
Filmmenschen sind eine besondere Spezies im Kulturbetrieb: Sie rotten sich gerne auf Filmfestivals zusammen, von denen es abseits der wichtigen wie Cannes oder Berlin schier unzählige gibt; die führen Westeuropäer mitunter an exotische Orte. Nun stelle man sich einen Abend von zwei befreundeten Regisseure vor, die wahrscheinlich nicht mehr ganz nüchtern ihre Festival-Erfahrungen in aller Welt austauschen.
Info
Welcome to Karastan
Regie: Ben Hopkins,
100 Min., Georgien/ Deutschland 2014;
mit: Matthew MacFadyen, Noah Taylor, MyAnna Buring
Im Land der Inspiration
Als Hauptfigur tritt der ehemals hoffnungsvolle, halberfolgreiche Regisseur Emil Forester (Matthew MacFadyen) auf; nach der Trennung von seiner Schauspielerinnen-Frau sucht er händeringend nach Inspiration. Da kommt eine Einladung zum ersten Filmfestival im Karastan gerade recht – dem „Land der Inspiration“, wie seine Selbstdarstellung vollmundig behauptet.
Offizieller Filmtrailer
Diktator ist ausgebildeter Marketing-Experte
Bereits bei der Einreise trifft Forester auf genug Ideen; diese haben Zollbeamte, die ihren kargen Lohn aufbessern, indem sie sich „Probleme“ einfallen lassen, deren Lösung bar bezahlt werden muss. Die mürrisch dreinblickende Volkstanz-Gruppe beim offiziellen Empfang lässt auch nicht gerade auf spaßige Tage hoffen. Allerdings versöhnt ihn die Bekanntschaft mit seiner schönen und ebenso mysteriösen Betreuerin Chulpan (MyAnna Buring).
Emil macht sich sofort auf die Suche nach Themen und Motiven für seinen nächsten schwermütigen Kunstfilm; er lernt dabei sowohl seinen neuen Bodyguard als auch die rauen Landessitten gegenüber vermeintlich reichen Ausländern kennen. Da weiß er aber noch nichts von den Plänen, die Präsident Abashiliev (Richard van Weyden) mit ihm hat – der Diktator wurde im Westen zum Marketing-Experten ausgebildet.
Militär organisiert Statisten-Heerschar
Forester soll nämlich ein großes nationales Filmepos schaffen; mit dem früheren Hollywood-Action-Star Xan Butler (Noah Taylos) in der Hauptrolle. Geld ist Nebensache, Komparsen und Original-Schauplätze in der Steppe sind im Überfluss vorhanden. Emil lässt sich darauf ein, denn er hat ohnehin nichts besseres zu tun; das lenkt ihn von heimischen Problemen ab. Die vor Ort sind aber auch nicht zu verachten: Die Dreharbeiten laufen aus dem Ruder. Die Statisten werden vom Militär organisiert, und der Hauptdarsteller ist wenig verlässlich. Das hat auch mit dem Wodka zu tun hat, der niemals ausgeht.
Regisseur Hopkins spielt in seiner Komödie einmal mehr die Klischee– und culture clash-Karte aus. Dass er die Zuschauer dafür in ein fiktives „-stan“-Land schickt, liegt weniger an Erwartungen durch den Kassenschlager „Borat“ (2006) mit Sacha Baron Cohen als an persönlichen Erlebnissen.
Wert eines Menschen = Ziegen + Kinder
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Ida” – Drama über eine jüdische Nonne in Polen von Pawel Pawlikowski, Auslands-Oscar 2015
und hier einen Bericht über "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)" - brillante Theater-Satire von Alejandro Gonzalez Iñárritu, Oscar für den Besten Film 2015
und hier einen Beitrag über den Film “Die langen hellen Tage” von Nana Ekvtimishvili + Simon Groß über Teenager in Georgien während der chaotischen 1990er Jahre.
Dabei changiert der Film mit mal bissigem, mal burlesken Humor zwischen Groteske und Drama. Auf mehreren Ebenen: Da sind die bizarre Eigendynamik von Filmfestivals und der echte culture clash beim Aufeinandertreffen von Filmleuten mit normalen Menschen und eindeutig korrupter Politik; das dürfte vor allem jene Kulturschaffenden erheitern.
Setting in ungemütlichem Ost-Grau
Hopkins, der inzwischen eher Dokumentarfilme wie „37 Uses for a Dead Sheep“ (2006) über die Pamir-Kirgisen dreht, geht es auch um Irrsinn in der Filmbranche und die Verführbarkeit von Künstlern – jedoch längst nicht so exzellent durchkomponiert wie im diesjährigen Oscar-Sieger „Birdman“ von Alejandro Gonzalez Iñárritu, der Ähnliches im Theater- und Schauspieler-Gewerbe verhandelt.
Passend zum Ort der Handlung geht es in „Welcome to Karastan“ handfester zu; ohne Scheu vor Albernheit und echtem Blödsinn. Gedreht wurde in Georgien; offenbar absichtlich im Winter, um das Setting in ungemütlichem östlichen Grau halten zu können. Der Spielfreude der Akteure tut das offensichtlich keinen Abbruch: Dieser Film ist eine unterhaltsame Komödie, die hinter die wenig glamourösen Kulissen der Kinobranche blickt und dabei niemanden schont.