Pan Nalin

An den Ufern der heiligen Flüsse

Abendstimmung am Ganges. Foto: NFP marketing & distribution, Berlin
(Kinostart: 30.4.) Ein Mega-Gemeinschaftsbad ist das größte Fest der Welt: Zur Kumbh Mela versammeln sich alle zwölf Jahre Millionen von Hindus. Regisseur Pan Nalin verknüpft seine Feier-Doku mit kleinen Episoden, blendet aber Widersprüche aus.

Diese imposante Szenerie war schon oft im Kino oder Fernsehen zu sehen: Auf langen, vielfach hintereinander gestaffelten Ponton-Brücken ziehen endlose Scharen von Menschen über die weiten Wasser des Ganges. Die Kumbh Mela, das hinduistische „Fest des Kruges“, findet in astronomisch berechneten Zwölf-Jahres-Zyklen statt.

 

Info

 

An den Ufern der heiligen Flüsse
(Faith Connections)

 

Regie: Pan Nalin,

115 Min., Indien/ Frankreich 2013;

mit: Bhole Baba, Hatha Yogi Baba, Pant Shirt Baba

 

Website zum Film

 

Dabei versammeln sich Abermillionen von Gläubigen – mit steigender Tendenz – über einen Zeitraum von 55 Tagen in der Stadt Allahabad zu Gebeten und rituellen Bädern am Zusammenfluss der heiligen Ströme Ganges und Yamuna mit dem mythischen Fluss Sarasvati. Die Bilder von buntgewandeten Menschenmassen, sich verrenkenden nackten Männern, von Räucherstäbchen vernebelten Zeltstädten und mit Betenden bevölkerten Fussufern zählen längst zu den ikonischen Ansichten religiöser Praxis nicht nur in Indien.

 

Standard in Metaphysik-Dokus

 

Sie wurden schon unzählige Male auf Fotos und in Videos festgehalten. In Dokumentarfilmen mit metaphysischer Thematik – über Zeit, Glück etc. – gehören sie fast zum Standardrepertoire. Auch im jüngsten Film von Pan Nalin sind sie ausgiebig zu betrachten. Der indische Filmemacher hat zwölf Jahre nach seinem Spielfilmdebut „Samsara“, einer moralischen Fabel über einen buddhistischen Mönch, und sechs Jahre nach der ähnlich motivierten, historischen Liebesgeschichte „Valley of Flowers“ das größte religiöse Fest der Welt im Jahr 2013 besucht.


Offizieller Filmtrailer


 

Krebs mit Yoga-Stellungen heilen

 

Dort macht er als teilnehmender Beobachter die Feierlichkeiten zum Sujet eines langen Dokumentarfilms – eingebettet in eine familiäre Rahmengeschichte, die aus dem Off erzählt wird. Drei Kameras fangen das pittoreske Menschentreiben atmosphärisch dicht mit vielen Nahaufnahmen ein. Dazu flicht Nalin einen locker geknüpften Kranz narrativer Episoden.

 

Deren Protagonisten sind kleine Jungen, die verloren gingen, von Zuhause ausgerissen sind und an Kindes Statt angenommen wurden. Oder Pilger, Polizisten und hinduistische Mönche wie Sadhus, Yogis und Naga-Baba-Asketen, die althergebrachte Kifferwahn-Weisheiten verbreiten: etwa, dass man mit Yoga-Stellungen, den so genannten Asanas, Krebs heilen könne. Die einzelnen kleinen Geschichten sind impressionistisch hingetupft und vermischt.

 

Vom Möchtegern-Gangster zum Heiligen

 

Gegen Ende macht der Film einen Abstecher ins Landesinnere zu einem Dorf abseits des Festgeschehens – für eine Pointe, die fast konstruiert erscheint: Der kleine Ausreißer, den seine Eltern erst im Festgewimmel aufgetrieben und dann wieder heimgeholt haben, hat sich unversehens vom vorlauten Möchtegern-Gangster zum Möchtegern-Heiligen gewandelt.

 

Auch sonst steht in diesem Film, der im Original „Faith Connections“ heißt, Religiöses naturgemäß im Mittelpunkt. Dabei setzt die Inszenierung aus der Innenperspektive nicht auf besseres Verständnis oder Erkenntnisse, sondern auf Mitempfinden und Miterleben – und appelliert offensichtlich an spirituelle Bedürfnisse eines alternativen westlichen Publikums.

 

Frauen taugen nur zu Müttern

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der 3D-Doku "Fascinating India" - Rundfahrt zu klassischen Reisezielen von Alexander Sass + Simon Busch

 

und hier einen Bericht über die Doku "Sâdhu – Auf der Suche nach der Wahrheit" - Porträt eines Hindu-Eremiten von Gaël Métroz

 

und hier einen Beitrag über den Film “Mitternachtskinder”  – grandiose Verfilmung von Salman Rushdies Bestseller über Indiens Geschichte durch Deepa Mehta.

 

Fernöstlich-geistig unterfütterte Reise-Dokumentarfilme sind schon fast ein etabliertes Subgenre – und durchaus ein kommerzielles Erfolgsrezept. Solche esoterisch-religiösen Dokus liegen neben Tier-, Natur-, oder Musik-Filmen in deuschen Programmkinos bei den Zuschauerzahlen ganz oben; auch Pan Nalins eigener Dokumentarfilm “Ayurveda: The Art of Being” von 2001 über herkömmliche Hindu-Medizin war recht erfolgreich.

 

Ob sein Konzept diesmal erneut aufgeht, bleibt abzuwarten: Die vorgeführten, arg patriarchalischen Verhältnisse machen die Identifikation für emanzipatorisch denkende Zuschauer schwer. Unter traditionellen Hindus haben Frauen offensichtlich nur in ihrer Funktion als Mütter von selbstverständlich männlichem Nachwuchs eine Existenzberechtigung.

 

Spiritueller Geschlechter-Widerspruch

 

Das überrascht nicht. Doch in westlichen Gesellschaften gelten spirituelle Neigungen tendenziell als weiblich besetzt; dagegen sind die meisten dadurch angesprochenen Religionen aber durchweg patriarchalisch organisiert. Ein Widerspruch, der auch das Zielpublikum von „An den Ufern der heiligen Flüsse“ betreffen dürfte; ihn genauer zu beleuchten, könnte erhellende Einsichten eröffnen. Doch Regisseur Pan Nalin, der ganz auf Einfühlung setzt, zeigt keinerlei Ambitionen, diesen Aspekt auch nur ansatzweise zu reflektieren.