Jan-Willem van Ewijk

Atlantic.

Sein wunderschönes Fischerdorf an der marokkanischen Atlantikküste wird Fettah (Fettah Lamara) zu eng. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 25.6.) Der junge Wellenreiter und das Meer: Einen marokkanischen Surfer begleitet Regisseur van Ewijk über den Ozean nach Europa. Den Blick auf gegenwärtige Massenflucht verweigert der Film; seine Innenschau erscheint als Luxusproblem.

Surfen, das klingt nach Sehnsucht, Fernweh und Freiheit! Wer jetzt an die Mutter aller Surfer-Filme „The Endless Summer“ von 1966 denkt, also an einen beach movie über hippiesken Lebensstil unter ewigem Sonnenschein am blauen Pazifik, so leicht wie Gischtschaum – der irrt.

 

Info

 

Atlantic.

 

Regie: Jan-Willem van Ewijk,

94 Min., Marokko/ Niederlande/ Belgien 2014;

mit: Fettah Lamara, Thekla Reuten, Mohamed Majd

 

Website zum Film

 

„Atlantic.“ (der Punkt hinter dem Wort ist gewollt, vermutlich aus copyright-Gründen) ist eine Sehnsuchts-Geschichte der introvertierten Art. Regisseur Jan-Willem van Ewijk schickt einen jungen Marokkaner, der die Enge seines Heimatdorfes nicht mehr aushält, auf eine bedrohliche Reise quer über die offene See. Auf einem Windsurfboard will er Europa erreichen, wo er Freiheit und Liebe zu finden hofft. Doch der Film konzentriert sich allein auf seinen Protagonisten; damit bleibt er in einem sehr begrenzten Erfahrungsraum stecken.

 

Surf-Eldorado mit perfekter Welle

 

Fettah (Fettah Lamara) ist ein begnadeter Windsurfer. Der junge Mann mit den traurigen Augen wohnt mit seinem Vater in einer einfachen Siedlung an Marokkos Atlantikküste; beide leben bescheiden vom Fischfang. Außer begrenzten Chancen gibt es hier nur die „perfekte Welle“, die den Ort im Sommer zum Eldorado für Windsurfer aus aller Welt macht.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Verführt durch blonde Nixe aus dem Norden

 

Mit abgelegtem, meist beschädigten equipment, das Touristen zurückgelassen haben, trainieren die jungen Männer der Gegend; so fühlen sie sich den weit gereisten und wohlhabenden Europäern wenigstens auf dem Wasser ebenbürtig. In dieser Saison kommt der Holländer Jan (Jan-Willem van Ewijk) mit seiner Freundin Alexandra (Thekla Reuten) zum Windsurfen.

 

Der stille Fettah verliebt sich in die blonde Frau; sie weckt in ihm die Sehnsucht nach einem anderen Leben. Er will Teil der modernen Welt werden, die ihm seine Freunde verführerisch vorleben. Als die Urlauber wieder nach Hause fahren, empfindet Fettah schreckliche Leere: Seine Hütte und sein Dorf erscheinen ihm plötzlich schäbiger und auswegsloser denn je. Er beschließt, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und bricht im Neopren-Anzug mit Surfboard und Rucksack Richtung Europa auf – 300 Kilometer über das offene Meer.

 

Unendliche Weite der Wellen ermüdet

 

„Atlantic.“ ist ein stiller, ja meditativer Film, der in Rückblenden von Fetthas Leben und dem erzählt, was er zurückgelassen hat. Seine Fahrt über den Ozean ist vor allem eine Innenschau; eine endlose Gedankenkette, wie einsame Reisende sie oft erleben. Fetthas Stimme flüstert als voice-over Namen, Orte und Erinnerungen, während die unendliche Weite der Wellen unter ihm wogt. Und das ist nach einer Weile etwas ermüdend.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Kon-Tiki” – klassisches Abenteuer-Epos über Thor Heyerdahls Pazifik-Überfahrt von Joachim Rønning + Espen Sandberg

 

und hier einen Bericht über den Film “Life Of Pi – Schiffbruch mit Tiger”  – Bestseller-Verfilmung von Ang Lee mit Gérard Depardieu

 

und hier einen Beitrag über den Film “Die Farbe des Ozeans” – intensives Flüchtlings-Drama auf Gran Canaria von Maggie Peren.

 

Dass auf See keine dramatischen Lebensgefahren lauern wie etwa die Hai-Angriffe, die das hoch spannende Abenteuer-Epos „Kon-Tiki“ von 2012 über Thor Heyerdahls Pazifik-Überfahrt auf einem Floß rhythmisieren, ist gar nicht das Problem. Doch Regisseur van Ewijk fehlt die Fantasie, für Einsamkeit und Stille poetischere Bilder zu finden als nur einen tiefgründig flüsternden Windsurfer auf dem Wasser. Wie es ebenfalls 2012 Ang Lee mit seinem großartigen Film „Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger“ gelungen ist: Er übersetzte die stille Introspektion des Schiffbrüchigen in phantastisch überhöhte Visionen für die Kinoleinwand.

 

Drehbuch einer Urlaubsbekanntschaft

 

Der Niederländer van Ewijk hat seinen Hauptdarsteller Fettah Lamara tatsächlich beim Surfen in Marokko kennen gelernt und ihm das Drehbuch von „Atlantic.“ auf den Leib geschrieben. So bleibt der Film ganz persönlich, seinem Helden und dessen Gedankenwelt verhaftet.

 

Solche Beschränkung auf intime Nabelschau erscheint in einer Zeit, in der Tausende von Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrinken, wie ein Luxusproblem. Der Film weigert sich, seine Fabel in größere Zusammenhänge zu stellen; diese Ignoranz gegenüber aktuellen Weltgeschehnissen wirkt ziemlich fragwürdig.