktionierender Justiz und fairen Richtern; wohl deshalb unterstützte die autoritäre, aber um Modernisierung bemühte Regierung unter Hailemariam Desalegn sein Projekt. Was nötig war: „Difret“, wie er auf Amharisch heißt, ist erst der dritte 35-Millimeter-Spielfilm, der je in Äthiopien entstand. Dort gibt es keinerlei Filmwirtschaft; belichtetes Material musste zum Entwickeln nach Indien transportiert werden.
Der plot folgt einem Präzedenzfall: 1996 wurde der Aufsehen erregende Musterprozess gegen das reale Vorbild von Hirut verhandelt. Seit 2004 drohen Entführern und Vergewaltigern laut Gesetz 15 Jahre Haft; erstmals wurden sexuelle Gewalttaten und weibliche Beschneidung als Straftaten definiert. Doch weniger diese Strafrechts-Reform macht den Film für hiesige Zuschauer interessant, als vielmehr seine Einblicke in den way of life im heutigen Afrika.
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Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Timbuktu" über islamistischen Terror in Nordafrika von Abderrahmane Sissako
und hier einen Beitrag über den Film "White Shadow" über Verfolgung + Diskrimierung von Albinos in Ostafrika von Noaz Deshe
und hier einen kultiversum-Bericht über den Film "Morgentau - Teza" - komplexes Biopic über einen Exilanten aus Äthiopien von Haile Gerima.
Derlei erzählt Regisseur Mehari schnörkellos chronologisch mit absolut zeitgemäßer Bildsprache: Schnelle Schnittfolgen und parallele Handlungsstränge verleihen dem Film einen drive, den vergleichbare Produktionen aus Afrika häufig vermissen lassen. Wobei die in Äthiopien beliebte TV-Schauspielerin Meron Getnet als Anwältin Meaza verschärftes Tempo vorgibt: Ihre schnippischen Wortkaskaden nageln behäbige Widersacher rhetorisch quasi an die Wand.
Publikumspreis der Berlinale
Dabei kommt Lokalkolorit nicht zu kurz: Panorama-Ansichten des sanft gewellten Hochlands, Ragout-Mahlzeiten mit injera-Fladenbrot oder barock möblierte Elite-Wohnungen vermitteln Eindrücke von der einzigartigen Kultur des Vielvölkerstaats. Er wird hierzulande immer noch mit der Hungersnot 1984/85 assoziiert; dem rundum gelungenen Film wäre zu wünschen, dieses Elendsbild von Äthiopien zu korrigieren. Das sehen die Besucher von Berlinale und Sundance genauso: Auf beiden Festivals erhielt „Das Mädchen Hirut“ den Publikumspreis.