Annekatrin Hendel

Fassbinder

Rainer Werner Fassbinder, Copyright: Rainer Werner Fassbinder Foundation. Fotoquelle: Real Fiction
(Kinostart: 30.4.) Sekten-Chef und Workoholic: Rainer Werner Fassbinder war der eigenwilligste und produktivste Regisseur des deutschen Kinos. Mit Archiv-Material und Weggefährten-Interviews rekonstruiert Regisseurin Hendel das Phänomen RWF.

Rainer Werner Fassbinder war ein Phänomen: eine Ein-Mann-Produktionsmaschine, die künstlerischen Eigenwillen mit kommerziellem Erfolg verband – und damit eine ungeheuer moderne Figur. In Deutschland wurde er eher zähneknirschend zum Star erklärt.

 

Info

 

Fassbinder

 

Regie: Annekatrin Hendel,

95 Min., Deutschland 2015;

mit: Rainer Werner Fassbinder, Hanna Schygulla, Volker Schlöndorff

 

Website zum Film

 

Dagegen wurde er im Ausland von Cineasten gefeiert; so unterschiedliche Nachfolger wie der Franzose François Ozon und Wong Kar-Wai bezeichnen ihn als ihren Lieblingsregisseur. Doch als cool gilt Fassbinder, der Ende Mai 70 Jahre alt geworden wäre, heute nirgendwo mehr. Der Dokumentarfilm von Annekatrin Hendel kommt also zur rechten Zeit, um sich seiner Bedeutung zu vergewissern.

 

Nachfragen aus historischer Distanz

 
Fassbinders Werk gilt heute als historisch bewältigt; es wurde mitsamt den Widersprüchen der alten Bundesrepublik von der Wiedervereinigung weggespült. Seine Filme fristen ein Nischendasein in den Spätschienen der dritten ARD-Programme und Kommunalen Kinos. Da ist verständlich, dass sich Hendel als Filmemacherin der jüngeren Generation diesem unglaublichen Werk mit gewisser historischer Distanz nähert. Das ist im Film unübersehbar: naseweises Nachfragen, deplatzierte Musik der Band „Rammstein“ und kühn gefilmte, aber letztlich nichtssagende sets.

Offizieller Filmtrailer


 

Von Hörigkeit spricht keiner mehr

 

Dazwischen vermag man aber kaum den Blick abzuwenden. Kurze Eindrücke aus dem „antitheater“, das Fassbinder 1968/70 mitgründete und leitete, ziehen in den Bann; ebenso die rohe Kraft seiner frühen Filme, die teure Eleganz der Spätwerke, und natürlich die Darsteller: allesamt Mitglieder des „Clans“, eines jahrelang auf ihn eingeschworenen Kollektivs.

 

Einige der alten Wegbegleiter treten vor die Kamera und erzählen. Hanna Schygulla wirkt wie aus einer anderen Zeit, wenn sie durch Atelierräume und Erinnerungen schwebt, dabei Bilder malt und Tee trinkt. Sie spricht davon, dass viele Menschen Fassbinder hörig waren – und fragt sich dann laut, ob das Wort „hörig“ überhaupt noch benutzt wird.

 

Männer geben sich distanziert

 

Diese Hörigkeit verkörperte Irm Herrmann anfangs wie keine andere, bis sie sich 1975 von Fassbinder löste – obwohl sie 1980 noch in zwei seiner Produktionen mitspielte. Mittlerweile scheint sie ihren Frieden mit ihm gemacht zu haben. Margit Carstensen, neben Schygulla der zweite Star der frühen Fassbinder-Filme, hat damals offenbar alles Wichtige verpasst.

 

Während die Frauen freimütig darüber sprechen, wie die Zeit mit IHM sie zu dem gemacht hat, was sie sind, geben sich die Männer eher distanziert: etwa der Regieassistent und Schauspieler Harry Baer, aber auch die Filmemacher-Kollegen Hark Bohm und Volker Schlöndorff. Sie sind Überlebende. Viele aus dem „Clan“ sind nicht mehr; einige starben an ihrer Nähe zu IHM.

 

Wie war es möglich?

 

Auf der Welle, die Fassbinder lostrat, ritten manche glücklich zum eigenen Erfolg: wie die Schauspielerin Barbara Sukowa, der Kameramann Michael Ballhaus oder der Regisseur Xaver Schwarzenberger. Andere haben indes im Leben nach IHM schwer zu kämpfen gehabt. Zurecht fragt der Film, wie so etwas möglich war: Wie brachte ein bisexueller Alpha-Mann so viele Menschen dazu, ein Dasein als ewige Vasallen zu führen? Und im Anbetracht des künstlerischen outputs dieser Film-Sekte: Könnte es Ähnliches jemals wieder geben?

 
Außerdem ruft Hendel in Erinnerung, was bekannt, aber kaum noch präsent ist: In nur 16 Jahren hat Fassbinder 44 Filme gedreht, darunter zwei große Fernsehserien. Seine Filmhelden deckten die gesamte Gesellschaft ab: Gangster, vom Mob verfolgte Gastarbeiter, schwule Arbeiter- und Bürgersöhne, devote und sadistische Großbürger, Amokläufer, süchtige Ex-Filmstars – kaum ein Milieu, das nicht vorkommt.

 

Film-Namen wurden zu Redensarten

 

Fassbinders Filme haben dunkel poetische Namen, von denen manche geläufige Redensarten geworden sind: etwa „Liebe ist kälter als der Tod“ (1969) oder „Angst essen Seele auf“ (1973). Sie analysierten Nachkriegsdeutschland und seine düstere Vorgeschichte mit einer eigentümlichen Mischung aus Einfühlung, Kritik und Härte.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Fassbinder – Jetzt: Film und Videokunst" im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Hanna Schygulla – Traumprotokolle" mit von ihr verfilmten Träumen in der Akademie der Künste, Berlin

 

und hier einen Bericht über den Film “Die wilde Zeit – Après mai” über linke Subkultur der 1970er Jahre von Olivier Assayas.

 

Mit denselben Eigenschaften plus Narzissmus, Manipulation und Exzess führte er seine entourage. Als dieses künstlerisch durchaus fruchtbare Konzept zu implodieren begann, analysierte er auch die Abhängigkeits-Verhältnisse in seinem Zirkel mit einem Film: „Warnung vor einer heiligen Nutte“ von 1971.

 

Döblin-Roman als 14-teilige TV-Serie

 

So steuert die Doku chronologisch auf das Ende zu. 1980 ließ der WDR bei der Verfilmung von Alfred Döblins expressionistischem Roman „Berlin Alexanderplatz“ Fassbinder freie Hand: Er machte daraus eine 14-teilige TV-Serie. 1982 erhielt er endlich auf der Berlinale einen Goldenen Bären für seinen vorletzten Film „Die Sehnsucht der Veronika Voss“.

 

Auf der anderen Seite der Medaille: ein knallhartes Produktionspensum, während ihm das Finanzamt im Nacken saß. Zudem ein Theaterskandal um sein letztes Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von 1975, das wegen Antisemitismus-Vorwürfen erst 2009 uraufgeführt wurde. Dazu falsche Freunde, tote Freunde, Koks und Kippen: Mit 37 Jahren war Schluss.

 

Keiner macht mehr Kino wie er

 

Danach wurde Fassbinders Werk unter dem Etikett „Neuer Deutscher Film“ begraben; keiner macht heute mehr Kino wie er. Deutsche Geschichte, die er stets aufkratzte wie eine schlecht verheilte Wunde, wird heute bebildert von Regisseuren wie Heinrich Breloer oder Sönke Wortmann und dem TV-Produzenten Nico Hoffmann: mit Kassenschlagern wie „Das Wunder von Bern“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“. Da tut es gut, sich an Rainer Werner Fassbinder zu erinnern.