Berlin

Du sollst Dir (k)ein Bild machen

Joao Silva: Malawi Prisons, 2005, C-print, Ed.6/36, 58 x 90 cm, Foto: Kurt Steinhausen Fotografie, Courtesy TEUTLOFF MUSEUM e.V., © Joao Silva. Fotoquelle: 2015 Alexander Ochs Private
Gott soll nicht dargestellt werden, aber Gläubige brauchen Bilder: In diesem Spannungsfeld bewegen sich alle monotheistischen Religionen. Eine Kunst-Ausstellung im Berliner Dom will es beleuchten, driftet aber ins unbefriedigend Ungefähre ab.

Eine Ausstellung der Paradoxien; schon der Titel dementiert sich selbst. Sich kein Bild von Gott zu machen, lautet das zweite Gebot Mose: Jedes Bildnis würde den Allmächtigen eingrenzen und von seiner Ewigkeit ablenken. Doch begrenzte und endliche Bilder sind der Gegenstand jeder Ausstellung – wie sollte sie etwas zeigen, dass man nicht darstellen darf?

 

Info

 

Du sollst Dir (k)ein Bild machen

 

01.03.2015 - 14.06.2015

täglich 9 bis 20 Uhr

in der Tauf – und Traukirche des Berliner Doms, Am Lustgarten, Berlin

 

Begleitband 18,80 €

 

Website zur Ausstellung

 

Das frühe Christentum nahm das zweite Gebot ernst; es kannte kaum Bilder. Das änderte sich im vierten Jahrhundert, als das Bekenntnis zur Staatsreligion aufstieg: Um Menschenmassen zu missionieren und zu belehren, waren Bilder unerlässlich. Streng typisierte Ikonen sollten als Idealbilder die Gläubigen an die himmlische Sphäre erinnern.

 

Bürgerkrieg + Bildersturm

 

Darüber wurde oft gezankt. Der Bilderstreit im Oströmischen Reich des 8./9. Jahrhunderts kam einem Bürgerkrieg gleich. In Westeuropa räumte man im 16. Jahrhundert mit religiösem Dekor auf: Für die Reformation zählte nur sola scriptura, der Wortlaut der Bibel. Doch zumindest Luther wollte nicht völlig auf bildliche Darstellungen verzichten.

 

Reformatoren im katholischen look

 

Der 1905 eingeweihte Berliner Dom ist eine evangelische Kirche. Ihr Vorgängerbau war Kaiser Wilhelm II. war zu bescheiden; er verlangte nach grandezza, die seinen imperialen Ambitionen entsprach. So sieht das Ungetüm auch aus: außen Neorenaissance und -barock, innen voller Prunk mit viel Gold, Stuck, Fresken – und vier Skulpturen der Reformatoren Luther, Melanchthon, Calvin und Zwingli. Paradoxerweise zieren sie einen Sakralbau, der ziemlich katholisch erscheint.

 

Ein passender Ort zur Reflexion über Bilderver- und -gebote, -flut und -zerstörung: In der Tauf- und Traukirche des Doms sorgt ein dunkelgrauer Einbau für nüchterne Museums-Atmosphäre. Die Ausstellung findet regen Zuspruch: In den ersten beiden Monaten kamen rund 30.000 Besucher – vorwiegend Touristen, für die der Dom zum sightseeing-Programm zählt.

 

Jede Woche in die „atmende Ausstellung“

 

Neben dem wilhelminischen Pomp in der Kuppelkirche wirkt das asketische Ambiente wie ein Schock: Im rechteckigen Raum sind nur wenige Kunstwerke verteilt. Sie werden nach einem ausgetüfelten Plan jede Woche zum Teil ausgewechselt. Das Konzept hat Alexander Ochs, Galerist und Experte für zeitgenössische Künstler aus China, mit der Gemeindeleitung entwickelt: Er verzichtet „bewusst auf Setzung wie den Versuch einer kunsthistorischen Begründung.“ Ihm schwebt eine „atmende Ausstellung“ vor, die Betrachtern alle Freiheiten lässt.

 

Noch ein Paradox: Normalerweise sind Ausstellungen im Umfang genau festgelegt. Ein Kurator stellt bestimmte Kunstwerke zusammen, damit diese Konstellation gewisse Thesen belegt oder Bedeutungen erzeugt. Ochs ändert die Schau aber gemäß des „Osterfestkreises“ zwischen Passion und Pfingsten; das soll stets neue Verbindungen zwischen den Werken herstellen. Um alle zu sehen, müsste man also einmal pro Woche wiederkommen und zuvor im Kirchenkalender nachschlagen, was gerade gefeiert wird.

 

Titel als folgenloses Wortspiel

 

Dabei gibt es nur drei Konstanten: eine Bibel von 1886, ein Schnitt-Bild von Lucio Fontana – das wohl in diesem Kontext an Jesus‘ Wundmale und die Verletzlichkeit des Körpers erinnern soll – und eine Neonskulptur mit dem zweiten Gebot in hebräischer Schrift. Ansonsten spielen Bilderverbote oder religiöser Umgang mit Bildern allgemein keine erkennbare Rolle; der Ausstellungs-Titel entpuppt sich als griffiges, aber folgenloses Wortspiel.

 

Weder der byzantinische Bilderstreit noch der Bildersturm der Reformation werden thematisiert; ebenso wenig jüdische und islamische Vorschriften. Alle Debatten, inwieweit ein Abbild das Wesen des Dargestellten aufnimmt und ihm daher schaden könnte, bleiben außen vor. Gleichfalls damnatio memoriae – also die Tilgung von Bildern und Namen unliebsamer Verstorbener, von den Römern bis zu Stalin.

 

Irdische Dasein als Jammertal

 

Kurator Ochs konfrontiert stattdessen Sakralkunst vom 11. bis 19. Jahrhundert mit drei modernen Klassikern – neben Fontana noch Max Beckmann und Hans Arp – und rund 50 zeitgenössischen Künstlern. Ihre Beiträge verwenden teils religiöse Versatzstücke, beziehen sich aber häufig nur irgendwie auf die conditio humana.

 

So zeigen viele Fotografien plakative Motive zu Not und Leid. Etwa hungernde Kinder 1970 im Biafra-Krieg, schlafende Häftlinge 2005 in einem überfüllten Gefängnis von Malawi oder ein aufgebahrtes Kleinkind; es wurde 2002 zum „World Press Photo of the Year“ gekürt. All das erinnert drastisch daran, welch Jammertal das irdische Dasein doch ist – hat aber wenig mit der Frage zu tun, was man abbilden darf oder sollte, und was nicht.

 

Potpourri wie im Kolumba-Museum

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung “zeigen verhüllen verbergen – Schrein” zur “Ästhetik des Unsichtbaren” im Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums, Köln

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung Kraftwerk Religion – Über Gott und die Menschen im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden

 

und hier einen Bericht über "Bilder einer Ausstellung: China und die Aufklärung" - Doku über eine deutsche Kunst-Schau in Peking von Heinz Peter Schwerfel mit Statements von Alexander Ochs.

 

Nur wenige Motive verweisen implizit auf die Dialektik von Zeigen und Verbergen. Chester Higgins fotografierte 1990 eine Muslimin – in Brooklyn: Im Schutz ihres weißen Gesichts-Schleiers sieht die schwarzhäutige Frau den Betrachter durchdringend an. Herlinde Koelbl lichtete 2005 die Antlitze verstorbener Greise in Großaufnahme ab. Ihre Lider sind geschlossen; der distanzlose Blick auf Gesichter, die nicht mehr zurückschauen können, bereitet Unbehagen.

 

Ansonsten bilden die Arbeiten ein Potpourri, das vieldeutig um die Sujets Körper, Tod und Spiritualität kreist. Solche unkommentierten Kontraste von Altem und Neuem, Sakralem und Profanem findet sich auch im Kolumba-Museum der Diözese Köln – dessen Ausstellungen ähnlich unbefriedigend ins Ungefähre abdriften.

 

Bloß niemanden abschrecken

 

Da helfen auch Diaschauen aller Werke auf Monitoren, Audio-Führungen und eine Gratis-Zeitung voller Deutungs-Anregungen wenig: Es fehlt eine konkrete Position, mit der sich die Besucher beschäftigen könnten. Diese frei flottierende Zusammenstellung lässt sie mit ihren Eindrücken, Assoziationen und Fragen allein.

 

Insofern spiegelt die Schau die Widersprüche einer Amtskirche, die einerseits ihre Glaubensinhalte nicht aufgeben und das Gute befördern, aber andererseits keine Moralpredigten mehr halten will, um bloß niemanden abzuschrecken – und dafür lieber die schillernden Artefakte der Kunst in Dienst nimmt. Frohe Botschaften verbreiten, ohne sich festlegen zu wollen: Auch das ist ein Paradox.