„Und trotzdem bin ich quasi unbekannt…“, seufzte Emile Bernard (1868-1941) als 50-Jähriger im Oktober 1918. Der Malerfreund und Weggefährte von Henri de Toulouse-Lautrec, Paul Gauguin und Vincent van Gogh kooperierte und konkurrierte mit den Gründervätern der modernen Malerei. Ohne ihn wären die Weichen der französischen Avantgarde vielleicht anders gestellt worden.
Info
Emile Bernard -
Am Puls der Moderne
07.02.2015 - 31.05.2015
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
dienstags bis 21 Uhr
in der Kunsthalle Bremen, Am Wall 207
Zurück zur Renaissance
Tatsächlich zeigt die Schau Bernard als einen Radikalen, der sein Leben lang nach Antworten auf Grundfragen der Malerei suchte und sich dabei nie den Lehrmeinungen seiner Zeit unterwarf. Er regte die Postimpressionisten zu ihrer Suche nach neuen Ausdrucksformen an. Doch als Anfang des 20. Jahrhunderts die Moderne den Weg in die Abstraktion einschlug, besann er sich zurück auf Renaissance-Meister – und beharrte Jahrzehnte lang auf dieser Entscheidung.
Interview mit Kuratorin Dorothee Hansen + Impressionen der Ausstellungen; © Kunsthalle Bremen
Atelier-Ausschluss wegen Unbotmäßigkeit
Dieser Eigensinn erklärt, warum Bernard bis heute völlig unterbewertet ist. Trotz seiner wichtigen Rolle unter den Künstlern seiner Zeit und seinen wegweisenden Arbeiten für den so genannten Synthetismus und Symbolismus ist sein Werk wenig bekannt. Seine Bilder erzielen nur Bruchteile der Preise von denjenigen Gauguins oder Van Goghs – obwohl er beide nachhaltig beeinflusst hat.
Meist wird nur die kurze Schaffensphase von 1887 bis 1889 beachtet, als er mit beiden Malern in der bretonischen Künstlerkolonie Pont-Aven zusammenarbeitete. Da war der 18-jährige gerade wegen „Unbotmäßigkeit“ aus dem Pariser Atelier von Fernand Cormon ausgeschlossen worden; dort hatte er gemeinsam mit Toulouse-Lautrec studiert.
850 Entwürfe in Rechnungsbuch
Federskizzen dieser frühen Phase machen in der Ausstellung die rasante Entwicklung des Künstlers sichtbar: In ein altes Rechnungsbuch hatte Bernard im Lauf der Jahre akribisch mehr als 850 Handzeichnungen und Schnipsel eingeklebt. Das digitalisierte Sammelsurium kann der Besucher an einem touchscreen von ersten Schulbank-Skizzen bis zu Entwürfen für die Spätwerke ungezwungen durchblättern.
Nach dem Atelier-Rausschmiss unternimmt Bernard eine sechsmonatige Wanderreise durch die Bretagne. Anhand von Landschafts-Skizzen lässt sich gut ablesen, wie sich sein künstlerischer Blick verändert: Nach einigen pointilistischen Versuchen in Öl reduziert er seine Bildflächen holzschnittartig auf fast geometrische Linien.
Großmutter-Bild in Van Goghs Atelier
Die setzt er dunkel ab, während er die Flächen mit immer reineren Farben füllt. „Cloisonismus“ wird diese Variante flächiger Abstraktion genannt. Bernard gibt dem neuen Stil seine ganz eigene Prägung, welche die Symbolisten in Pont-Aven eifrig aufnehmen.
Das wird in der Ausstellung durch einander gegenüber gestellte Werke sehr anschaulich. So hat sich Van Gogh erkennbar bemüht, mit seinem Gemälde „Alte Frau aus Arles“ auf Bernards radikales „Porträt der Großmutter“ zu antworten; der Niederländer bewunderte es so sehr, dass er es bis zu seinem Tod in seinem Atelier hängen ließ. Auch Gauguin wetteiferte mit Bernard in der Gestaltung von Stillleben, ohne je dessen Abstraktionsgrad zu erreichen.
Erstes Porträt als flaumbärtiger Jüngling
Bernards künstlerischer Selbstfindungs-Prozess lässt sich auch anhand der zahlreichen Selbstporträts nachvollziehen, mit denen er geradezu akribisch den Wandel seines Malstils dokumentiert hat. Das erste Bernard-Porträt der Ausstellung ist noch von Toulouse-Lautrec gemalt; es zeigt einen flaumbärtigen Jüngling von kaum 18 Jahren im spätimpressionistischen Stil.