Diese Ausstellung ist eine Übernahme aus dem Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main – und was für eine! Sie soll eine Hommage an Rainer Werner Fassbinder (RWF) sein, der 1982 starb: Der genialste Regisseur des deutschen Autorenfilms wäre in diesem Mai 70 Jahre alt geworden.
Info
Fassbinder - Jetzt
06.05.2015 - 23.08.2015
täglich außer dienstags
10 bis 19 Uhr
im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Berlin
Katalog 25 €
Begleitband zu Kostümen von Barbara Baum 19,80 €
Fassbinders O-Töne auf neun Monitoren
Die Frankfurter Ausstellung 2014 war in zwei Bereiche und drei Themenblöcke gegliedert. Am Eingang stand eine Wand aus neun Monitoren mit kurzen Video-Interviews, in denen RWF über sich und seine Arbeitsweise sprach; davor lag eine kleine Auswahl von Original-Dokumenten.
Interview mit Kurator Hans-Peter Reichmann + Impressionen der Ausstellung
Dichte Werkschau wird zur Geröllhalde
Im zweiten Teil wurden an sieben Stationen Filmausschnitte mit für ihn typischen Motiven und Stilmitteln vorgeführt: etwa 360-Grad-Kamerafahrten, extrem künstliche Beleuchtung und Sichtbarrieren wie Gitter oder Spiegel, die Gefangensein und gebrochene Identität der Akteure versinnbildlichen. Ergänzt durch ein halbes Dutzend Werke zeitgenössischer Künstler, die Fassbinders Sujets aufgreifen; meist als eher flache Plagiate.
So hatte diese Ausstellung ihre Stärken und Schwächen, doch sie war kompakt und in sich schlüssig. Im Martin-Gropius-Bau gilt es nun, die dreifache Fläche zu füllen – und eine dichte Werkschau wird zur Geröllhalde zersprengt, deren einzelne Teile weit verstreut herumliegen. Kaum etwas passt zusammen, noch weniger wirkt sinnvoll.
Wie in Autographen-Abteilung der Bibliothek
Projektleiter Hans-Peter Reichmann möchte nach eigenen Worten eine jüngere Generation an RWF heranführen, die allenfalls seinen Namen kennt, aber nicht mehr seine Filme. Dazu setzt er auf Papierkram: Nach der Monitor-Wand mit Fassbinders Selbstauskünften wird der Besucher in die „Werkstatt“ geschickt. Dort füllen zahllose vergilbte Zettel die Vitrinen: Briefe, Verträge, Rechnungen und Listen.
Wer will, darf an iPads virtuell Drehbücher durchblättern und Fassbinders Handschrift bewundern, als sei man in der Autographen-Abteilung der Kunstbibliothek. An der Wand hängt der komplette Drehplan für die 14-teilige TV-Serie „Berlin Alexanderplatz“ (1979/80) – und verströmt den Charme der Hauptbuchhaltung einer Baufirma vor 35 Jahren.
Young person’s guide to RWF in 36 minutes
Fürs Auge gibt’s ein paar bunte memorabilia: Fassbinders Lederjacke, sein Fahrrad, Video-Rekorder und Flipper-Automat. Derlei wäre wohl selbst der David-Bowie-Ausstellung 2014 im Gropiusbau zu banal gewesen. Freunde solcher Fan-Artikel kommen nebenan auf ihre Kosten. Hier stehen Kleider von Barbara Baum, die acht RWF-Produktionen ausstattete, verloren im Saal herum; dazu laufen sekundenlange Schnipsel, in denen sie getragen wurden. Als sei Fassbinder vor allem Kostümfilmer gewesen.
Aber was war er dann? Wer sich von den Projektions-Räumen Aufschluss erhofft, wird enttäuscht. Eine siebenminütige Schleife zeigt seine legendären Kamera-Rundfahrten – aber nur als Vorbereitung auf eine ebenso aufwändige wie triviale Mehrkanal-Videoinstallation von Runa Islam, einem re-enactment der berühmten Szene aus „Martha“ (1973). Die übrigen sechs Stationen aus Frankfurt sind nun zu einer halben Stunde „Themen und Stilmittel“ aneinandergeklebt; einer Art young person’s guide to the best of Fassbinder in 36 minutes.
Sozialkritik für den Altpapier-Container
Den dadurch eingesparten Platz füllen die Kuratoren großzügig mit zweit- bis drittklassiger Kunst auf, die Fassbinders fortwährende Aktualität bezeugen soll – laut Titel liegt ihnen der Gegenwartsbezug sehr am Herzen. Geläufige Foto-Leuchtkästen von Jeff Wall sollen ebenso durch RWF inspiriert sein wie Rirkrit Tiravanijas billiger Einfall, den Filmtitel „Angst essen Seele auf“ (1973) auf Zeitungen zu drucken: Sozialkritik für den Altpapier-Container.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Fassbinder" - facettenreicher Dokumentarfilm von Annekatrin Hendel
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Fassbinder – Jetzt: Film und Videokunst” im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main
und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Hanna Schygulla – Traumprotokolle” mit von ihr verfilmten Träumen in der Akademie der Künste, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Pasolini Roma" - prachtvoll vielschichtige Retrospektive für den Dichter und Regisseur Pier Paolo Pasolini im Martin-Gropius-Bau, Berlin.
Unselige Fassbinder Foundation
Ihn derart hölzern akribisch aufzubereiten, wirkt wie ein posthumer Racheakt des betulich biederen bundesdeutschen Fördergremien-Kulturbetriebs. Vermutlich zeigt sich darin auch der unselige Einfluss der beteiligten Rainer Werner Fassbinder Foundation unter ihrer höchst umstrittenen Präsidentin Juliane Maria Lorenz; sie war seine Cutterin und letzte Lebensgefährtin.
Stiftungen, die Künstler-Nachlässe verwalten, beanspruchen oft das Interpretations-Monopol; sie können die Geistesgrößen, denen sie ihre Existenz verdanken, gar nicht umfassend genug gewürdigt sehen. Mit ihrem „Alles muss rein“-Reflex errichten sie pompöse Mausoleen – und schrecken das Publikum ab. Das ist hier gelungen; was im Gropiusbau umso mehr erstaunt, als er 2014 mit „Pasolini Roma“ eine prachtvolle und vielschichtige Retrospektive des ähnlich schillernden Ausnahme-Regisseurs Pier Paolo Pasolini präsentierte.
Fest teutonischer Gründlichkeit
Damals war romanische Leidenschaft im Spiel. Diesmal herrscht teutonische Gründlichkeit, die mit Papierstapeln raschelt und in verstaubten Fundus-Fundstücken wühlt. Obwohl Kino doch das „Fest der Affekte“ ist, wie es der Philosoph Roland Barthes nannte: Nichts erledigt es zuverlässiger als ein Begräbnis unter Bergen von Archiv-Schutt.