Stephen Daldry

Trash

Raphael (Rickson Tevez), Gardo (Eduardo Luis) und Rato (Gabriel Weinstein) haben viel Geld in den Müllsäcken gefunden. Foto: Universal Pictures
(Kinostart: 18.6.) Geldsegen aus dem Müllsack: Ihr Brieftaschen-Fund in Rio hetzt drei Straßenkids die halbe Stadt auf den Hals. Rasanter Thriller von Regisseur Stephen Daldry, der authentisch Elendsviertel-Leben und Polit-Korruption in Brasilien zeigt.

Wie ein Stich ins Wespennest: Auf einer Müllkippe in Rio de Janeiro finden drei junge Müllsammler eine Geldbörse, doch ihr vermeintlicher Glücksgriff entpuppt sich als sehr gefährlich. Neben Bargeld enthält die Brieftasche Dokumente, die einen hochrangigen Politiker in einer Schmiergeld-Affäre schwer belasten. Plötzlich sehen sich die Jungs mit einem korrupten System konfrontiert, in dem ein Menschenleben nicht viel zählt: Eine rasante Verfolgungsjagd durch Rio beginnt.

 

Info

 

Trash

 

Regie: Stephen Daldry,

114 Min., Brasilien/ Großbritannien 2014;

mit: Martin Sheen, Rooney Mara, Wagner Moura

 

Website zum Film

 

Was wie ein gängiger Thriller klingt, ist eine so sensible wie schonungslose Milieustudie von Stephen Daldry. Der britische Regisseur hat schon mit „Billy Elliot – I will dance“ (2000) über einen Arbeiterjungen beim Ballett oder „Der Vorleser“ (2008) über die Beziehung zwischen Schüler und KZ-Aufseherin bewiesen, dass er schwere Stoffe vielschichtig und klug umsetzen kann.

 

Drei Protagonisten aus den Slums

 

Mit „Trash“ verfilmt Daldry das gleichnamige Jugendbuch von Andy Mulligan; es spielt in einem fiktiven südostasiatischen Land. Der Regisseur hat die Handlung nach Brasilien verlegt und seine drei halbwüchsigen Protagonisten in dortigen Elendsvierteln rekrutiert: für eine schmerzliche Bestandsaufnahme des schreienden Gegensatzes zwischen Arm und Reich in der brasilianische Metropole.

Offizieller Filmtrailer


 

Mord an Brieftaschen-Besitzer

 

Obwohl sie noch halbe Kinder sind, arbeiten Raphael, Gardo und Rato als Müllsortierer. Tag für Tag durchwühlen sie unappetitlichen und giftigen Abfall nach Verwertbarem, um ihren mageren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Teenager hausen in einer favela neben einer riesigen Müllkippe am Rande von Rio. Schutz und Hilfe bietet ihnen nur die Missionsstation von Vater Julliard (Martin Sheen); der kostenlose Englisch-Unterricht von Assistentin Olivia (Rooney Mara) verspricht einen Hauch von Zukunft.

 

Eines Tages wird das Trio zufällig in einen Skandal verwickelt: Die gefundene Brieftasche enthält einen Schlüssel für ein Bahnhofs-Schließfach und einen Zahlencode. Was die Jungs nicht wissen: Kurz zuvor wurde der Besitzer der Geldbörse (Wagner Moura) brutal ermordet, weil er Beweise für die Bestechlichkeit eines Spitzenpolitikers veröffentlichen wollte.

 

Kanalisation statt Copacabana-Ansichten

 

Als eine Heerschar Polizisten auftaucht und ihnen Finderlohn für das gesuchte Portemonnaie geboten wird, ahnen die Straßenkids, dass sie einem großen Geheimnis auf der Spur sind. Im Schließfach finden sie weitere Hinweise. Ihnen auf den Fersen ist ein ehrgeiziger Polizist (Selton Mello), der die Sache rabiat und illegal vertuschen will. Nun beginnt ein waghalsiges Katz-und-Maus-Spiel, das die Drei in eines der berüchtigten Gefängnisse der Stadt führt.

 

Dort ist ihre Odyssee nicht zu Ende. Die Kamera folgt den gejagten Jungs kreuz und quer durch miese Ecken von Rio; statt Panorama-Ansichten von Zuckerhut und Copacabana-Strand sind dreckige favela-Gassen, überfüllte Vorort-Züge und die Kanalisation zu sehen. Schließlich führt die Spur zu prächtigen Villen am Meer, in denen die Oberschicht wohnt – darunter auch jene Politiker, die sich skrupellos die eigenen Taschen füllen: Der extreme Kontrast zwischen beiden Sphären auf engstem Raum ist atemberaubend.

 

Paradiesischer Wunschtraum am Ende

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Paulista– Geschichten aus São Paulo” - metrosexuelle Liebes-Dramen in Brasilien von Roberto Moreira

 

und hier einen Bericht über den Film “Extrem Laut und Unglaublich Nah” – Thriller über den 9/11-Terroranschlag von Stephen Daldry

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Brasiliana” mit Installationen von 1960 bis heute in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/ Main.

 

Selbst als ihre favela in Flammen aufgeht, geben die Drei nicht klein bei; ihre Ausdauer wird am Ende überreich belohnt. Dass es arg versöhnlich daher kommt, muss wohl als paradiesischer Wunschtraum verstanden werden; die Realität sieht meist viel nüchterner aus. Wie der Film zuvor andeutet, indem er die Schmiergeld-Zahler nennt: vor allem Unternehmen, die bei Großbauten zur Fußball-WM 2014 enorme Profite absahnten.

 

Brasilien ohne Postkarten-Romantik und Tropenkitsch: Die begabten Laienschauspieler spielen mit viel Natürlichkeit und verleihen damit dem Film authentische Brisanz. Ähnliches gelang bereits Fernando Meirelles mit „City of God“ (2002) über favela-Nachwuchsgangster oder Danny Boyle mit „Slumdog Millionaire“ (2008) über Slums in Indien.

 

Freigabe ab 12 Jahren fragwürdig

 

Dabei macht Regisseur Daldry durch die Härte der Geschichte klar, dass er die Thematik nicht auf die leichte Schulter nimmt. Die Brutalität, die Kindern widerfährt, ist nichts für schwache Nerven, doch werden Szenen von Polizeigewalt und Folter nie als Unterhaltung missbraucht. Die FSK-Freigabe ab 12 Jahren erscheint allerdings problematisch: Der krasse Realismus des Filmes könnte so junge Menschen überfordern.