Raymond Borremans (1906-1988) war ein französischer Abenteurer, der 1929 nach Westafrika auswanderte, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Anfangs schlug er sich als Ein-Mann-Orchester zur Unterhaltung europäischer Siedler durch. Dann betrieb er ein mobiles Kino und trug die Faszination bewegter Bilder in die entlegensten Landstriche.
Info
N – Der Wahn der Vernunft
Regie: Peter Krüger,
102 Min., Belgien/ Niederlande 2014;
mit: Hamadoun Kassogué, Wendyam Sawadogo, Vieux Farka Touré
Dialog von Geist + Seherin
Das eher entlegene Spezialwissen über Borremans setzt der belgische Filmmacher Peter Krüger als bekannt voraus. Er hat kein biopic gedreht, sondern benutzt die Vita des Einzelgängers als Aufhänger für einen so ambitionierten wie eigenwilligen Essay-Film. Dazu verpflichtete er den renommierten nigerianischen Schriftsteller Ben Okri, der für sein Hauptwerk „Die hungrige Straße“ 1991 den Booker Prize erhielt. Okri schrieb dem Geist von Borremans einen fiktiven Dialog mit einer namenlosen Geisterseherin auf dem Astralleib.
Offizieller Filmtrailer OmU
Allerlei Aspekte der conditio africana
Eine Variante des magischen Realismus, die gut zu Afrika passt: Hier sind die Geister der Verstorbenen jederzeit anwesend und greifen tatkräftig in den Alltag der Menschen ein. Quasi als enge Verwandte der Lichtgestalten auf der Leinwand im Kino, das auf seine Weise auch ein Geisterreich ist – und ebenso die Vorstellungen, Träume und Sehnsüchte des Publikums beeinflusst.
Okris raunendes Räsonnieren über allerlei Aspekte der conditio africana auf der Tonspur illustriert der Film mit erlesenen Bildern. Die meisten wurden in Borremans letzter Heimat Elfenbeinküste gedreht, ohne dies deutlich zu machen. Zuvor sind Aufnahmen seiner früheren Stationen in Westafrika zu sehen, etwa in Senegal und Mali; auch das bleibt unbestimmt.
Alles Konkrete verweist ins Allgemeine
Denn Regisseur Krüger ist nicht an Rückschau auf die Kolonial-Epoche oder Einblicken in afrikanische Lebenswelten gelegen, sondern an einer Parabel über den culture clash zwischen westlicher Rationalität und magischem Denken auf dem schwarzen Kontinent. Daher stehen alle Film-Elemente gleichnishaft für vage Allgemeinheiten.
So muss der verwaiste Bahnhof der malischen Hauptstadt Bamako als Symbol für Afrikas verrottete Infrastruktur aus der Kolonialzeit herhalten. Die Bewohner eines Flüchtlings-Lagers treten nicht als Leidtragende eines konkreten Konflikts auf, dessen Auslöser und Akteure zu benennen wären, sondern als ewige Opfer der endemischen Gewalt auf dem Kontinent.
Geschichtsklitterung im zeitlosen Duktus
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Das Mädchen Hirut - Difret" - grandioses Zwangsheirats-Drama aus Äthiopien von Zeresenay Berhane Mehari
und hier einen Bericht über den Film “Song from the Forest” - Porträt eines Pygmäen-Ethnologen von Michael Obert
und hier einen Beitrag über den Film "Concerning Violence − Nine Scenes from the Anti-Imperialistic Self-Defence" - Nostalgie-Doku über Afrika-Antikolonialismus der 1960/70er Jahre von Göran Hugo Olsson
Stattdessen schwelgen beide in einer malerischen Elegie von Chaos und Verfall, von hochgespannten Erwartungen und enttäuschten Hoffnungen. Ihr zeitloser Duktus suggeriert, in Afrika habe sich während der letzten drei Jahrzehnte substantiell kaum etwas verändert. Das ist nicht nur bedenkliche Geschichtsklitterung im Elfenbeinturm, sondern schlicht falsch.
Projektionsfläche von Illusionen
So dürfte „N – Der Wahn der Vernunft“ auf verschiedene Zielgruppen ganz unterschiedlich wirken. Afrika-Kenner können sich am Bilderbogen selten gezeigter Orte erfreuen und dem Ratespiel frönen, ob sie diese wiedererkennen. Drittwelt-Romantiker werden ihr Vorurteil bestätigt finden, dass abendländische Logik an Afrikas widersprüchlicher Vitalität zerschellen muss.
Doch der Kontinent hat Besseres verdient, als eine Projektionsfläche für Gutmenschen-Illusionen abzugeben, und seien sie noch so makellos bebildert: Afrika leidet nicht an zuviel postkolonialer, sondern an zuwenig Rationalität. Borremans Vorhaben mag abwegig gewesen sein, sein cartesianisch nüchterner und systematisch klassifizierender Habitus war es nicht. Mit magischem Denken lassen sich weder Armut noch Unterentwicklung beseitigen.