Dresden

Supermarket of the Dead – Brandopfer in China und der Kult des globalisierten Konsums

Ausstellungsansicht: links Brathühner, rechts Spanferkel, in der Mitte ein Grill, für zeitgenössische chinesische Brandopfer (Joss Paper, Zhizha); © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: ohe
Die wertvollste Ausstellung des Jahres: Im Residenzschloss wird das Sortiment ausgebreitet, das Chinesen ihren Ahnen zuliebe verbrennen. Eine Parade teurer Markenprodukte aus Papier, die westlichen Warenfetischismus in Rauch aufgehen lassen.

Billige Waffen + teurer Rollstuhl

 

In der non-food-Abteilung lässt sich ein Ahnen-Haushalt komplett ausstatten. Angefangen beim Kleiderschrank: Alle gängigen Schnitte und Muster aktueller Damen- und Herrenmode sind vorrätig (ab 20 bis 190 HK$); inklusive Uhren, Taschen und sonstiger Accessoires. Besonders beeindruckt die riesige Auswahl an Papierschuhen aus dem Besitz einer Sammlerin in Hongkong; sie darf sich wie Imelda Marcos fühlen.

 

Auch an Arbeit und Freizeit im Jenseits ist gedacht. Alles da: von smartphones (30 HK$) und iPads über Foto- und Videokameras (98 – 130 HK$) bis zu Sportgeräten wie skateboards (250 HK$) und Fahrrädern (ab 600 HK$) – der Verblichene kann sein Dasein wie gewohnt weiterführen. Am teuersten ist ein Papp-Rollstuhl: 950 HK$, rund 90 Euro. Preiswerter sind Revolver (45 HK$) und Maschinengewehre (180 HK$); der Tod ist im Totenreich günstig.

 

„Marlbero“- + „Camcl“-Zigaretten

 

Ansonsten gilt eine höchst irdische Kalkulation: Je einfacher herzustellen, desto billiger. Zum Schnäppchenpreis von einem Hongkong-Dollar gehen nicht nur Socken, sondern auch SD-Speicherkarten weg: Beide sind nur flache Pappen. Dagegen kostet ein Fußball wegen seiner Kugelform stolze 230 HK$. Und bei Scheingeld, das säckeweise herumsteht, zählt auch der Nennwert; die Notenbank der Hölle muss Hyperinflation vermeiden.

 

Kurator Scheppe will auf eine andere Wertverschiebung hinaus: Historische Papp-Artikel waren handgefertigte Einzelstücke; eine Vitrine zeigt Beispiele aus der Zeit um 1900. Heutige Nachfolger tragen meist westliche Markennamen und Signets, etwa von McDonalds, Gucci oder Apple. Oft aus copyright-Gründen leicht verfremdet: Zigaretten von „Marlbero“ oder „Camcl“, Hautcreme von „Éstés Landai“, Cola von „Caixin Cele“ – in roten Dosen mit typischem Schriftzug. Das bietet genug Wiedererkennungswert für flüchtige Blicke, was völlig ausreicht.

 

Substanz ist nichts, ihr Zeichen alles

 

Chinesen greifen gern zu solchen fakes: Sie erhalten den damit verbundenen Prestigegewinn gratis als Dreingabe. Anders die Käufer von Original-Markenprodukten, die dafür weltweit einen happigen Aufschlag zahlen, ohne entsprechend mehr Nutzwert zu erhalten. Dieses Phänomen deutet Scheppe in seinem gedankenreichen Katalog-Essay als „idealistischen Konsum“: Im weihevoll zelebrierten Kaufakt suche der Konsument einen Sinn, den die vom Marketing verklärte Ware zwar verspreche, aber nie einlöse.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die 8 der Wege: Kunst in Beijing" - exzellenter Überblick über chinesische Gegenwartskunst in den Uferhallen, Berlin

 

und hier eine Besprechung “Ai Weiwei – Evidence”  – bislang größte Ausstellung des Künstlers im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Bericht über den Vortrag von Tom McDonough über Guy Debord + die Situationisten auf den "Künstler-Kongressen" der documenta (13) in Kassel.

 

Solcher Warenfetischismus wird im Supermarkt der Toten ad absurdum geführt: Hier sind alle Statussymbole wohlfeil, weil ihre einzige Bestimmung ist, in Rauch aufzugehen. Die Substanz ist nichts, ihr Zeichen alles. Zugleich machen die überbordenden Auslagen deutlich, wie die Fixierung auf vermeintlich Sinn stiftende brand labels zum gemeinsamen Nenner der globalisierten Weltkultur geworden ist.

 

Supermarkt als Schlaraffenland

 

Was der Situationismus-Theoretiker Guy Debord schon 1967 in seinem Hauptwerk „Die Gesellschaft des Spektakels“ voraussah – dieses Zitat ziert den Katalog-Einband: „Die kapitalistische Produktion hat den Raum vereinheitlicht, den keine äußeren Gesellschaften mehr begrenzen. Diese Vereinheitlichung ist zugleich ein extensiver und intensiver Prozess der Banalisierung. (…) Diese Kraft zur Homogenisierung ist die schwere Artillerie, die alle chinesischen Mauern in den Grund geschossen hat.“

 

Die bunt angemalten Trümmer der chinesischen Mauern liegen nun im Residenzschloss ausgebreitet. In verschwenderischer Hülle und Fülle, in endloser Aufreihung des Immergleichen, wie es sich für üppige shopping events gehört: Jeder Supermarkt soll an das Schlaraffenland erinnern. „Alles muss im Überfluss vorhanden sein“, sangen Tocotronic 2002 in ihrem Song „Hi Freaks“: „Dann sind wir nie allein.“