Christoph Waltz

Big Eyes

Margaret und Walter Keane (Amy Adams, r., Christoph Waltz, l.) streiten sich heftig über den Betrug. Foto: Studiocanal
(Kinostart: 23.4.) Um 1960 fluteten Margaret und Walter Keane die Welt mit Kinder-Bildern: Sie malte, er verkaufte. Diese Pioniere der Kaufhaus-Kunst porträtiert Regisseur Tim Burton leider nur als Akteure eines Ehedramas samt Frauenemanzipation.

Ein Pionier der Massenproduktion: Ende der 1950er Jahre machte Walter Keane Kunstwerke zu Mitnahme-Artikeln. Seine Bilder zeigten stets die gleichen Motive: Vor unbestimmt düsterem Hintergrund stehen niedliche Kinder in ärmlichen Kleidern mit strubbeligen Haaren. Sie schauen mit großen Augen den Betrachter traurig an – Kindchenschema pur.

 

Info

 

Big Eyes

 

Regie: Tim Burton,

106 Min., USA/ Kanada 2015;

mit: Christoph Waltz, Amy Adams, Krysten Ritter

 

Website zum Film

 

Keane verkaufte diese Motive millionenfach: als Poster, Kalender, Postkarten, Kaffeetassen – und natürlich auch als Originale in Öl auf Leinwand zu hohen Preisen. Um 1960 zählten sie wie Superman und Mickey Mouse zum Inventar der US-Populärkultur. Als herzerwärmend triste Dekoration schmückten sie die Zimmer zahlloser melancholischer Teenager. Dabei hüteten die traurigen Knirpse ein schmutziges Geheimnis: Der vermeintliche Künstler konnte gar nicht malen.

 

Urheberrecht vor Gericht erstritten

 

Alle Bilder hatte seine Frau Margaret geschaffen. Sie musste sich von ihrem Mann trennen und ihn vor Gericht zerren, um ihr Urheberrecht zu erstreiten. Diese Tragikomödie hat Tim Burton, Spezialist für skurrile Themen und Figuren, nun verfilmt; allerdings nicht als Sittengeschichte des Kulturbetriebs in der Spektakelgesellschaft, sondern als Ehedrama.


Offizieller Filmtrailer


Möchtegern-Künstler als Selbstvermarktungs-Genie

 

Seine Margaret (Amy Adams) ist eine brave, blonde Hausfrau der 1950er Jahre, die als Mutter einer kleinen Tochter vor ihrem ersten Mann nach San Francisco davonläuft – direkt in die Arme von Walter (Christoph Waltz). Der gibt sich als Hobbykünstler aus, bewundert ihr Mal-Talent und bemüht sich, ihre Bilder an den Mann zu bringen.

 

Anfangs vergeblich: Galeristen lehnen die Kinder-Porträts als Kitsch ab, eine Mini-Ausstellung im Jazz-Club wird ignoriert. Das ändert sich, als Walter die Bilder als eigene Werke ausgibt und von einem Klatsch-Kolumnisten (Danny Huston) beachtet wird. Der Möchtegern-Künstler wird zum Selbstvermarktungs-Genie: Er eröffnet seine eigene Galerie, verschenkt Gemälde an Promis, um in die Zeitung zu kommen, und lässt billige Drucke herstellen.

 

Öliger Charme + Dauergrinsen

 

Nun rollt der Rubel: Die Keanes beziehen eine Luxus-Villa, in der Margaret wie am Fließband pinselt. Dass sie im Schatten steht, während Walter mit ihren Arbeiten renommiert, frustriert sie zunehmend. Als er sie nötigt, ein meterlanges Wandbild für UNICEF anzufertigen, kommt es 1964 zum Eklat: Margaret flüchtet nach Hawaii, schließt sich den Zeugen Jehovas an und findet dadurch den Mut, gegen ihren Hochstapler-Gatten vorzugehen.

 

Soweit die zum heutigen Zeitgeist passende Botschaft: Wahres weibliches Talent setzt sich gegen männliche Ausbeutung zur Wehr. Burton inszeniert diese Emanzipations-story chronologisch und geschmeidig, mit viel Sinn für Zeitkolorit. Paradoxerweise steht aber nicht die schüchterne und bescheidene Malerin im Zentrum, sondern ihr Mann: Christoph Waltz chargiert mit öligem Charme und Dauergrinsen auf Teufel komm raus. Diesem windigen Hallodri würde niemand, der bei Trost ist, einen Gebrauchtwagen abkaufen – geschweige denn Gemälde.

 

Vorbild für Warhol, Dalì + Miró

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der Doku “Beltracchi – Die Kunst der Fälschung” - Porträt des Fälschers von Arne Birkenstock

 

und hier einen Bericht über den Film “The Best Offer – Das höchste Gebot” - Psycho-Thriller im Kunsthandel von Giuseppe Tornatore mit Geoffrey Rush

 

und hier einen Beitrag über den Film “Trance – Gefährliche Erinnerung”  – Psycho-Thriller über Kunstraub unter Hypnose von Danny Boyle.

 

Was Regisseur Burton wie seine Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszewski nicht zu stören scheint; offenbar interessieren sie sich wenig für Mechanismen der Kunstvermarktung. Keane war ein Avantgardist des Direktvertriebs: Er holte Gemälde vom Sockel der Hochkunst und bot leicht konsumierbare Deko-Bilder an, die sich jeder leisten konnte. Bald kopierten ihn nicht nur Pop-Artisten wie Andy Warhol, sondern auch Klassiker der Moderne wie Dalì, Mirò oder Kokoschka: Sie ließen mit Reproduktionen ihrer Arbeiten in hoher Auflage die Kassen klingeln.

 

Immerhin blickten alle Genannten auf ein wegweisendes Frühwerk zurück. Anders Keane: Er fand nie Anerkennung im Kulturbetrieb und strebte auch nicht danach. Ihm genügte gewinnträchtige Popularität bei Normalverbrauchern – die sich für seine Motive wie für Comic-Figuren oder Diddel-Mäuse begeisterten. Wobei der Kinder-Kram ein US-spezifisches Phänomen war; in Europa hatte er weitaus weniger Erfolg.

 

Wie Rockwell + O’Keefe

 

Ähnliches gilt für die penibel ausgemalten family values-Idyllen von Norman Rockwell, die schwülstigen Blüten-Bilder von Georgia O’Keefe oder das Biedermeier-Design von Laura Ashley: Bei bildender Kunst kultiviert die angelsächsische Welt eine Neigung zu süßlichem Kitsch. Die Kinder-Bilder aus dem Hause Keane gäben ein aufschlussreiches Fallbeispiel her, um der Frage nachzugehen, warum das so ist. Doch die ignoriert Tim Burton; stattdessen erzählt er lieber von Hausfrauen-Emanzipation vor 50 Jahren.