Im Internet-Zeitalter geht niemand mehr verloren: Beim Surfen findet der Rentner Paul Kromberger (Matthias Habich) einen Artikel über eine Opernsängerin in New York, die seiner verstorbenen Frau täuschend ähnlich sieht. Er schickt seine Tochter Sophie (Katja Riemann) los, eine eher erfolglose Jazzsängerin, um die Unbekannte zu kontaktieren.
Info
Die abhandene Welt
Regie: Margarethe von Trotta,
101 Min., Deutschland 2014;
mit: Katja Riemann, Barbara Sukowa, Matthias Habich
Vatersuche im Familienkreis
Nun taut Caterina auf: Offenbar ist sie Sophies Schwester – doch wer ist dann ihr Vater? Zurück in Düsseldorf, stellt Sophie ihren Papa zur Rede. Der weicht aus und schickt sie erst auf eine falsche Fährte, muss aber dann zugeben: Die Antwort findet sich im engsten Familienkreis. Auf Schock und Erklärungsnot folgen Geständnisse und Versöhnungen; am Ende prosten sich alle mit Rotwein zu: „Auf die Zukunft!“
Offizieller Filmtrailer
Gesangseinlagen für die Teilzeit-Diseuse
Von verlorenen Söhnen und Töchtern, vertauschten Geschwistern und wiedergefundener Familienbande handelt Literatur seit ihren Anfängen: Nichts beschäftigt Menschen mehr als ihre Verwandten. Regisseurin Margarethe von Trotta, die als Einzelkind aufwuchs, betrifft das Thema persönlich: Nach dem Tod ihrer Mutter erfuhr sie, dass sie eine ältere Schwester hat, die zur Adoption freigegeben worden war. „Die abhandene Welt“ ist also autobiographisch grundiert.
Das muss kein Nachteil sein; es macht Filme oft authentischer. Zumal bei so versierten Schauspielerinnen: Barbara Sukowa und Katja Riemann, die erstmals gemeinsam vor der Kamera stehen, kommen prächtig miteinander klar. Sukowa gibt den Opernstar anfangs unnahbar, dann warmherzig. Riemann sah man schon lange nicht mehr so gelöst; ihr Charme hält das verworrene Beziehungs-Knäuel zusammen. Dafür dankt ihr die Regisseurin mit ausgiebigen Gesangseinlagen, in denen die Teilzeit-Diseuse ins Mikro schmettern darf.
Im kunstsinnigen Schöner-Wohnen-Ambiente
Doch der human interest-Funke springt nicht recht über. Trotz vieler Ortswechsel läuft alles zu glatt; es fehlt die Rauheit realen Lebens. Wie bei TV-Melodramen werden nur Motive und Probleme eingeführt, die in den nächsten Szenen flugs aufgegriffen und gelöst werden. Was in Krimis oder Thrillern für dichte Spannung sorgen würde, wirkt bei Herzensangelegenheiten arg konstruiert. Wer kann schon alle emotionalen Leichen der Verwandtschaft, die seit Jahrzehnten im Keller liegen, auf einen Schlag exhumieren und ordentlich bestatten?
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Hannah Arendt” - Biopic mit Barbara Sukowa als Philosophin von Margarete von Trotta
und hier einen Bericht über den Film "Die Besucher" - Patchwork-Familiengeschichte von Constanze Knoche
und hier einen Beitrag über den Film "Was bleibt" - Familien-Drama im Großbürgertum von Hans-Christian Schmid.
Auf die Zukunft anstoßen
Margarethe von Trotta ist eine unbekümmerte Bauchgefühl-Regisseurin. Ihr gelangen immer dann gute Filme, wenn sie sich aus dieser Perspektive eher abstrakt politischen Stoffen und Kopfmenschen annahm: dem RAF-Terrorismus („Die bleierne Zeit“, 1981), der Revolutionärin Rosa Luxemburg (1986) oder der Philosophin Hannah Arendt (2012) – alle drei waren Überraschungs-Erfolge.
Sobald von Trotta nur Menschlich-Allzumenschliches verfilmt, gerät ihr das leicht zum papiernen Gefühlskitsch. Wie hier: „Die abhandene Welt“ ist so wohlgeordnet, harmonieselig und kunstsinnig, dass sie perfekt als feelgood movie für die ganze Familie an Weihnachten taugt. Danach heben alle ihr Glas und trinken auf die Zukunft.