
Medienkunst wird in Bayern seit Anfang 2014 groß geschrieben, als die Münchner Sammlerin Ingvild Goetz 375 Arbeiten aus ihrer umfangreichen Kollektion dem Land schenkte. Nun werden diese Werke nach und nach in den Staatsgemälde-Sammlungen gezeigt.
Info
Creating Realities - Begegnungen zwischen Kunst und Kino
05.02. - 31.05.2015
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr
in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40
16.04. - 31.05.2015
im Museum Brandhorst, Theresienstraße 35 a, München
Sprachlos visuelle Erzählungen
Die Schau gliedert sich in vier Kapitel. Für die erste Staffel „A Question of Silence“ wählte Kurator Bernhart Schwenk Arbeiten von Sven Johne, Jesper Just, Ulla von Brandenburg und Sam Taylor-Wood aus. Alle Filme sind fiktional und kürzer als zehn Minuten; nie läuft Kommunikation über Sprache. Erzählt wird rein visuell: mit Gestik, Mimik, Schauplätzen und Requisiten.
Impressionen der Ausstellung: Ausschnitte der Beiträge von Yang Fudong, Sam Taylor-Wood, Jesper Just, Sven Johne, John Gerrard, Omer Fast, Pierre Huyghe, Keren Cytter, Brice Dellsperger, Bjørn Melhus und Camille Henrot
Frisch abgeschnittenes Bein
Etwa in Justs titelgebender, surreal angereicherter Szenerie von 2008: Ein älteres Paar verharrt bewegungslos in einem Wartesaal, in dem eine Puppe singt. Dabei liegt das rechte Bein der Frau – wie frisch abgeschnitten, aber doch sichtbar aus Plastik – auf dem Boden; mit dem linken stupst sie daran herum.
Ein junges Paar steht im Zentrum von Taylor-Woods Drei-Kanal-Installation „Atlantic“ von 1997. In einem voll besetzten Restaurants sieht man es in Nahaufnahme: Die Frau weint, die Hände des Mannes fummeln an seiner Zigarette. Hier findet Kommunikation nicht auf der Inhalts-, sondern auf der Beziehungsebene statt.
Gewehrsalve an früherer DDR-Grenze
Im Vater-Sohn-Drama „Elmenhorst“ (2006) von Sven Johne bleiben die Protagonisten in einer kargen Seelenlandschaft à la Caspar David Friedrich ebenfalls stumm. Beide wandern einen einsamen Strand entlang, der Ältere trägt ein Gewehr; plötzlich schießt der Jüngere damit in die Luft.
Nur der Titel deutet darauf hin, dass es sich bei diesem Küstenabschnitt um ein ehemaliges militärisches Sperrgebiet der DDR handelt: Tausende wagten hier die Flucht in den Westen, aber nur wenige kamen an den bewaffneten Grenzsoldaten vorbei. Auf der Ebene der Fakten stößt der Kurzfilm an seine Grenzen.
Wiedersehen mit Bruno Ganz
An ähnliche Grenzen gerät auch die Präsentation des zweiten Kapitels. In „L’Ellipse“ geht es um fragmentarische Formen des Erzählens durch Auslassung. Pierre Huyghes gleichnamiges Video von 1998 ergänzt „Der amerikanische Freund“ (1977) von Wim Wenders, die Verfilmung eines Krimis von Patricia Highsmith, 21 Jahre später um eine zusätzliche Szene.
Die Kamera von Pierre Huyghe folgt dem Schaupieler Bruno Ganz, bei Wenders ein todkranker Auftragskiller, auf einem Gang durch Paris – eine Sequenz, die es so im Original nicht gab. Schon in Wenders‘ Film ging es auch um die Wahrheit von Bildern; dazu steuert Huyghe seinen Kommentar bei.
Soldatenleichen im deutschen Wald
Clement Page konfrontiert in zwei Video-Kanälen den Alptraum eines „Schlafwandlers“ (2005) mit seinem tatsächlichen Handeln: Was ist Vorstellung, was Realität? Omer Fast behandelt in der 40-minütigen Arbeit „Continuity“ (2012) Deutschlands innere Sicherheit: Er zersetzt die Familie eines Afghanistan-Heimkehrers und drapiert Soldatenleichen mitten im Wald – ein verstörender Fast-Spielfilm.
„Neighbour’s Yard“ lautet das Motto des dritten Kapitels. Hier geht es um die Nachbarschaft unterschiedlicher Identitäten, was mitunter unheimlich laut und schrill ausfällt. Bjørn Melhus spielt in „Auto Center Drive“ (2003) in seiner für ihn typischen Manier aus inszeniertem Dilettantismus und Slapstick alle Protagonisten selbst.
Bildergewitter ermüdet fett
Hintergrund
Lesen Sie hier einen Bericht über das Festival "Kino der Kunst 2015" mit Filmen von bildenden Künstlern in München
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Happy Birthday! 20 Jahre Sammlung Goetz” mit Medien- + Video-Kunst in der Sammlung Goetz, München
und hier einen Bericht über die Ausstellung “High Performance – Die Julia Stoschek Collection zu Gast im ZKM” über “zeitbasierte Medienkunst seit 1996" im ZKM, Karlsruhe.
Für sich selbst steht das vierte Kapitel „Grosse Fatigue“ im Museum Brandhorst: Camille Henrots gleichnamiger Beitrag wurde 2013 auf der Biennale in Venedig mit dem Silbernen Löwen prämiert. Der 13-minütige Film ist ein Bildergewitter aus zahllosen Monitor-Fenstern, die sich in rasendem Tempo übereinander schieben. Dazu wird eine eigenwillige Version der Weltentstehungs-Geschichte erzählt: Genesis 3.0.
Besser im Ex-Luftschutzbunker
Es mag an der verstreuten Präsentation in einzelnen Räumen der Pinakothek liegen, aber die Schau rundet sich weder insgesamt noch in den einzelnen Kapiteln zu einem überzeugenden Ganzen. Das stimmigste ist „A Question of Silence“; danach franst das Konzept aus, oder die Film-Installationen nehmen sich gegenseitig ihre Wirkung.
Auch angeblich ortsungebundene Medienkunst braucht eine passende Umgebung, um sich zu entfalten. Dafür ist die Raumflucht des Ex-Luftschutzbunkers unter dem Haus der Kunst, in dem ebenfalls Werke aus der Sammlung Goetz vorgeführt werden, eine besser geeignete location: Sie ist zwar anstrengend für Klaustrophobiker, steigert aber die Konzentration.