Gotha + Kassel + Weimar

Bild und Botschaft – Cranach im Dienst von Hof und Reformation

Lucas Cranach d. J.: Christus am Kreuz, Mitteltafel des Hauptaltars der Stadtkirche Weimar (Detail), vollendet 1555; © Ev.-Luth. Kirchgemeinde Weimar. Fotoquelle: Klassik Stiftung Weima
Erfinder der modernen Bildpropaganda: Mit ihrer Werkstatt entfesselten Vater und Sohn Cranach eine zuvor ungekannte Massenproduktion. Ohne ihre Grafiken hätte sich die Reformation nie durchgesetzt – das zeigen zwei Ausstellungen in Gotha und Weimar.

Luther-Bibel als Bestseller

 

In der Schau sind zwei Varianten aus den Museen in Prag und Gotha zu sehen, von denen es viele Kopien gibt. Wie von den Gemälden „Christus und die Ehebrecherin“ und „Lasset die Kindlein zu mir kommen“: Beide Motive betonen den zentralen Stellenwert von Reue, Buße und Unschuld im Protestantismus – Gottes Gnade wird selbst Säuglingen zuteil. Solche Sujets erfuhren durch die Medien-Revolution des Buchdrucks eine beispiellose Verbreitung.

 

Luthers Schriften waren bestseller. Seine erste Übersetzung des Neuen Testaments von 1522 erlebte 43 Auflagen in nur drei Jahren. Von der Luther-Bibel, die 1534 erschien, wurden in zwölf Jahren 100.000 Exemplare verkauft; alle waren von der Cranach-Werkstatt illustriert. Nie zuvor hatten so viele Menschen in Europa dieselben Motive gesehen: Die Cranachs waren die Erfinder der modernen (religions-)politischen Bildpropaganda.

Impressionen des Cranach-Altars in der Stadtkirche Weimar + der Ausstellung im Schiller-Museum


 

Maler folgt Fürst in Gefangenschaft

 

Neben Sakralkunst und Fürstenporträts schuf Cranach auch erlesene mythologische Szenen und Akte, von denen die Schau herausragende Beispiele zeigt. Aber nur am Rand; sie wären eine eigene Ausstellung wert. Ähnlich geht „Cranach in Weimar“ vor: Dort verbrachte der Vater sein letztes Lebensjahr.

 

1547 hatten die Truppen von Kaiser Karl V. bei Mühlberg den Kurfürsten Johann Friedrich der Großmütige (1503-1554) vernichtend geschlagen. Der Fürst wurde als Gefangener nach Augsburg gebracht; er bat seinen Hofmaler, ihm zu folgen, was Cranach erst drei Jahre später tat. 1552 wurden beide freigelassen und bezogen in Weimar als neuer Residenzstadt Quartier, während Cranach d. J. weiter die Wittenberger Werkstatt leitete. 1553 starb sein Vater in Weimar.

 

Christi Blut spritzt auf Cranachs Kopf

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Dürer. Kunst – Künstler – Kontext" – grandiose Retrospektive seines Gesamtwerks im Städel Museum, Frankfurt am Main.

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “Meister der Dürerzeit” – exzentrische Grafik des Dürer-Schülers Hans Baldung, gen. Grien, in der Gemäldegalerie, Berlin

 

und hier einen Beitrag zur Ausstellung “Die Graue Passion in ihrer Zeit” über das einzigartige Altar-Meisterwerk von Hans Holbein d.Ä. in der Staatsgalerie Stuttgart.

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung “Drunter und Drüber – Altdorfer, Cranach und Dürer auf der Spur” über Untersuchungen mit Infrarot-Reflektographie in der Alten Pinakothek, München.

 

Hier befindet sich ein Hauptwerk des Sohnes; das 1555 vollendete Altarbild in der Stadtkirche St. Peter und Paul. Darauf hat er Cranach d.Ä. verewigt: Er steht rechts betend neben dem Gekreuzigten, zwischen Johannes dem Täufer und Luther. Ein Blutstrahl aus der Seitenwunde Christi trifft Cranachs Kopf, während der Reformator auf die Bibel weist: eine Variation des „Gesetz und Gnade“-Themas. Und ein Zeugnis für das stolze Selbstbewusstsein der Cranachs, die um ihre Bedeutung für die Reformation wussten.

 

Das zeigt sich auch in der Ausstellung im Schiller-Museum, dem aufschlussreichen Gegenstück zur Gothaer Schau. Manche Bilder sind in Varianten vertreten, etwa die Ehebrecherin- und Kindlein-Gemälde, andere einzigartig: wie die lebensgroßen Darstellungen der drei Kurfürsten Friedrich der Weise, Johann der Beständige und Johann Friedrich der Großmütige in vollem Prunk-Ornat mit Kurhut, Hermelin-Mantel und Marschall-Schwert.

 

1.800 Illustrationen für Sachsen-Chronik

 

Daneben eher unscheinbare Seiten, die abermals von verblüffender Arbeitsleistung zeugen. Prinzen-Erzieher Georg Spalatin erhielt den Auftrag, eine repräsentative „Chronik der Sachsen und Thüringer“ zu verfassen; Cranach d. Ä. sollte sie illustrieren. Dafür schuf seine Werkstatt unfassbare 1.800 Abbildungen, doch vergeblich – das Mammutwerk wurde nie fertig.

 

Die Weimarer Ausstellung wirft auch einen Blick auf die weit reichende Nachwirkung dieser Maler-Manufaktur. Goethe sammelte eifrig Cranach-Holzschnitte und besaß 20 ihm zugeschriebene Werke. Selbst in den Anfangsjahren des Bauhauses, das 1919 in Weimar gegründet wurde, dienten Cranach-Grafiken als Vorlagen für Bewegungsstudien – obwohl die Fürstenhäuser, die sie vier Jahrhunderte zuvor bestellt hatten, soeben entmachtet worden waren.