Oskar Roehler

Tod den Hippies – Es lebe der Punk!

Blixa Bargeld (Alexander Scheer) hinter der Bar im Risiko. Foto: © X Verleih AG
(Kinostart: 26.3.) Keine Atempause, Geschichte wird gemacht: Nach den 1970ern verfilmt Regisseur Roehler sein Leben in den 1980er Jahren. Wobei er fast alles ignoriert, was die Punk-Szene in Westberlin ausmachte – zugunsten larmoyanter Nabelschau.

Hey, ho, let’s go: Dieser Film legt richtig los, mit Tempo und rotzigem Charme: Jung-Punk Robert (Tom Schilling) und sein schwuler Neonazi-Kumpel Gries (Frederick Lau) proben im westdeutschen Provinzgymnasium den Aufstand. Im laufenden Unterricht schläfern sie ihren Späthippie-Lehrer ein und schneiden ihm vor johlender Klasse die Matte ab. Gries fliegt sofort von der Schule, Robert kurz darauf; beide zieht es nach Westberlin.

 

Info

 

Tod den Hippies -
Es lebe der Punk!

 

Regie: Oskar Roehler,

94 Min., Deutschland 2014;

mit: Tom Schilling, Emila Schüle, Wilson Gonzalez Ochsenknecht

 

Website zum Film

 

Dort trifft Robert auf seinen abgezockten Freund Schwarz (Wilson Gonzalez Ochsenknecht); er war schon in Oskar Roehlers letztem Film „Quellen des Lebens“ (2013) Roberts großes Vorbild. Schwarz ist seinem Berufswunsch Zuhälter recht nahe gekommen: als Aufseher in einer peep show am Bahnhof Zoo. Er hat einen Job für den abgebrannten Neuankömmling: Robert darf den Mädchen snacks servieren – und in den Wichskabinen wegwischen, was die Kundschaft hinterlässt.

 

Mit peep show Heroin finanzieren

 

Ein idealer Ort, um die Westberliner Szene kennen zu lernen, zumindest ihre männliche Hälfte; die geht hier ein und aus. Auch die underground-Größe Blixa Bargeld (Alexander Scheer), Sänger der „Einstürzenden Neubauten“, und seinen Busenfreund Nick Cave, der mit seiner Band „Birthday Party“ Weltuntergangs-Blues intoniert. Oder Paradiesvögel wie Sanja (Emilia Schüle): Das blutjunge US-Mädel finanziert sich mit peep show-Schichten ihr teures Hobby Heroin. Natürlich fühlt sich Robert vom morbiden Charme der Fixerin sofort magisch angezogen.


Offizieller Filmtrailer


 

Altes Laster larmoyante Nabelschau

 

Eine feine Exposition rührt Regisseur Roehler da zusammen: Die Typen stimmen, ihre Scheißegal-Haltung auch, und das „Fickt Euch ins Knie!“-Klima im Nachtleben der Mauerstadt ist gut getroffen. Doch dann fällt Roehler nicht mehr viel ein. Was verwundert, da er 1980 nach Westberlin zog und die No-Future-Atmosphäre des Jahrzehnts hautnah miterlebt hat. Wie so oft steht ihm aber sein altes Laster im Weg: larmoyante Nabelschau.

 

Offenbar kann sich Roehler die ganze Welt nur als Verlängerung seines schwer traumatisierten Egos vorstellen. Unablässig muss er seine schlimme Kindheit mit bösen Eltern aufarbeiten. Das verdarb schon seine Familienchronik „Quellen des Lebens“ über die 1950er bis 1970er Jahre gründlich. Die seinerzeit von ihm angedrohte Fortsetzung über seine wilde Westberliner Zeit gerät kaum besser.

 

Kein einziger guter Punk-Song im Film

 

Damals hat Roehler laut Selbstauskunft viel speed konsumiert. Also müssen seine Filmfiguren ständig ellenlange lines ziehen. Das hätten sich Punks kaum leisten können; sie bedröhnten sich vorzugsweise mit Dosenbier und Joints – doch Roehler ist militanter Raucherhasser.

 

Er ging nachts gern in die Absturzkneipe „Risiko“ – also spielen alle Party- und Sauf-Szenen ausschließlich dort. Andere wichtige Läden wie das „Mitropa“, das „Ex’n’Popp“ oder das „SO36“ bleiben völlig unerwähnt. Ebenso die Kreuzberger Hausbesetzer-Szene, in der die meisten BRD-Exilanten unterkrochen, ihre linksradikale Politisierung mit unzähligen Antifa-Aktionen, oder die enorme Bedeutung von (Live-)Musik: Im ganzen Film erklingt kein einziger guter Punk-Song.

 

Nihilistische Selbstzerstörung räudiger Kaputtniks

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Von hier an kein Zurück" - packendes Jugend-Drama mit Ben Becker von Christian Frosch

 

und hier einen Bericht über den Film Doku  “Blank City” - über die No-Wave-Szene im New York der späten 1970er Jahre von Céline Danhier

 

und hier einen Beitrag über den Film “Quellen des Lebens” – Familien-Neurosen-Saga von Oskar Roehler

 

Je länger man zusieht, desto offensichtlicher wird, dass Roehler von popkulturellen Phänomenen schlicht keine Ahnung hat. Dass britische Punks meist Arbeiterkinder, deutsche dagegen eher Oberschüler waren, die sich für extreme Ästhetiken aller Art interessierten, und dass es vitale Punk-Szenen auch in Düsseldorf, Hamburg und sogar München gab – all das ignoriert er. Roehler reduziert Punks auf eine Horde räudiger Kaputtniks, die auf ihrer hochsubventionierten Halbstadt-Insel mit nihilistischer Selbstzerstörung beschäftigt sind.

 

Diese Scheuklappen erlauben ihm, sein Lebensthema wiederzukäuen: Hass auf seine Mutter Gisela Elsner, in den 1970er Jahren leidlich erfolgreiche Schriftstellerin, und Klaus Roehler, Verlags-Lektor im RAF-Umfeld. Beide erscheinen wie im Vorgängerfilm als Jammerlappen, deren erbärmliches Scheitern Roehler geradezu wollüstig auswalzt. Das hat zwar wenig mit Westberlin und nichts mit Hippies oder Punks zu tun, erlaubt dem Regisseur aber einen weiteren symbolischen Elternmord – der wievielte in seinem Werk es ist, mag man gar nicht mehr zählen.

 

Bitte mit Filmtitel Ernst machen

 

Seinen Tiefpunkt erreicht der Film, wenn Roehler einen Giganten wie Rainer Werner Fassbinder in die Schwulendisco verpflanzt und seine Lederkerl-Schergen hektisch Koks für ihn auftreiben lässt. Was als amüsantes Sittenbild einer schrägen Subkultur begann, verzwergt zur peinlich bemühten Privat-Abrechnung eines von Missgunst zerfressenen Epigonen mit Altvorderen.

 

Roeher wird das nicht anfechten; er kreist allein um sich selbst. Was auch ein Merkmal der schlaffen, nöligen Späthippies war, gegen die Punk Ende der 1970er Jahre rebellierte. Das hat der Regisseur im Filmtitel in treffende Worte gefasst: Er sollte diese Parole nur endlich auf sich selbst anwenden.