Robert Polidori ist bekannt als Meisterfotograf des anmutigen Verfalls. Er führt durch Überbleibsel kolonialer Bauten, zeigt die Streifen auf Wänden, nachdem Bilderrahmen abgenommen wurden, und lässt in malerischem Licht die Sperrzone von Pripjat bei Tschernobyl verlassen und verwüstet erstrahlen.
Info
Robert Polidori
21.02.2015 - 18.04.2015
dienstags bis samstags
11 bis 18 Uhr
in der Galerie Camera Work, Kantstr. 149, Berlin
Delikat komponierte Stillleben
Kontraste zwischen Alt und Neu sind ein immer wiederkehrendes Thema von Polidoris Bildern. Gern taucht er seine Motive in warmes Licht, das alte, heruntergekommene und menschenleere Räume in seltsam nostalgischem Glanz erscheinen lässt. Schuttberge in der Todeszone von Tschernobyl nach dem Super-GAU werden ebenso zu delikat komponierten Stillleben wie abbröckelnde Fassaden-Ornamente in der Altstadt von La Havanna auf Kuba.
Impressionen der Ausstellung
Blasses Mintgrün in Havanna, Tschernobyl + Versailles
Diese beiden Fotoserien wurden 2006 in einer großartigen Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt. Dass nur Zeugnisse des Verfalls zu sehen waren, fiel nicht so sehr ins Gewicht: Polidori findet die Schönheit von Niedergang und Zerstörung in allen Variationen posttraumatischer Rückstände.
Seine Motive ähneln sich derart, dass sie auch die gleichen Farben aufweisen. Das blasse Mintgrün, das im alten Havanna von den Wänden blättert, findet sich wieder im verstreuten Mobiliar in der ukrainischen Geisterstadt Pripjat – und ebenfalls in den Prunksälen von Versailles. Virtuos bringt Polidori die Farbnuancen der verblichenen Tapeten auf den Schlosswänden zur Geltung.
Schlachtenbilder verlieren Aura
Daran lehnen großformatige Historiengemälde, die zuvor die Wände schmückten. Sie sind typische Beispiele französischer Hof- und Salonkunst: handwerklich perfekt, wirken sie jedoch in dieser Umgebung glatt und künstlich. Ihre Figurenzeichnung erscheint allzu scharf vor der Poesie der abgenutzten Wirklichkeit. So verlieren die monumentalen Schlachtenbilder ihre Aura der Machtdemonstration.
Dagegen tritt hervor, was Restauratoren für ihre Arbeit in Versailles so benötigen. Vor einer dunkelroten Tapete liegen eine Plastikumhüllung und ein staubiges Kabel, das sich in einem Sonnenfleck ringelt. Marmorstatuen stapeln sich in den Ecken, das Profil einer griechischen Göttin scheint aus dem Fenster zu blicken. Geöffnete Türen geben den Blick auf eine Saalflucht frei. Rote Teppiche sind zusammengerollt, ein tragbares Radio steht am Fenster.
Kein Poet der Brüche, sondern Restaurator
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Filmtheater – Kinofotografien von Yves Marchand + Romain Meffre" - in Frankfurt am Main
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Nadav Kander & Robert Polidori" - in der Galerie Camera Work, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung “Ein Leben für die Architektur” – Werkschau des Fotografen Julius Shulman im Architekturmuseum Schwaben, Augsburg
Der Unterschied wird deutlich bei den wenigen Bildern, die nicht aus Versailles stammen: eine Autowerkstatt in La Havanna, die „Darbanga Ghat“-Treppenanlagen für rituelle Waschungen am Ganges-Ufer im indischen Varanasi (Benares), oder ein leerer Ballsaal im ehemaligen Gouverneurs-Palast von Chandor in Goa an der indischen Westküste.
Blassblau statt blassgrün
In diesem Ballsaal dominiert Blau, das charakteristische Polidori-Grün bleibt im Hintergrund. Blaue Polstersessel sind an blassblauen Wände aufgereiht und verdoppeln sich in einem zerkratzten Spiegel. Ein schwarzblaues Klavier mit abgeschlagenen Kanten schiebt sich seitlich ins Bild, während die Verandatür offensteht und ins tropische Draußen verweist. Am Zauber dieses Bildes kann man nicht vorbeigehen, doch es ist das einzige – für eine Polidori-Ausstellung zu wenig.